Vom Deadnaming und anderen Schwierigkeiten

Transsexualität Das Coming-Out Elliot Pages als trans* zeigte in der medialen Aufmerksamkeit erneut, dass die Diskriminierung transgeschlechtlicher Menschen noch immer tief sitzt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Vor einer Woche, am 1. Dezember 2020, veröffentlichte der Schauspieler Elliot Page auf Facebook ein Statement, indem er seine Transidentität veröffentlichte. Darin rief er unter anderem ins Gedächtnis, dass die Gewalt gegenüber transgeschlechtlichen Menschen „weit verbreitet, heimtückisch und grausam“ sei. Die Vulnerabilität queerer Menschen in heutigen Gesellschaften wird besonders durch die hohe Suizidrate deutlich, die ein Resultat einer Feindschaft und radikalen Ablehnung ist, der nur oberflächlich und in Worten entgegengetreten wird. Auf diesen Umstand macht Page deutlich und wirft besonders den „politisch Herrschenden“ vor, Blut an den Händen zu haben, die ein solches Feindbild mittel- oder unmittelbar unterfüttern. Auch in der BRD ist das Verhältnis zwischen queeren Menschen und der bürgerlichen Herrschaft ein ambivalentes, besonders auch dann, wenn der Anschein erweckt wird, man würde etwas für die Rechte transgeschlechtlicher Menschen unternehmen. Transgeschlechtliche Menschen werden weiterhin einer pathologischen Diagnose unterworfen, die sie in eine Rechtfertigungspflicht zwingt, um eine gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen. Untermauert wird das durch unverhältnismäßig hohe bürokratische und juristische Hürden, die die Verteidigungsambitionen der Herrschenden, queere und transgeschlechtliche Menschen zu schützen, konterkarieren.

Die Gewalt und Feindschaft findet sich jedoch nicht erst bei praktischer Handlung wider und der direkten Herabwürdigung und Leugnung des Selbstbestimmungsrechts der Menschen; dass die Sensibilität und das Verständnis der Existenz von transgeschlechtlichen Menschen auch in der öffentlichen Auseinandersetzung in einem vermeintlich wertneutralen Raum zu einem Widerspruch führen, zeigten einmal mehr viele bürgerliche Medien in der BRD, welche über das Statement ElliotPages schrieben. Neben einem falsch verstandenen Toleranzaxiom, der sich an den Pronomen abhandelt, spielt häufig das sogenannte Deadnaming eine prägende Rolle. Deadnaming beschreibt die Nennung des abgelegten Namens einer transgeschlechtlichen Person, mit dem sie nicht mehr identifiziert werden möchte. In der Regel ist der Deadname ein Name des Geschlechts, dem die Person nicht angehört. Die Schwierigkeit, die besonders im öffentlichen Diskurs immer wieder auftaucht, ist das Nachzeichnen und Verstehen der Realität transgeschlechtlicher Menschen, ohne ein transfeindliches Narrativ zu bedienen. Es ist dabei nicht nachvollziehbar, inwieweit der Deadname oder die falschen Pronomen in einer Berichterstattung oder der öffentlichen Debatte für deren Existenz notwendig sind, so auch nicht in retrospektiven Betrachten der Erklärung der Pronomen, die nun abgelegt sind.

Dass eine gesellschaftliche Diskussion darüber notwendig ist, zeigen besonders Kommentare und Bemerkungen von Menschen auf, die ihre Intoleranz als gleichgültige Toleranz verkaufen. So waren einige Bemerkungen zu Elliot Page jene, inwieweit es ein öffentliches Interesse gäbe, darüber zu berichten, so man das im Privaten versteckt wissen möchte bei völliger Ignoranz gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Konsequentes Deadnaming und die Nutzung falscher Pronomen bei der Verteidigung, jede*r solle so leben, wie sie*er möchte, wirkt dabei nicht nur wenig überzeugend, sondern es ist eine direkte Form der Gewaltausübung, die einen nicht zu unterschätzenden psychologischen Charakter besitzt. Diese Abneigung und Feindschaft sind allerdings nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern eine radikalisierte und streng traditionalistische Entwicklung einer strukturellen, tief im bürgerlichen Moralismus verankerte Abneigung und Unverständnis der queeren Realitäten. So sehr Sprache auch keine Wirklichkeit schafft, sondern sie lediglich abbildet, so sehr sollte man jedoch ihre Wirkung nicht unterschätzen. Denn die Sprache ist besonders in der Konfrontation und Auseinandersetzung mit transgeschlechtlichen Menschen von großer Bedeutung.

Neben den erwähnten falschen Pronomen und dem Deadnaming gibt es noch viel subtilere, größtenteils unbewusst verbreitete Formen, die eine Diskriminierung gegenüber transgeschlechtlichen Menschen darstellen. Der Transitionsprozess, das heißt die Überwindung der inneren Konflikte des transgeschlechtlichen Menschen hin zur Einsicht und Selbstakzeptanz der geschlechtlichen Identität, die sich in unterschiedlicher Intensität vom biologischen Geschlecht unterscheidet, wird gemeinhin in sprachlicher und auch so verstandener Annahme als Wechsel oder Änderung charakterisiert. Dabei handelt es sich bei der Transition mitnichten um irgendeine Änderung, sondern sie ist als epistemologische Errungenschaft zu verstehen, die den Widerspruch zwischen biologischem Geschlecht und dem Gender zur Sprache bringt und die notwendige Hierarchisierung des Geschlechts verdeutlicht, das heißt: Das Gender wiegt höher als das biologische Geschlecht. Dass dieser Widerspruch oder diese Diskrepanz nicht die Mehrheit der Bevölkerung betrifft, mindert die Existenz keineswegs, denn auch cisgeschlechtliche Menschen haben sowohl ein biologisches Geschlecht als auch ein Gender.

Wenn sich nun also Menschen zum Privaten bekennen, doch das biologische Geschlecht über das Gender stellen, hiernach also das geschlechtliche Selbstbestimmungsrecht negieren, machen sie ein hochkomplexes Politikum daraus. Die Beschränktheit der Sprache und des moralisch-bürgerlichen Verständnisses darf dabei nicht zum Axiom führen, die Geschlechterfrage auf dem Kopf stehened zu lassen: Es gilt, sie wieder auf die Füße zu stellen. Die Verletzlichkeit der transgeschlechtlichen Menschen, wenn sie primär mit ihrem biologischen Geschlecht assoziiert werden, ist diesem Dogma geschuldet, in ein biologistisches Korsett gezwungen zu werden. Dieses Dogma wirkt so sehr, dass selbst in progressiven und liberalen Kreisen, die von sich behaupten, eine queerfreundliche Einstellung zu haben, mindestens Teile der Existenz der Transgeschlechtlichkeit anhand biologistischer Merkmale zu messen. Die Geschlechtsangleichung ist hiernach besonders für cisgeschlechtliche Menschen eine Grundvoraussetzung, die Existenz der Transgeschlechtlichkeit anzuerkennen, womit eben dieses biologistische Dogma nur untermauert wird. Dabei soll alles andere als die Freiheit des Einzelnen, sich einer geschlechtsangleichenden Operation zu unterziehen, infrage gestellt werden. Doch sie darf auch nicht als Gradmesser aller Entscheidung und Wirkung verstanden werden.

In letzter Konsequenz muss auch der Widerspruch zwischen Cis- und Transgeschlechtlichkeit aufgehoben werden. Die Geschlechtszuschreibung wird hier ebenfalls vom biologischen Geschlecht abstrahiert, die es besonders transgeschlechtlichen Menschen erschwert, eine völlige Anerkennung zu erlangen. Eine weibliche, männliche oder weitere Geschlechtszuschreibung soll und muss nur anhand des Genders gefällt werden, unabhängig vom biologischen Geschlecht. Diese Geschlechtszuschreibung kann freilich nur individuell geschehen. Und hiernach will Elliot Page nicht Mann sein, sondern er ist, spätestens seit dem Zeitpunkt, als es ihm selbst bewusst war. So auch alle anderen Menschen, deren Gender dem biologischen Geschlecht konträr oder nicht vollkommen identisch ist. Es bleibt zu hoffen, dass die propagierte Sensibilisierung und Toleranz auch gesellschaftliche Relevanz bekommt und sich besonders der strukturellen, bürgerlich-moralistischen Diskriminierung im vermeintlich harmlosen Wort annimmt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden