Was ist der Faschismus?

Analyse Am 8. Mai ist der Tag der Befreiung vom Faschismus. Die Erinnerung an den Charakter der Ideologie verblasst jedoch stetig und ist Spielball divergierender Interessen.

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Am 8. Mai jährt sich der sogennante „Tag der Befreiung“ des Faschismus zum 74. Mal. Auffallend, doch nicht verwunderlich, ist die Tatsache, dass von Nationalsozialismus und Faschismus separat gesprochen wird. Das ist der historischen Entwicklung geschuldet, doch suggeriert gleichermaßen, als handelt es sich um zwei unterschiedliche Ideologien. Dem ist freilich nicht so. Die Entstehung des Begriffes Nationalsozialismus ist dem damaligen Opportunismus geschuldet, da mit sozialistischen Begriffen die Masse besser erreicht werden konnten. Was die bürgerliche Geschichtsschreibung und deren Schüler*innen nun völlig falsch angehen, erklärt sich aus ihrem Klassenstandpunkt: sie öffnen ganze Schulen und Institute, um zu beweisen, dass der Faschismus links gewesen sei, da er sich sozialistisch nannte. Bei näherer Betrachtung bleibt davon nicht sonderlich viel übrig, denn der sozialistische Aspekt wurde anders als bei Marxist*innen nicht ökonomisch und gesellschaftlich verstanden, sondern ausschließlich exklusiv-nationalistisch, d.h. formal sollten die Erziele und Produkte der deutschen Wirtschaft primär dem deutschen Volk zugutekommen. Die Produktionsverhältnisse als solche wurden nicht infrage gestellt, so blieben die Schlüsselindustrien trotz unter faschistischer Kontrolle den Kapitalist*innen, die sowohl vom inhärenten Terror wie dem Vernichtungsantisemitismus, den KLs und final der Shoa profitierten.

Der daraus kolportierte Arbeitszwang wird fälschlicherweise sozialistisch betitelt, da auch die damaligen Marxist*innen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und Sowjets eine Arbeitspflicht verlangten. Diese Pflicht der Kommunist*innen verstand sich allerdings anders als bei den Faschist*innen nicht als unterdrückendes Moment einer singulären Gruppe, sondern als Klasseninstrument. Die Kapitalist*innen, denen im Zuge der Oktoberrevolution durch Enteignungen faktisch ihre Existenzgrundlage genommen wurde, wurde von den russischen Kommunist*innen nun nahegelegt, für das eigene Überleben selbst Handanzulegen, fernab von Ausbeutung durch das Proletariat. Die kommunistische und die faschistische Arbeitspflicht klingt hiernach nur semantisch gleich, doch ist im Kern antagonistisch, da den Faschist*innen nie ein Klassenkampf im Sinne kam. Ganz im Gegenteil. Als die Faschist*innen 1933 die Regierung übernahmen, erklärten sie idealistisch den Klassenkampf für beendet, strebten so nach eine Negation ein, bei der es nur noch Deutsche und Nicht-Deutsche gäbe. Die materialistische Realität von Klassengegensatz und -kampf wurde per Dekret geleugnet und durch einen staatlichen Rassismus ersetzt. Demgemäß litt das Proletariat und Sozialist*innen, Kommunist*innen und Gewerkschaften besonders schwer unter dem Faschismus.

Doch was bedeutet das konkret? Was zeichnet den Faschismus aus, was ist sein Wesen und warum glaubt man, er sei nicht mehr existent? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir den negierten Klassencharakter analysieren. Als es gegen die Monarchie und den Feudalismus ging, erschien das Bürgertum 1848 für Karl Marx und Friedrich Engels als progressive Kraft, anerkannten jedoch den Antagonismus zum jungen Proletariat. Die misslungen bürgerliche Revolution in Deutschland führte eine Restauration monarchischer Stände ein, von dem trotz der Radikalität des Bürgertums eben jenes emporsteigen und sich als kleinbürgerliche Klasse profitieren konnte. Dieses Kleinbürgertum wird heute „gesellschaftliche MItte“ bezeichnet. Doch diese Kraft war die Schlüsselfunktion für den Erfolg des Faschismus. Der marxistische Revolutionär Leo Trotzki analysierte die faschistische Bewegung als in der Masse des Kleinbürgertums verankerte Ideologie, die in Worten gegen das Großkapital schrie, doch in Taten einen Krieg gegen die sozialistische Arbeiter*innenbewegung führte. Wie heute bei der Alternativen für Deutschland (AfD) profitierte der Faschismus von lumpenproletarischen Kräften (subproletarisches Prekariat), die tatsächlich den Klassenhass verinnerlichten, da die damalige Weimarer Republik an ihren innerdemokratischen Widersprüchen durch die Niederschlagung der Fortführung der Novemberrevolution stark erkrankte. Der Faschismus ist so nach eine Ideologie und Bewegung gewesen, die auf einen Führer zentriert ist, die kleinbürgerliche Klasse usurpiert und-man würde heute sagen-für den „kleinen Mann“ sprach, dabei jedoch den Klassenkampf aushebelte und die Jüd*innen für deren Stand verantwortlich machte.

Es ist wichtig zu bemerken: der Faschismus hat den Antisemitismus nicht erfunden, er hat das, was in der deutschen Gesellschaft tief verankert ist, aufgegriffen und zusätzlich durch den opportunistischen Kurs in den 1920er in eine Massenbewegung verwandelt. Ein verstörendes Element der Geschichte ist die zeitweise Leugnung der Kommunist*innen in Deutschland der Gefahr des Faschismus. Sie vermochten trotz der Schriften der Faschist*innen nicht erkennen, was für einen Charakter diese Bewegung hat und legten ihr Augenmerk auf das Lumpenproletariat. Der Faschismus ist, nach dem er mittels dem Kleinbürgertum den Klassenkampf ausschaltete, eine Symbiose mit dem Kapital eingegangen und verband den Antisemitismus, Rassismus und Antikommunismus, von dem das Kapital keinerlei Scheu hatte, es ihm gleichzutun, mit einem irredentistischem Kurs. Nach dem Zweiten Weltkrieg indes war es weiterhin das Kapital und deren liberalen Vertreter*innen, die im Klassenkampf gegen die Arbeiter*innenklasse (u.a. in China und Sowjetunion) bewusst faschistische Diktaturen installierte. Denn eines ist in der Debatte nicht zu vergessen: der Faschismus ist keine singuläre Bewegung, die einzig mit der Shoa erklärt werden kann. Die Shoa ist das Ergebnis dessen, wenn der Faschismus das erreicht, was er sich zum Ziel setzt: einen diktatorischen Führerstaat, der sich sowohl gegen das Proletariat, letztlich das Kleinbürgertum als Klasse und vor allem gegen jene Menschen richtet, die nicht dem Nationalismus entsprechen, besonders Jüd*innen.

Dadurch ist es folgerichtig, dass der Faschismus nicht verschwand, er konnte bisher nur nicht mehr verwirklicht werden, obgleich es Staaten gibt, die protofaschistische Systeme zu etablieren versuchen. Und selbstverständlich ist das Gerede von „Nazis raus“ nicht mehr als ein liberaler Hilfeschrei, sich von der eigenen historischen Verantwortung zu drücken, denn man hat das grundsätzliche bis heute nicht verarbeitet: der Faschismus ist die Bewegung des Kapitals, im despotischen Zusammenschluss mit dem Kleinbürgertum den Klassenkampf auszusetzen, um so die Wut und Not, die durch den Charakter des Kapitals erfolgt, auf die eigene Klasse zu lenken. Der Rassismus ist demgemäß eine grundsätzliche Voraussetzung des Faschismus. Das heißt nun auch nicht, dass man nur Faschist*in sein kann, wenn man Jüd*innen vergasen möchte, ganz sicher nicht. Manche, die sich selbst dem Kleinbürgertum oder einer „liberalen MItte“ zu ordnen, verwenden, ohne es zu bemerken, eine faschistische Denkstruktur. Denn es ist mehr als notwendig, den Faschismus nicht einzig auf den terroristischen, vernichtenden Charakter zu reduzieren. Faschismus ist nicht das Ergebnis, sondern die Bewegung dorthin.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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