Zurück ins Kriegsgebiet!

Migration Das „Rückkehrprogramm“ des BAMF versucht, Deutschland von der eigenen Verantwortung freizukaufen und behindert eine erfolgreiche Integration

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Das kommt also dabei heraus, wenn Horst Seehofer einmal eine Idee hat
Das kommt also dabei heraus, wenn Horst Seehofer einmal eine Idee hat

Foto: imago/ZUMA Press

Seit einigen Wochen plakatiert das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat großflächig und mehrsprachig ihr Rückkehrprogramm. Unter der Annahme einer „freiwilligen Rückkehr“ wird mit Startkapital und Anreizen geworben, Menschen mit „offensichtlich unbegründetem Asylantrag“ des Staates zu verweisen. In der Broschüre, die neben Deutsch, Arabisch und Englisch in noch 13 weiteren Sprachen verbreitet wird, wird die Möglichkeit von örtlichen Beratungsangeboten angeboten, die unter dem sperrigen Kürzel REAG/GARP („Reintegration and Emmigration for Asylum-Seekers in Germany/Government Assisted Repatriation Programme“) die Ausreise bürokratisch begleiten sollen. Grotesk klingt die Erklärung, dass man eine „freiwillige Rückkehr“ auch im Falle eines laufenden Asylverfahrens beantragen könne. Dieser Antrag habe formal keinen Einfluss auf das Verfahren, dennoch wird geraten, das Asylverfahren vor der Beantragung der Rückkehr zurückzuziehen. Die dadurch kolportierte Rechtslücke scheint den freiwilligen Charakter zu konterkarieren. Generell wird das Programm als unterdrückendes Instrument genutzt, um flüchtende Menschen dazu zu bewegen, möglichst schnell das Land zu verlassen.

Das sogenannte „Förderprogramm“ der REAG/GARP steht für 46 souveräne Staaten und die Palästinensische Autonomiebehörde bereit. Unterteilt werden die Staaten in verschiedene Gruppen, die verschiedene finanzielle Starthilfen zur Verfügung stellen. Neben der Übernahme von „Transportkosten“ (in dem Sinne in der Regel der Flug) wird ein individuelles Startkapital überlassen. Während die Minderheit in der Gruppe 1 – darunter Iran, Ghana und Pakistan – eine überschaubare Starthilfe von 500 EUR erhalten, muss sich die Majorität der Gruppe 2 mit 300 EUR begnügen. In letzterer Gruppe befinden sich Kriegsgebiete wie Syrien und Palästina. Obgleich IOM trotz der Auflistung des Staates explizit betont, dass eine „freiwillige Rückkehr“ nach Syrien aufgrund der „schwierigen Sicherheitslage“ nicht durchgeführt werden. Neben der Starthilfe von REAG/GARP wird unter Betrachtung mehrerer Faktoren bis zum 31. Dezember 2018 eine zusätzliche „Unterstützung“ – die StarthilfePlus – angeboten. Die Gewichtung wird anhand des Verlaufs des Asylverfahrens berücksichtigt. 1200 EUR wird denjenigen gewährt, die den laufenden Asylantrag zurückziehen, um das „Rückkehrprogramm“ zu starten. 800 EUR wird gewährt, wenn der Antrag abgelehnt wird oder der Mensch bei einem positiven Bescheid dennoch das Land verlassen möchte. Durch dieses Druckmittel wird im Umkehrschluss das verbriefte Recht auf einen Asylantrag durch Kürzung eines theoretischen Startkapitals bestraft.

Menschen aus Staaten wie Mali und dem Irak fliehen vor Terror, Krieg und Unterdrückung. Würden sie das „Rückkehrprogramm“ der BAMF und IOM in Anspruch nehmen, hätten sie mindestens 1100 EUR, höchstens 1700 EUR als Startkapital zur Verfügung. De facto kauft sich die BRD damit von der moralischen Verantwortung frei und transportiert den Irrglauben, damit den Menschen irgendwie zu helfen. Die erwünschte Freiwilligkeit setzt eine grundlegende Veränderung des Ursprungslandes voraus, denn kein Mensch flieht freiwillig. Dieses usurpierte Märchen, der flüchtende Mensch wolle einzig auf Kosten Fremder hausieren, wird durch mehrere Fakten konterkariert. Die Broschüre „Fluchtmigration“ der Bundesagentur für Arbeit vom November 2018 präsentierte Statistiken der Integration in den Arbeitsmarkt von flüchtenden Menschen. Unter anderem wird die positive Anerkennungsrate von 61% auf drei Staaten verteilt: Syrien, Irak und Afghanistan. In diesen Staaten herrscht jahrelanger Bürgerkrieg (Syrien), eine destabilisierte Regierung und Sicherheitslage (Irak) und eine große Präsenz von Terrororganisationen (Afghanistan). Diese Fluchtgründe unter populistischen Vokabeln wie „Wirtschaftsmigration“ zu subsumieren ist Ausdruck eines eurozentrischen und egoistischen Weltbildes. Darüber hinaus verrät die Broschüre die vielen positiven Vermittlungen in Ausbildungs- und Arbeitsplätze.

Im Jahre 2018 meldeten sich etwa 38.000 flüchtende Menschen zur Ausbildungsbewerbung beim Jobcenter, wovon mehr als 90% eine Stelle vermittelt werden konnte. Alleine diese Zahlen belegen den integrativen Willen der Flüchtenden, obwohl eine deutliche Kritik an dem Verfahren und der Ausnutzung derer nicht zu vernachlässigen ist. Asylbewerber*innen und flüchtende Menschen werden überproportional von der Wirtschaft ausgebeutet und stehen in einem orchestrierten Spannungsverhältnis zur einheimischen Arbeiterschaft. Das ist ein erwünschter Nebeneffekt des Klassenkampfes von oben, und die Früchte derer werden größtenteils von der radikalen Rechte gepflügt. Die dadurch erzwungene Paradoxie eruiert sich in den Forderungen, arbeitslose Flüchtlinge zur Arbeit zu zwingen und doch gleichzeitig den Arbeitsmarkt vor ihnen zu schützen. Dadurch soll die unterdrückte Klasse in sich gekehrt angegriffen werden, um so jeglichen Widerstand von Beginn an zu unterdrücken. Der Staat steht sich dabei selbst im Weg, da er den Charakter der Migration völlig falsch erkennt und in einen rassistischen Nationalismus verfällt, der sich der eigenen Ermächtigung zu Unrecht auf ökonomische Standpunkte bezieht.

Die tief verankerte Arroganz und Unmenschlichkeit der Industriestaaten lässt sich auch im internationalen UN-Migrationspakt erblicken. Von Nationalist*innen wird er als Angriff auf die Souveränität gelesen, obgleich er in seiner Funktion absolut nicht bindend ist und im Kern nicht mehr als der Realität Rechnung trägt. Der Grund der erzwungenen Migration ist im Verhalten und der Politik der westlichen Welt zu finden. Der exportierte Krieg in die arabische Welt erzwingt logischerweise die Wanderung. Der Hauptgrund ist seit jeher der Rassismus. In den Augen der Eurozentrist*innen ist dem flüchtenden Menschen keine Alternative möglich, als sich schuldig zu machen. Die regelrechte Entstaatlichung von Syrien, Irak oder Libyen ist die Handschrift der westlichen Kriegspolitik. Anstatt sich der Entwicklung global zu stellen, wird eine Militarisierung forciert, ein Schwarz-Weiß-Schema bis ins Groteske hochgehalten und der eigentliche Mensch wie ein Fremdkörper behandelt. In dieser Konstellation kann er nur verlieren, da ihm trotz gelungener Integration keine Sicherheit gewährt ist. Die Abschiebebescheide von jungen, erfolgreichen Menschen in Schulen, Betrieben und Ausbildungsstätten häufen sich, die Bundesregierung fordert mehr und mehr Abschiebungen und fabuliert eine Festung Deutschland herbei. Der Mensch wird auf ewig flüchten, so lange es Elend, Terror und Krieg gibt. Der Bürokratismus waltet über Existenzen von Menschen, ködert sie mit finanzielle „Anreizen“ und tut alles daran, trotz der Forderungen, eine Integration tatsächlich zu verwirklichen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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