Was nun?

Europawahl 2019 Die Linke fährt bei der EU-Wahl ihr schlechtes Ergebnis seit 1999 ein. Anstatt aus den Fehlern zu lernen, wird jedoch weiterhin auf Regierungsverantwortung gebaut

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Was nun?

Foto: Jens Schlueter/AFP/Getty Images

Die Wahlen zum sogenannten EU-Parlament sind vorbei. Die Linkspartei hat mit 5,5% ihr schlechtestes Ergebnis seit ihrem Einzug 1999damals noch als Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)erreicht. Zwar wurden nominell im Westen fast überall Stimmen dazugewonnen, diese konnte jedoch den Einbruch im Osten nicht auffangen. Als vermeintliche Volkspartei der Menschen im Osten wurde sie radikal abgestraft, was mitunter auch Schluss der Regierungsverantwortung in Berlin, Brandenburg und Thüringen ist. Die Wähler*innenwanderung der Partei im Vergleich zum Ergebnis der Bundestagswahl 2017 zeigt deutlich den absoluten Verlust bedingt durch ein unscharfes Profil. Der Großteil der Verluste sind auf das Konto der Nichtwähler*innen zu verbuchen, doch auch an Bündnis 90/Die Grünen verlor die Linkspartei 610.000 ehemalige Linkswähler*innen. Obgleich die Partei ein ökologisches Profil hat und den Grünen in puncto Umweltschutz wenig nachsieht, konnte sie im Zuge der Friday'sfor Futures und der Klimakatastrophe nicht profitieren. Es scheint weiterhin so, dass die Führung der Linken mit Blick auf die simultan laufenden Wahl in Bremen nichts lernte: trotz des desaströsen Ergebnisses zur EU-Wahl plädiert beispielsweise Bernd Riexinger für einen „linken Politikwechsel“. Die Illusion, ein Bündnis mit Sozialdemokrat*innen (SPD) und Grünen würde eine politische Wende einläuten, bleibt wie eine radikale Kinderkrankheit in den Köpfen der Führung haften.

Als Partei der „kleinen Leuten“ kann sich die Linke nach einer ersten Analyse von Horst Kahrs von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gewiss nicht behaupten. Gerade einmal 5-6% der Wähler*innen der Arbeiter*innenklasse und welche in einem Angestelltenverhältnis konnte die Partei für sich verbuchen. Selbst für die grandios gescheiterte SPD wählten immerhin etwa 17% der Arbeiter*innen und Angestellten, nur die Freie Demokratische Partei hat einen niedrigeren Wert. Weiter aufgeschlüsselt nach Tätigkeit und sozialem Status verloren sie selbst die Arbeitslosenzusammen mit der SPDdie größtenteils (16%) zur rechtsradikalen Alternativen für Deutschland (AfD) wanderten. Es bleibt hierbei festzustellen, dass die von der Linkspartei anzusprechenden Schichten größtenteils ihr Kreuz bei rechten Parteien oder den Grünen machte. Eine tief gehende Aufarbeitung ward bis jetzt noch nicht erfolgt, angesichts der derzeitigen Meldungen von Führungskräften in der Partei ist jedoch davon auszugehen, dass von einer korrekten Analyse fatale Schlussfolgerungen zu ziehen sein werden. Das liegt seit jeher am Charakter der Linken, die sich als historisch-politische Nachfolgerin der sich selbst abschaffenden SPD klar in Position begibt. Trotz des pluralistischen Charakters ist seit der Verschmelzung von PDS und Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG) eine kontinuierliche Absage an genuin sozialistischen Ideen zu erkennen. Zwar wird weiterhin auf einen wie auch immer definierten demokratischen Sozialismus hingearbeitet. Dieser wird seine Entfaltung in Anbetracht einer erwünschten Regierungsverantwortung jedoch über eine Zähmung des Kapitalismus nicht hinausgehen.

So wie es bis heute suggeriert wird, scheint ein Niedergang nicht aufzuhalten. Trotz innerparteilicher Differenzen besonders in Bezug auf realpolitische Entscheidungen bleibt ein hegemonialer Schleier aufrechterhalten, um einer breiten linken Masse eine Stimme zu geben. Das hat jedoch zur Folge, dass zum Beispiel bei den Polizeigesetzen die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen gemäß ihrem Selbstverständnis als „Bürgerrechtspartei“ auf die Straße geht, derweil die Genoss*innen in Brandenburg mit der SPD nahezu einstimmig ein, wenn auch dezent moduliertes, Gesetz durchbringen. Der Karrierismus ist die Schlussfolgerung einer Bürokratisierung der Partei, derer zentrale Punkte des Parteiprogramms zugunsten dessen geopfert werden. Man stehe lieber in der „Festung des Kapitalismus als davor“, wie der Linken-Politiker EkkardBüdenbender so treffend formulierte. Die Wortmeldungen der Parteivorsitzenden Katja Kipping unterstreichen den Unwillen, die Konzeption einer sozialistischen Partei aufrechtzuerhalten. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE sehe sie den Sieg in einem westdeutschen Bundesland als „wichtiges Signal“, derweil der Verlust bei der EU-Wahl mit der fehlenden Prozenthürde und der Wahl kleinerer Parteien begründet wird. Damit steht Kipping erstaunlich nahe der analytischen Fähigkeiten der Unionsparteien, namentlich Elmar Brok, der hypothetisch bei einer bestehenden 5%-Hürde der Union 10-15% zuschreibe.

Die sich am Scheideweg befindende Linkspartei muss sich heute dringender denn je die Frage stellen, wessen Interessen langfristig vertreten werden sollen. Der schizophrene Charakter wird durch das breite Spektrum an Strömungen und Interessenvertretungen der Partei deutlich, die vom liberalen und kapitalfreundlichen Flügel bis zur antiimperialistischen Strömung reicht. Dieses artifizielle Projekt überlebt sich allmählich und es muss der Kompass so gestellt werden, um eine deutliche Hinwendung zu artikulieren. Wohin soll die Reise gehen? Möchte die Linke nicht in der Verbürgerlichung des Prozesses untergehen, sondern als Partei der Arbeiter*innen wahrgenommen werden, kommt sie nicht umhin einer proletarischen Demokratisierung in den eigenen Reihen sowie vom Pluralismus abgewandte Politik die Türen zu öffnen. Die Geschichte straft jeder Illusion radikale Lügen, die in einer „Mitte-links-Regierung“ eine graduelle Veränderung der Lebensverhältnisse sehen mögen. Das Kapital macht an nationalstaatlichen Grenzen nicht halt, so sind in der Europäischen Union stetig sozialdemokratische und sozialistische Regierung gescheitert, im reformistischen Rahmen eine Änderung herbeizuführen. Die letztliche Absage der Linkspartei der Kritik an der EU als „militaristisch, antidemokratisch und neoliberal“ ist auch eine Absage an den politischen Charakter, der der Pasokisierung sehr nahekommt. Der schwankende Wille steht hierbei diametral zur eigenen Geschichte und Identität der Partei, die sich auf Marxist*innen wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht bezieht.

Dem Wahldesaster wird nicht die notwendige Kritik zugemutet, die sie eigentlich erfahren sollte. Man versteckt sich hinter Phrasen und distanzierten Schuldzuweisungen, vermag sich jedoch dennoch nicht in einer negativen Lage wissen. Angesichts einer sich stets änderten gesellschaftlichen Begebenheit im Zeitalter des Spätkapitalismus, ist der faktische Reformprozess in der Linkspartei eine Kapitulation. Post- und antikapitalistische Ideen werden in Zirkeln oder höchstens Andeutungen angesprochen, prioritär scheint eine Beteiligung am Staatsapparat. Dabei täten sie mehr als gut daran, den parlamentarischen Machtfetisch abzuschweifen, um eine grundsätzliche Stimme der Unterdrückten und Verlierer*innen des herrschenden Systems zu geben. Eine selbsternannte Arbeiter*innenpartei, die prozentual eine Partei der Arbeitslosendoch auch hier nur in der Minorität istmuss sich die Frage stellen, wie sie weiter verfahren möchte. Es geht nicht um Köpfe oder Posten, sondern grundlegende theoretischen Analysen und Konzepten. Die Menschen sind offen für alternative Gesellschaftsmodelle, sei es in der Klimabewegung verankert oder den Enteignungsdebatten. Weshalb die Linke hier kaum Fuß fassen kann, ist ihrem widersprüchlichen Grundsatz zu verantworten. Mit Blick auf die realpolitischem Tätigkeiten in den erwähnten Bundesländer, die gegen die Rechte der Arbeiter*innen und für mehr Polizeibefugnisse sind als auch faktisch die Militarisierung des Staates vorantreiben und begünstigen, wird es immer schwerer, Partei für eine Linke zu ergreifen, die für jeden Wink eines Postens das Grundsatzprogramm aussetzen. Um aus diesem Dilemma herauszubrechen, gilt es radikal Farbe zu bekennen: entweder sozialistische Partei der Arbeiter*innen, oder staatstragende Verwalterin des Kapitalismus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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