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Standpunkt Die Haltung der Linken zu Venezuela fördert einmal mehr die inneren Widersprüche der Partei zutage

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Foto: Juan Barreto/AFP/Getty Images

Am 23. Januar 2019 geschah das, womit zwar jeder gerechnet hatte, doch nicht in diesem Augenblick und dieser Konstellation. Der Abgeordnete Juan Guaidó der zentristischen Partei Voluntad Popular (VP), die über die Sozialistische Internationale Schwesterpartei der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) ist, ernannte sich nach einer Kundgebung in der venezolanischen Hauptstadt zum „Übergangspräsidenten“. Als Grundlage zieht er die Verfassung heran, obgleich der Oberste Gerichtshof Venezuelas jegliches Agieren der Nationalversammlung für null und nichtig erklärt. De jure handelt es sich demnach um einen Bruch mit dem Gesetz, obgleich die Klassenpolitik eine übergeordnete Rolle spielt, die rasche Anerkennungen seitens westlicher Staaten untermauern. Nicht nur die Vereinigten Staaten, Kanada und mehrere Staaten Lateinamerikas befürworten den Putsch und Angriff auf die Demokratie Venezuelas, auch Frankreich, Spanien und die BRD ziehen es in Erwägung, im Falle einer ausbleibenden Neuwahl Guaidó als „Übergangspräsidenten“ Venezuelas anzuerkennen. Die Linkspartei indes, die progressiven und sozialistischen Staaten nach wie vor eine gewisse Form der Solidarität zugesteht, stellt sich gegen die Aussagen der Bundesregierung. In einer Erklärung vom 28. Januar 2019 verkündet der Parteivorstand, den Putschversuch zu verurteilen sowie gesetzte Ultimaten auszusetzen. Sie räumt ein, dass „eine Kritik an der Regierung von Nicolás Maduro legitim“ sei, betrachtet eine geplante militärische Intervention jedoch als Bruch des Völkerrechts, wie im Falle 2011 in Libyen.

So klar die Position der Linkspartei auf dem Papier und den offiziellen Kanälen erscheinen mag, die internen Widersprüchlichkeiten bedingt durch den betonten Pluralismus bleiben dennoch bestehen. Stefan Liebich, Mitglied der Bundestagsfraktion und Vertreter des reformistischen Flügels, kommt in einer Polemik, bei der er Menschenrechtsverletzungen in Ägypten anprangert, nicht umhin, eine Solidarität mit Maduro zu negieren. Das Dilemma der Linken besteht darin, eine grundsätzliche Position zu beziehen, die jedoch die herrschende Klasse nicht zu sehr erzürnt. Ursache ist die fehlende beziehungsweise negierende materialistische Grundlage der Herrschenden, die Beziehungen zu Staaten anhand oberflächlicher, dem eigenen Wirtschaftssystem genehme Aspekte zu betonen. Da verkommen Saudi-Arabien und die Türkei zu Partnerinnen, die zwar getadelt werden, jedoch aufgrund wirtschaftlicher Zusammenarbeit keine ernsthafte Sanktion erfahren werden. Diesen Umstand kritisiert die Linkspartei folgerichtig und aufrichtig, denn gerade die militärische Zusammenarbeit manövriert die BRD in die Lage einer Mittäterschaft. Der Völkermord gegen die kurdische Bevölkerung und die humanitäre Katastrophe im Jemen wird materiell und finanziell von der Bundesregierung mitgetragen. Das klar strukturierte Feindbild der Herrschenden ist folgerichtig und dauernd der Kritik der Linkspartei ausgesetzt. Doch sie ist selbst gefangen in der Post-Kalte-Krieg-Rhetorik.

Um aus diesem Dilemma auszubrechen, ist es jedoch notwendig, eine konsequente Stellung zu beziehen. Blockiert wird das durch die antagonistischen Flügel, deren Divergenzen sich besonders außenpolitisch bemerkbar machen. Die Venezuela-Politik trägt das offen zur Schau, bei der die offizielle Verlautbarung nicht weniger als der Versuch eines Kompromisses darstellt. Neben bedingungsloser Solidarität mit dem Chavismus finden sich auch vereinzelte Stimmen, die Maduro und die Regierung bewusst „diktatorisch“ schimpfen, und somit den Putsch strukturell bejahen. Diese Problematik ist nicht nur in der Partei beheimatet, sondern Wesen der politischen Linken als solche. Durch den Pluralismus der Partei befindet sie sich jedoch in einem besonderen Spannungsfeld, das langfristig nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Die Russland-Politik treibt diesen Spagat bis ins groteske, bei der sich die mehrheitlich faktisch reformistische Führung der Linkspartei der strukturellen Russlandfeindschaft mitverantwortlich macht. Grund hierbei ist die fehlende Aufarbeitung des Rassismus gegen Slaw*innen, der tief verwurzelt war und ist in der deutschen Geschichte. Der formale Antikommunismus der Herrschenden war lediglich eine Verlängerung der slawischen Verachtung, die bei den deutschen Faschist*innen ihren grausamen Höhepunkt erlangte.

Doch was bedeutet das im konkreten? Die Linkspartei und ihre Wähler*innen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob der sozialistische Pluralismus tatsächlich progressiv ist – oder im Kern ein Hemmnis darstellt. Die Reformation des Kapitalismus ist ein utopisches Unterfangen, da er an seinen ökologischen Widersprüchen zugrunde gehen muss. Die Anerkennung und Solidarität mit Staaten und Gesellschaften, die einen alternativen Weg fernab der globalistischen und kapitalistischen Logik einschlagen, muss kritisch gegeben sein. Bis auf Arbeitsgruppen und vereinzelte Abgeordnete existiert allerdings kein Grundkonsens, der der Partei auferlegt sein sollte. Die bürgerliche Extremismus-Klausel, die entgegen dem eigenen Anspruch gerade nicht vom politischen Radikalismus emanzipiert ist, liegt wie ein Damoklesschwert über die Partei und ihre führende Vertreter*innen. Der demokratische Boden ist schnell verlassen, wenn sich Linke mit Venezuela, Kuba oder auch Nicaragua solidarisieren. Doch die Definition ist eine willkürliche, denn Ungarns Jagd auf Obdachlose oder Spaniens Bürgerkrieg in Katalonien sind und waren im Interesse des Kapitals, hiernach nicht oder kaum zu kritisieren. Diesen Widerspruch benennt die Linke zwar stets, doch sie bleibt bei Anklage und wagt nicht, den nächsten Schritt zu gehen: die inhärenten Produktionsverhältnisse infrage zu stellen

Stefan Liebich ist nicht nur nicht solidarisch mit Nicolás Maduro, er findet es auch eine spezielle Nennung wert, dass der US-Botschafter Richard Grenell beim Neujahrsempfang der Partei auftauchte. Mit dem Hintergrund der innenpolitischen Einmischung des Botschafters und der drohenden militärischen Intervention in Venezuela hinterlässt das mehr als einen bitteren Beigeschmack. Die verständliche Empörung wird mit einer Aussage konterkariert, der russische Botschafter wäre auch anwesend. Das beschreibt den schleichenden Niedergang der parlamentarischen Linke perfekt, die sich weigert, ihre Wurzeln und Traditionen nicht nur zu wahren und zu verteidigen, sondern auch anzuwenden. Trotz kalkulierter Empörungen der bürgerlichen und rechtsradikalen Parteien veranstaltete die Linksfraktion eine Erinnerung an „100 Jahre KPD“. Darin wird das Wirken und Denken Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts hervorgehoben und verteidigt. Doch soll das mehr als nur Erinnerung sein, steht die zentrale Frage im Raum: Quo vadis, Linkspartei? Halbgare Meldungen und Bekundungen, die über das Wort der Anklage nicht hinausgeht, bleibt nur als sozialistischer Schatten der linken Realpolitik. Es gibt mehr als reichlich zu kritisieren an Venezuela und Russland, doch das darf keine Voraussetzung dafür sein, den Klassenkampf der Bürgerlichen zu imitieren, da dadurch letztlich das eigene Fundament angegriffen wird. Was bleibt ist die schwindende Hoffnung, dass die Linkspartei ihren Klassenstandpunkt akzeptiert und die berühmten Worte Rosa Luxemburgs verinnerlicht: „Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht!“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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