Ultrarechte Machtprobe

Verschwörung Die Demonstration vom 29. August 2020 in Berlin war keine „Anti-Corona-Demonstration“, sondern Schaulaufen einer bürgerlich-rechten Querfront

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Vom „Sturm auf den Reichstag“ wurde Tage vorher schon fantasiert
Vom „Sturm auf den Reichstag“ wurde Tage vorher schon fantasiert

Foto: Omer Messinger/Getty Images

Der 29. August 2020 markiert eine neue Stufe der ultrarechten Bewegung in der BRD. Die sogenannte Demonstration in Berlin, die auf diesen Tag angemeldet wurde, war vorab mit Hinweis auf die Gefahr, die Einhaltung der Auflagen wie Mindestabstand und Mund-Nasen-Schutz könnten nicht eingehalten werden, vom Berliner Senat verboten wurden. In der Ideologie derer, die sich als „Querdenker“ oder „Widerstandskämpfer“ verstehen war diese Entscheidung mehr als willkommen, wurde doch das Bild einer vermeintlichen diktatorischen Entwicklung in der BRD untermauert. Bevor das Verbot von Gerichten aufgehoben wurde, wurde bereits massiv in die Hauptstadt mobilisiert, gerade von Kräften, Organisationen und Menschen, die der rechten und ultrarechten Szene zuzurechnen sind. Unter dem Motto, für „Demokratie“ und „Freiheit“ zu demonstrieren, werden die Maßnahmen der Regierung im Zuge der Coronapandemie als Angriff interpretiert und kolportiert, den demokratischen Grundkonsens auszuhöhlen sowie eine Diktatur, wahlweise unter dem „Chefvirologen“ Christian Drosten, wahlweise unter der Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel, herbei fabuliert. Das tödliche Virus wird hierbei als Scharnier instrumentalisiert, deren Gefahr entweder geleugnet oder bagatellisiert wird, was einer neuen Form der Querfront die Tore öffnet, welche sich im bürgerlichen bis ins ultrarechte Spektrum die Hände reicht. Der gestrige Tag in Berlin war hierbei weder eine Demonstration für elementare Grundrechte noch eine Versammlung friedlicher Mitbürger*innen, sondern ist als Auftakt des agitatorischen Potenzial einer Entwicklung zu deuten, die gerade das zu erkämpfen gedenkt, was es der hiesigen Politik vorwirft.

Mit etwa 30.000 Partizipator*innen konnte der vermeintliche Erfolg Anfang des Monats nicht wiederholt werden, allerdings war das Aggressionspotential und die radikale politisch-ideologische Verschiebung deutlicher ausgeprägt. Wenngleich nicht jeder vor Ort zwangsläufig eine faschistische oder rechte Gesinnung haben muss, war die kumulative Radikalisierung in den Beiträgen, dem Verhalten, dem Fahnenmeer sowie dem letztlichen „Besetzen“ der Treppen vor dem Reichstagsgebäude überdeutlich, wonach eine nachträgliche Verneinung dessen, ob der politische Charakter der Demonstration genuin rechts war, eigentlich ausgeschlossen sein soll. Freilich mag niemand irgendwo Nationalsozialist*innen oder Faschist*innen gesehen haben, und sollten sie doch vor Ort gewesen sein, so verschreibt man sich dem bürgerlichen Diskurs, mit Rechten reden zu dürfen, was hier allerdings zur direkten Handreichung führte, deren Narrativ kritiklos übernommen wurde. Denn in letzter Konsequenz spielt es keine signifikante Rolle, ob wirkliche Faschist*innen vor Ort waren (und sie waren vor Ort), denn die Botschaft wurde nichtsdestoweniger unterstützt und verbreitet.

Wer hiernach keine Nazis gesehen haben möchte, wollte sie schlichtweg nicht sehen: Neben der parlamentarischen AfD waren beispielsweise der rechtsradikale Rapper Chris Ares, „militante Neonazisder der Partei die Rechte nahestehenden „Kampf der Nibelungen“, der Shoa-Leugner Nikolai Nerling sowie selbstverständlich Attila Hildmann zugegen. Zusätzlich vermengten sich in der engen Menschenmasse Flaggen der BRD und des Deutschen Reiches als auch klar erkennbare Codes der faschistischen Szene, darunter Gruppen und Kleidungsstücke der QAnon-Bewegung als auch offenen Bekenntnissen zur „arischen Rasse“. Dass es freilich nicht um die Aufhebung der Maßnahmen zur Coronapandemie ging, wurde in Beiträgen, Reden und Rufen deutlich, die offen zum Sturz der Regierung aufriefen und die Verknastung von Journalist*innen wie Georg Restle und Claus Kleber als auch Politiker*innen wie Saskia Esken forderten. Untermauert wurde das Narrativ und die Stimmung mit strukturell und offen antisemitischen Elementen wie der Gleichsetzung des faschistischen Mords an den Jüd*innen mit der Impfung oder der obligatorischen Verbreitung von Verschwörungstheorien, deren antisemitische Wurzel nicht zu übersehen und -hören ist, hier wahlweise einer gesteuerten Zwangsimpfung.

Auch offener Frauenhass mischte sich in das Konglomerat ultrarechter Ideologien ein, wonach ein Redner an eine Polizistin gerichtet rief, dass Frauen* sich einer erzreaktionär und traditionalistischen Doktrin zu unterwerfen haben, in der es „göttliche Bestimmung“ sei, dass Frauen* nur zu gebären hätten. Der Wunsch nach einer autoritären Regierung wurde durch die Flaggen Russlands deutlich sowie der obskuren Szenerie, als Attila Hildmann vor der Russischen Botschaft in Berlin stand und krakeelte, dass er sich nicht mehr auf dem Staatsgebiet der BRD befände. Der ideologische Schulterschluss mit autoritären Regierungen wie der Russlands, Polens und Ungarns kommt nicht von ungefähr. Theoretisch wird das unter anderem vom rechten Esoteriker Heiko Schrang damit begründet, dass bereits zur Zeit des Realsozialismus jene Staaten sich von vermeintlichen Diktaturen befreiten. Die Parallelisierung offenbart hier offenkundig einen weiteren Punkt, der als Echo des Kalten Krieges zu verstehen ist und besonders in der BRD durch die Geschichte weiter befeuert wirdin diesem Duktus ist es nicht ungewöhnlich, dass Angela Merkel als Kommunistin bezeichnet wird. Der vermeintlich liberalistische Kern fungiert hierbei als Instrument die eigentlichen rechtsautoritären Vorstellungen zu verschleiern, die unter Phrasen wie „Demokratie“ und „Freiheit“ subsumiert werden.

Die Demonstration in Berlin ist eine weitere Radikalisierung der ultrarechten Szene, die den Schulterschluss zu Bürgerlichen sucht. Und wenngleich bürgerliche Politiker*innen nicht zwingend an der Demonstration waren und hier und da Distanz wahren, ist der herrschende Diskurs im Umgang mit Kritik und Polemik überdeutlich. Das Verbot der Hanau-Demonstration, begründet mit einem unzureichenden Schutzkonzept, ist hierbei nur der letzte bedrückende Höhepunkt. Der Einsatz der Polizeikräfte widerspiegelt den herrschenden Punkt eindrucksvoll, bei dem trotz späterer Festnahmendarunter Attila Hildmannsdas Agieren im Vergleich zu linken Demonstrationen offenkundig ist. Die Gewaltanwendung seitens der Beamt*innen ist bei Linken unverhältnismäßig, martialisch und bisweilen eskalativ-provokativ, derweil trotz des offenen ultrarechten Charakters, der Ankündigung einer Stürmung des Reichstages, Hitlergrüßen und Shoa-Leugnungen es bei der gestrigen Demonstration keine ähnlichen Handlungen gab. Das wirkt nur auf den ersten Blick verwunderlich. Denn tatsächlich fanden sich auch hohe Polizeibeamt*innen in den Reihen der Demonstrant*innen, darunter Karl Hilz vom Polizeipräsidium in München, der auch zu Wort kam. Darüber hinaus waren kurzfristig Gerüchte im Raum, dass Polizist*innen offen die „Seiten“ wechselten, wobei das eher unwahrscheinlich ist. Dennoch darf nicht unterschlagen werden, dass die Schnittmenge von Polizist*innen und Ultrarechten mit Autoritarismus-Fetisch nicht klein sein dürfte. Deutlich wurde das auch in der Kommunikation mit den Teilnehmer*innen der Demonstration, dass man es zusammen „rocken“ würde, um die Regeln einzuhalten.

Wie ist diese Lage zu deuten? Es zeigt sich ein Bild einer Querfront, in der sich Impfgegner*innen, rechte Esoteriker*innen, Faschist*innen, Neonazis, Ultrarechte und Verschwörungstheoretiker*innen mit Menschen einreihen, die von sich behaupten nicht „rechts“ zu sein, aber dennoch etwas gegen „Corona“ unternehmen wollen würde. Doch dieses Bild ist nicht mehr zu verteidigen. Es handelt sich hier mitnichten um ein Anliegen, welches sich auf demokratische Werte stützt, sondern es ist im Begriff, diese zu instrumentalisieren und ihre vermeintliche Verteidigung als Grundstein zu nutzen, um einen Umsturz herbeizuführen, der sich eines autoritären Staates nicht verweigern würde. Es wird vom „Widerstand“ gesprochen, sie sehen sich in der Tradition jener, die die sogenannte „Wiedervereinigung“ erkämpften, doch letztlich sind sie deren ultrareaktionäre Konterrevolution, die das 19. Jahrhundert erneuern wollen, in der ein „Volk“ im Sinne sozialdarwinistischer und rassistischer Deutung in einer Diktatur die „Macht“ innehat, in der sogenannte „Volksverräter*innen“ entweder der gesellschaftlichen Selbstjustiz des Mobs oder der öffentlichen Hinrichtung unterworfen werde.

Der sogenannte „Verfassungsschutz“ meinte, die Demonstration sei nicht von Rechtsradikalen unterwandert. Das ist durchaus richtig, denn wie kann etwas unterwandert werden, in deren Führung und Organisation man bereits sitzt? Der kollektive Charakter dieses Schaulaufens ist eine genuin rechtsradikale Veranstaltung, in der eine Unterwanderung obsolet ist. Und es handelt sich hierbei auch nicht um „Anti-Corona“-Demonstrationen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese Demonstration zwar formal gegen die herrschende Regierung gerichtet ist, doch faktisch ist sie eine Kampfansage an alle Menschen, die sich dieser autoritären Entwicklung entgegensetzen, darunter Migrant*innen, Journalist*innen, Linke und all jene Menschen, die in den Augen dieser ultrarechten Ideologie als „Volksfeind“ gebrandmarkt werden. Die Verbindung zum rechten Terror wird dabei ebenfalls nicht gescheut, so sei der Faschist Mike Sawallich, der den Mord an Walter Lübcke gutheißt, ebenfalls vor Ort. Wenngleich „Frieden“ und „Freiheit“ propagiert wird, ist diese Entwicklung alles andere als pazifistisch, sondern der Gewalt verbunden und es wäre alles andere als verwunderlich, wenn sich die Radikalisierung auch in diese Richtung entwickeln würde. Diese Versammlung ist der Nährboden und Verbreiterin radikalen Antisemitismus‘, Rassismus‘, völkischen Nationalismus‘ und der Bandbreite (ultra)rechter Ideologeme. Dass sie mit ihrer manischen Missachtung jeglichen Sicherheitsabstands im Angesicht einer tödlichen Pandemie auch unbeteiligte Mitmenschen in Gefahr bringen, ist herbei nur ein weiterer, misanthroper Punkt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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