Was ist Freiheit?

Debatte Wie frei kann das Individuum sowohl autark als auch in einer Gesellschaft sein? Die Freiheit ist ohne die Unfreiheit nicht zu denken.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Für die Freiheit stehen alle ein. Unabhängig von politischer Ideologie und Weltanschauung ist die Einigung, im Zweifel für die Freiheit einzustehen, Minimalkonsens. Dass die Freiheit dabei unterschiedlich interpretiert wird, liegt in ihrem Wesen. Freiheit kann ökonomisch, gesellschaftlich, ökologisch und der gleichen mehr aufgefasst werden. Dass sie sich hierbei mitunter diametral gegenübersteht, ist ebenfalls ihrem Wesen geschuldet: die Notwendigkeit der Freiheit resultiert aus einer Unfreiheit. Wie sich diese Unfreiheit schmückt, ist wiederum entsprechend der dialektischen Vielschichtigkeit an der Freiheit selbst geknüpft. Abgesehen von verschiedenen Positionierungen, welche Freiheit erstrebenswert ist, spielt ein weiterer Faktor keine unwichtige Rolle: der Rahmen, der die Freiheit umgibt. Bedeutet Freiheit schlechterdings die absolute Negation der Unfreiheit? Oder hört sie dann selbst auf, Freiheit zu sein? Dass es hierbei mehr geht als um semantische Spielereien, ist in den materialistischen Gesetzen der Bewegung und Selbstnegation verankert. Die Freiheit, um die sich ein jeder und eine jede streitet und erstrebt, sie zu erkämpfen, muss jedoch in die Einsicht führen, dass die Unfreiheit beständig bleibt, um sich von ihr zu emanzipieren. Emanzipation heißt hier nicht die Überwindung, sondern Anerkennung objektiver Bedingungen anhand derer sich die Freiheit erst in dem Rahmen entfalten kann, wie sie zu ertragen ist.

Im Liberalismus wird von zwei Formen der Freiheit unterschieden: der positiven und negativen Freiheit. Während die positive Freiheit eine Freiheit definiert, beispielsweise in einer handlungstheoretischen Absicht so zu entscheiden, wie man möchte, beschreibt die negative Freiheit die Freiheit von äußeren Zwängen und Einwirkungen. Auch hier können die Formen nur anhand der Unfreiheit artikuliert werden, die die Motivation erst bewirkt, entsprechend zu handeln. Die Frage, ob das Individuum eine absolute Freiheit hat, betrifft mehrere Faktoren. Die Freiheit, so zu handeln, wie man handeln möchte, negiert primär nicht die bestehende Unfreiheit, wenn das Handeln, das man tun möchte, die Gesetze der Unfreiheit nicht bricht. Wie lauten diese Gesetze? Sie richten sich an die materialistische Auffassung, wonach der Mensch ein Wesen bestehend aus Materie ist, das in der Lage ist, eine Idee von einem Mensch, das ein Wesen bestehend aus Materie ist, zu formulieren. In der Existenz als sterbendes, aus dem Tierreich erwachsenes Wesen, ist der Mensch an gewisse Naturgesetze gebunden, die Freiheit erheblich einschränkt, wenn es darum geht, diese Naturgesetze negieren zu wollen: die Idee, ohne Hilfsmittel fliegen zu können, bleibt eine Idee, die nicht umgesetzt werden kann. Ist also eine Unterscheidung zwischen Idee und Materie ausschlaggebend, um Freiheit zu definieren?

Da die Idee erst durch die Materie ermöglicht wird, also das Gehirn eine hinreichend und notwendige Bedingung ist, eine Idee zu formulieren, muss konstatiert werden, dass auch die Idee einer absoluten Freiheit an gewisse Faktoren geknüpft ist, die nicht über Naturgesetze und die Möglichkeiten des Menschen, die Welt zu erfassen hinausgehen. Da die Welt, wie der Mensch sie erfasst, aus evolutionstheoretischen Gründen nur teilweise erfasst und verarbeitet werden kann, ist auch die Freiheit der Gedanken und der Fantasie eingeschränkt. Ideen und Gedanken, die a priori entspringen, können nur dann apriorisch sein, wenn sie zuvor in der Struktur erfasst und verarbeitet wurde. Variationen von Gedanken sind dabei keine Neuschöpfungen, sondern Interpretationen von bereits bestehendem: so ist auch jede dadaistische Kunst, die sich verwehrt, Kunst zu sein, Ausdruck und Interpretation von bestehendem, in diesem Fall der Struktur von Linien, Farben und Formen. Die Freiheit der Gedanken hört also da auf, wo die Unfreiheit, bedingt durch die materialistische Begebenheit, anknüpft. So sind Farben, die das Gehirn durch das Auge nicht erfassen und verarbeiten kann, Ausdruck, dass es unmöglich erscheint, sich gestützt auf die Freiheit der Gedanken, neue Farben zu ersinnen.

Was bedeutet das für Gesellschaften? In einer Klassengesellschaft ist es durch den antagonistischen Charakter und besonders des ökonomischen Faktors ersichtlich, dass die Freiheit dem Duktus der Herrschenden unterliegt. So ist eine bürgerliche Gesellschaft primär die Freiheit des Bürgertums und eine proletarische Gesellschaft primär die Freiheit der Arbeiter*innen. Wenn von einer befreiten Gesellschaft gesprochen wird, das heißt der Überwindung jeglicher Unterdrückung durch den Menschen selbst, in letzter Konsequenz also der Abschaffung des Staates – kann man dann von einer befreiten Gesellschaft denotiert sprechen? Da der von Thomas Hobbes imaginierte Urzustand des Menschen, in der jeder sich selbst der Nächste ist und es keine sozialen Formen des Zusammenlebens gibt, ein Schritt in die Barbarei wäre und in sich geschlossen ebenfalls die Unfreiheit als Prämisse nach wie vor behält (hier besonders durch die jeweiligen Freiheiten der Einzelnen, die im sozialen Konflikt unmittelbar bei diametralem Interesse eine individuelle Unfreiheit beim anderen provozieren muss), bleibt die Frage im Raum, wovon eine befreite Gesellschaft letztlich befreit wurde und ob das die Negation jeglicher Unfreiheit zur Folge hat.

Wie eingangs erwähnt lassen Naturgesetze und die materialistische Grundauffassung es nicht zu, die Unfreiheit zu überwinden respektive würde es in einem eklatanten Widerspruch geraten, der sich nicht auflösen ließe. Eine befreite Gesellschaft ist zuvorderst die Freiheit der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen, das heißt die Freiheit, im eigenen Handeln und Wollen nicht eingeschränkt zu werden. Diese Befreiung bedeutet jedoch auch die Freiheit von Schäden, wonach die Unfreiheit bestehen bleibt, Schaden anrichten zu dürfen. Freilich ist diese Unfreiheit nur theoretisch, denn sie kann gebrochen werden, ist also eine gesellschaftlich notwendige, die Grundbedingung der Freiheit aller im Rahmen der Gesetze der Unfreiheit bedeutet. Sonach bleibt die Erkenntnis, dass der Kampf um die Freiheit nicht nur eine starke politisch und gesellschaftliche Konnotation, sondern auch eine philosophische beziehungsweise streng ontologische besitzt. Hier würde sich der Kreis auch vulgär schließen, wonach selbst das Leben die Unfreiheit vom Tod bedeutet, denn wenngleich nichts gewiss erscheinen mag, wie ein Leben verläuft, bleibt der Tod, das heißt die Negation der Freiheit als Leben, ein Naturgesetz. Demnach bleibt im Kampf für die Freiheit dem Individuum und der Gesellschaft der Kampf in dem Rahmen, der ihr zusteht: die Naturgesetze, Wechselwirkungen und Selbstnegationen anerkennend hin zu einer befreiten Gesellschaft, die die Unfreiheit als notwendig akzeptiert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden