Wer hier Nazi ist, bestimme immer noch ich!

Antifaschismus „Nazis raus!“, schreibt eine Journalistin. Viele vermeintlich Konservative beklagen sich – und die Debatte läuft. Doch der Faschismus war nie Opfer und wird es nie sein

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Wer hier Nazi ist, bestimme immer noch ich!

Es waren nur zwei Worte, die die Journalistin Nicole Diekmann am 1. Januar 2019 twitterte. Man müsste meinen, sie seien eine Selbstverständlichkeit, gerade mit Hinblick auf die deutsche Geschichte. Doch antifaschistisches Engagement wird schon längst mittels deren Mitteln konterkariert, die es zu bekämpfen gilt. Es unterliegt der Eigenart der Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit, die in der BRD einseitig und langfristig schädlich betrieben wurde. Die Folge dessen ist im 21. Jahrhundert mehr als deutlich. Der genuine Antifaschismus wird seinem eigenen Feindbild gleichgesetzt, derweil die moralischen und politischen Erben des Faschismus als oppositionelle Widerstandskraft auftritt. Diese Diskrepanz ist bis ins bürgerliche Lager ersichtlich, in dem die Worte Diekmanns ein Echo auslösen, in der die Frage im Raum steht, was ein Nazi denn nun sei. Historisch und politisch betrachtet sollte es da keine Probleme geben, doch der Begriff wurde von der konservativen und radikalen Rechte für ihre eigene Agenda schon längst usurpiert. Die ironisierte positive Neubesetzung eröffnete eine inszenierte Widersprüchlichkeit, die auch nicht vor tatsächlich positiven Bezügen des traditionellen Faschismus halt macht. Der Nachtrag Diekmanns auf die Frage, was ein Nazi nun sei, „jede*r, der*die nicht die Grünen wählt“, ist in seiner Ironie unverkennbar, doch spielte der radikalen Rechten zu leicht in die Hände. Das bewirkte eine „Entironisierung“ der Aussage, bei der vor allem die Alternative für Deutschland (AfD) und ihr rechter Flügel eine Wirklichkeit hineininterpretiert, die dem eigenen Weltbild genehm erscheint. Die Diskussion darüber wurde zusätzlich befeuert durch einen vermeintlichen Angriff auf den AfD-Politiker Frank Magnitz, deren Hergang sich jedoch mehrmals widerspricht.

Die Aussage, Faschist*innen nicht willkommen zu heißen, und der vermeintliche Angriff auf Magnitz mag der Zufälligkeit geschuldet sein, doch steht als wirkmächtige Kontinuität zentral in der generellen Debatte. Ohne jegliche Beweise bereits kurz nach der Veröffentlichung des Fotos des verletzten Politikers übertrafen sich Bemitleidungen aller politischer Lager, die die „Tat“ unisono verurteilten. Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen stellte die Verbindung her, in dem er antifaschistisches Engagement durch den „demokratischen Rechtsstaat“ verwirklicht sehen möchte. „Wer Hass mit Hass bekämpft, lässt am Ende immer Hass gewinnen“. Eine Tautologie, die der Realität jedoch bereits eine Wertung vorwegnimmt. Frei jeglicher Beweislage wurde der „Angriff“ dem linksradikalen Spektrum zugeordnet, gekrönt mit einem gefälschten Bekennerschreiben, das von Erika Steinbach, die die Faschist*innen als „Linksideolog*innen“ sieht, ungeprüft verbreitet wurde. Die Unstimmigkeiten im Fall Magnitz spielen jedoch eine sekundäre Rolle, denn er steht nichtsdestoweniger exemplarisch für eine schleichende Ummünzung des tatsächlichen Kampfes gegen Rechts. Die stets bediente Opferrolle ist weit mehr eine Verharmlosung des faschistischen Terrors als der Vorwurf der Rechtsradikalen, die Inflation des Begriffes „Nazi“ wäre es. Die Ablehnung einer Meinungsäußerung des rechten Randes wird beliebig als „Zensur“ oder „Meinungsunterdrückung“ gewertet, in dem relativ rasch fällt, dass die „wahren Nazis“ die Antifaschist*innen der heutigen Zeit wäre. Zusammenhanglos und völlig missverstanden wird hierbei auch die in den Mund Ignazio Silones gelegte Aussage verbreitet, kehre der Faschismus wieder, würde er nicht sagen, er sei der Faschismus. „Nein, er wird sagen: ‹Ich bin der Antifaschismus›“.

Trotz der wichtigen Aussage ist es dennoch historisch falsch und politisch fatal, den Nationalsozialismus und ihre Anhänger*innen dezentral und metaphysisch zu betrachten. Auch die formale Unterscheidung von Faschismus und Nationalsozialismus muss dialektisch aufgebrochen werden, in dem eine ideologische Fokussierung unbeachtet bleiben muss. Der Begriff Nationalsozialismus wurde von ihren Begründern und Politiker*innen propagandistisch bewusst gewählt, obgleich sich der sozialistische Aspekt lediglich auf eine völkische Komponente reduzieren ließ. Ökonomisch und gesellschaftlich war der Faschismus weit entfernt vom Sozialismus. Die häufig hervorgetragene Äußerungen, die Wirtschaft des Deutschen Reiches trug planwirtschaftliche Züge, verkürzt dabei die Dimension vulgaristisch auf voneinander getrennte Punkte. Eine teilplanwirtschaftliche Realität als Argument zu nutzen, den Faschismus vollkommen frei der eigenen Verantwortung zu wissen mit weiterem Blick auf den Stalinismus, ist eine völlige Leugnung materialistischer Prozesse. Die Kinderkrankheit des liberalen Antifaschismus mündet in der Weigerung, den Faschismus an der Wurzel zu analysieren. Er beschränkt sich einzig auf die entwickelten Folgen. Der Nationalsozialismus ist dem Wesen nach die deutsche Anwendung des italienischen Faschismus. Nazis sind Faschist*innen. Die bewusste Trennung verfolgt dabei erwähnte Ziele. Sozialist*innen, Kommunist*innen und linke Demokrat*innen werden stetig mit der Begrifflichkeit konfrontiert, wenn sie sich gegen Faschismus stellen. Dass die politische Linke der schärfste Feind des Faschismus war und ist, wird geflissentlich ignoriert.

Der heutigen Gesellschaft wurde dieser Scherbenhaufen der unzureichenden Aufarbeitung des Faschismus vor die Füße gelegt. Es reicht nicht, Faschist*innen metaphorisch überall rauszuwerfen, sondern es muss gelingen, die politische Konfrontation zu verstärken. Dies beinhaltet die ständige Offenlegung, Dokumentation und Begleitung der täglichen faschistischen Agenda, ungeachtet der verbalen und nonverbalen Aggressionen der Faschist*innen. Der Faschismus ist nicht an die NSDAP geknüpft, keine spezifische Definition der Hitlers und Himmlers, sondern eine rassistische, irredentistische, völkische und misanthrope Ideologie. Er versteht es problemlos, die Demokratie für sich zu vereinnahmen, um sie mittels der eigenen Instrumente auszuhöhlen. Die demokratisch gewählte AfD beweist kontinuierlich mittels ihrer Mitarbeiter*innen, Sympathisant*innen, Mandatsträger*innen und Wähler*innen, wie sich der überwunden geglaubte deutsche Faschismus präsentiert und manifestiert. Thomas Laschyk vom Volksverpetzer hat exemplarisch zehn Äußerungen der AfD dokumentiert, die die Aussage Magnitz’, die AfD hetze nicht, problemlos widerlegen. Neben Gewaltverherrlichungen gegen Angela Merkel, „Erlegungen“ und „Entsorgungen“ von Politiker*innen und der Traum von Füsilladen werden südamerikanische Diktaturen gelobt und Bürgerkriege ersehnt.

„Aber wo sind sie denn nur?“, fragt Roland Tichy in seinem Blog und mag keine Faschist*innen mehr finden. Sie sind in der „Mitte der Gesellschaft“, die Nachbar*innen, Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen. Der Faschist des 21. Jahrhunderts läuft äußerst selten mit einer Armbinde und in Militärkleidung durch die Gassen. Er sitzt in den Landtagen, Kommunen um im Bundestag. Er bezieht sich auf den nationalkonservativen Widerstand Stauffenbergs, der sich alles andere als eine Demokratie erhoffte. Man kann sie nicht rauswerfen, denn ganz gleich wo, sind Nazis eine Gefahr für die Menschheit. „Nazis raus“, schreiben in Solidarität mit Nicole Diekmann Politiker*innen, Fernsehsender, Zeitungen und Intellektuelle. Dieser Spruch ist mehr als nur eine Selbstverständlichkeit, die sich sowohl aus der Geschichte als auch dem Selbstverständnis einer besseren Gesellschaft herleiten lässt. Er bezeichnet die im Schwur von Buchenwald verewigte Losung, den Nazismus mit seinen Wurzeln zu vernichten. Der Faschismus war nie Opfer und wird es nie sein. Die Nachkriegsgeneration lag falsch. Der Faschismus ward nicht ausgerottet. Und obgleich sie sich den Begriff „Nazi“ wie eine Ehrenmedaille an die Brust heften, ist es falsch, ihn ihnen zu überlassen. Die einzige Frage, die sich hierbei nur noch stellen mag, ist die defensive Haltung derer, die sich persönlich angegriffen fühlen, fällt wahllos der Begriff „Nazi“ oder „Faschismus“. Wer es für wichtig und rentabel hält, den Begriff idealistisch-diskursiv aufzubrechen, um zu beteuern, kein Faschist zu sein, doch ohne das Adverb „aber“ nicht auskommt, der ist in der Regel genau das, was er vorgibt, nie und nimmer zu sein.

In diesem Sinne: Nazis raus.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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