Was treibt eigentlich Bernd Lucke?

Europawahl 2019 Bernd Lucke ist sich stets treu geblieben. Der ehemalige Vorsitzende der AfD hat mit LKR eine marktradikale Partei aufgebaut, die komplett auf ihn zugeschnitten ist.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es ist still um ihn geworden. Bernd Lucke, Ökonom und Gründer der Alternativen für Deutschland (AfD), befand sich von 2013 bis 2015 auf seinem politischen Höhenflug. Seine Kritik an der Europäischen Union (EU) formulierte er jedoch bereits, als er 2005 den sogenannten „Hamburger Appell“ initiierte, 2010 dann einen Aufruf startete, Hochschullehrer*innen der Volkswirtschaftslehre in einem Plenum zu vereinen, die „ausschließlich zu volkswirtschaftlichen Ausnahmesituationen“ beraten sollten. Durch die Erfahrungen der Finanzkrise 2007/2008 konnte sich eine verständliche EU-Skepsis entwickeln, die von einer grundsätzlichen Reform bis hin zur Abwicklung und Auflösung sprach. Durch die Gründung der AfD 2013 schuf er einen parteipolitischen Arm einer konservativen Kritik am ökonomischen Charakter der EU, besonders was die Einheitswährung betraf. Als das wurde die Partei anfangs auch wahrgenommen - Anti-Euro-Partei. Mit seinem Kokettieren am gesellschaftlich rechten Rand eröffnete er allerdings radikalen Kräften die Möglichkeit, auf dem Ticket einer EU-Kritik ein starkes Deutschland zu fordern. Eine Entwicklung, die die AfD heute zu einer völkischen Partei macht. Als sich ein Richtungskampf bezüglich der Ausrichtung entwickelte, versammelte sich der rechte Flügel geschlossen um die heute selbst geputschte Frauke Petry, wonach sich Lucke dazu gezwungen sah, einen „Weckruf 2015“ zu initiieren. Der Essener Parteitag bedeutete den Siegeszug und einen Rechtsruck der Partei, etwa 4.000 Mitglieder taten es ihm gleich und traten dem Verein bei.

Durch die unmittelbare Gründung einer neuen Partei wurden fünf der sieben EU-Mandate mitgenommen. Anfangs unter dem Titel Allianz für Aufbruch und Fortschritt (ALFA) entwickelte sich die nun lautenden Liberal-Konservativen Reformer (LKR) zu einer marktradikalen Partei, deren Markenkern weiterhin eine Kritik am Euro und der EU darstellt. Das Kürzel ALFA musste aufgrund einer Klage der „Aktion Lebensrecht für alle“ aufgegeben werden, was der Wirklichkeit auch sehr viel näher steht. Denn von einem Aufbruch, geschweige denn einen Fortschritt kann mitnichten die Rede sein. Gemeinhin hatte Lucke aus seinen politischen Fehlern durchaus gelernt und eine rigorose Unvereinbarkeit postuliert, wonach Links- wie Rechtsradikalen, doch auch islamistischen als auch islamfeindlichen, antisemitischen und nationalistischen Ideen kein Zuhause gegeben werden soll. Die LKR ist letztlich das Projekt geworden, was Bernd Lucke seit 2005 verfolgt, doch durch seine erzkonservative ökonomische Herangehensweise, die sehr wohl nationalistischen Spielraum zulässt, findet er kaum Gehör. Die Sicherheit, ob die LKR für die EU-Wahl 2019 Abgeordnete in das EU-Parlament schicken kann, ist dabei alles andere als gegeben. Aufgrund der Personalie Bernd Lucke traten September 2018 die Mitgründer*innen der Partei Bernd Kölmel, Hans-Olaf Henkel, Ulrike Trebesius und Joachim Starbatty aus.

Es mutet einem Personenkult an, denn der außerordentliche Parteitag verlautbarte, zur EU-Wahl mit den Namen des Gründers anzutreten. „Bernd Lucke und die Liberal-Konservativen Reformer“ stehen gemäß ihrem Wahlprogramm 2019 für eine radikale Entschlackung der EU als auch deren Mitgliedsstaaten. Sie verstehen die EU primär als wirtschaftliches Bündnis, deren Freizügigkeit demgemäß hochgeschätzt wird. Die Wirtschaftspolitik wird allerdings in die Kompetenzen der Nationalstaaten verortet, denn die primäre Kritik richtet sich an die Europäische Zentralbank (EZB in Frankfurt am Main, welche sie am liebsten auflösen möchte. Aufbauend davon sollen Richterurteile des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg keine Bedeutung mehr haben, die Rolle der EU wird durch Lucke und seine LKR auf ein rein marktradikales Konglomerat reduziert. Unter dem Titel „Wettbewerbskontrolle“ wird davor gewarnt, den „freien Kapital- und Zahlungsverkehr“ durch nationalstaatliche Kompetenz einzudämmen, wonach hier die EU als „gemeinsamer Markt“ verstanden wird. Hier wird ihr eine Autorität zugesagt, wovon die LKR normalerweise nichts wissen möchte. „Die EU muss eine effektive Wettbewerbskontrolle ausüben“, wird geschrieben, denn das Mantra einer „sozialen Marktwirtschaft“ wird hochgehalten. Sozial ist daran allerdings wenig, denn Sozial- und Bildungspolitik soll davon abgekoppelt Aufgabe der Nationalstaaten sein, deren dezidierte Wirtschaftspolitik einzig als verlängerte „Wettbewerbskontrolle“ verstanden wird. Es ist der Weg in eine freie, das heißt ungerechte und menschenfeindliche Wirtschaft.

Obgleich sie die EU als Staatengemeinschaft weitestgehend ablehnen, sehen sie sich in gelebter Tradition transatlantischer Verpflichtungen. Das Militärbündnis NATO wird zynisch als „eine auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie fußende Wertegemeinschaft“ umdefiniert, deren aggressiven Charakter als „Sicherheitsarchitektur“ verstanden wird. Der Feind steht auch für sie im Osten, doch direkt benannt wird das nicht. Mit HInblick auf eine starke NATO erfährt eine geplante „europäische Armee“ ungewöhnliche Kritik, deren Kern jedoch rein logistisch ist. Die EU als marktradikaler Wirtschaftsraum soll in loyaler Partnerschaft mit der USA bleiben, demgegenüber selbstverständlich die Erhöhung des Militäretats um 2% des BIPs abgenickt wird. Dennoch wird von einer „Emanzipation“ gesprochen, das heißt eine europäische Stärke definiert, die bei näherer Betrachtung jedoch mehrheitlich die BRD betreffen wird. In einer Bemerkung zur Währungsunion wird gesagt, dass die starke BRD letztlich nur durch eine Verkleinerung des Währungsraums überleben könne, was einer faktischen Auflösung gleichkäme. Sprechen Lucke und die LKR daher von einer „Stärke Europas“ als emanzipatorische Kraft von den USA, haben sie primär die BRD im Auge, die sie besonders in der sogenannten EU-Krise als potenzielle Verliererin sehen.

Was bleibt ist eine Kleinstpartei, die ihren Zenit längst überschritten hat. Ihr rechtspopulistischer Ursprung wird in der Asylfrage deutlich, bei der einerseits das Recht auf Asyl betont wird, es andererseits für Kriegsflüchtlinge eingeschränkt wird, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht gemeint waren. Formal stimme dies zwar, dennoch vertritt die UNHCR „den Standpunkt, dass Personen, die aus diesen Gründen fliehen und deren Staat sie nicht schützen kann oder will, als Flüchtlinge anzusehen sind.“ Der wirtschaftsliberale Flügel der AfD ist völlig in der LKR aufgegangen. Doch obgleich sie sich nicht auf völkische oder rechtsradikale Ideen bezieht, schwimmt sie weiterhin im selben Gewässer. Ihre Forderung nach einem starken Deutschland als faktische Führungsmacht in einer Wirtschaftsunion ist letztlich aus demselben Holz geschnitzt. Dennoch scheint es sehr unwahrscheinlich, dass die LKR ins neue EU-Parlament einziehen wird, besonders nachdem Bernd Lucke ehemalige Mitstreiter*innen vergraulte. Es ist der Fall eines EU-kritischen Ökonomen, der die falschen Weichen legte und nun alles dafür tut, sich weiterhin Gehör zu verschaffen. Sei neuestes Buch passt da perfekt in die Strategie. So austauschbar wie sein Parteiname bleibt auch die schematische Kritik an einem hochkomplexen Sachverhalt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden