Zurück zu Marx?

Richtung Will die Linke als Partei überleben, muss sie sich folgende Frage beantworten: Anpassung oder Opposition?

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Weiß er einen Ausweg?
Weiß er einen Ausweg?

Foto: Hannelore Foerster/Getty Images

Der Sonntag in Berlin war für die Linkspartei eine weitere Kraftprobe. Unter dem Titel „Fluchtursachen - Migration - Integration“ fand eine Konferenz statt, bei der die Positionierung der Partei zur Migrationspolitik eruiert wurde. Diese Diskussion ist jedoch nur eine von vielen internationalen Aufgabenstellungen, die den Pluralismus und hiernach widersprüchlichen Charakter der Bundespartei offen legt. Auch die „aufstehen“-Bewegung, initiiert von Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Bundestagsfraktion, wird als konkurrierende Organisation wahrgenommen, was mit Blick auf deren reformistischer Auslegung bezeichnend ist. Die Migrationspolitik legt die Kontrapunkte „offene Grenzen“ und „geschlossene Grenzen“ plakativ nebeneinander, die gleichzeitig die innerstaatliche Ausrichtung vorwegnehmen wird. Wagenknecht, eine aktive Fürsprecherin kontrollierender Grenzen, macht kein Geheimnis aus ihrer Grundlage, nationalstaatlich zu agieren. Langfristig wird zwar die Überwindung des Kapitalismus in Erwägung gezogen. Dennoch wird immer häufiger die dialektische Problematik bewusst, die insbesondere dann zum Vorschein kommt, wenn sich die Partei in Regierungsverantwortung wähnt. Die Rolle als wirkliche, sozialistische Opposition findet nur noch an der Oberfläche statt, denn auch wenn es einigen schwerfällt, die Tatsache zu akzeptieren: die Linke läuft unüberwindbar Gefahr, ihren Klassenstandpunkt zu leugnen und somit auch die ihr auferlegte Rolle als Vertreterin der Arbeiter*innenklasse.

Seit die Partei sich 2007 mit der Linksabspaltung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) - Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG) - zur Die Linke vereinte, wurde dieser Zug als demokratischer Erfolg verbucht, im weitesten Sinne einer einheitlichen Front, die politische Linke zu vereinen. Doch viele relevante Akteur*innen, wie die Kommunist*innen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), sahen das Projekt einer sozialistischen Partei mit Skepsis. Ein Problem war der gut gemeinte Wille einer pluralistischen Einheit, die die vielen Arbeitsgruppen und Flügel erst ermöglichten. Anstatt einer Einheit wurde somit der nach außen getragene Kurs stets durch Flügelkämpfe gesteuert, was der Partei das Etikett der „Nichtregierbarkeit“ aufzwang. Seit Gregor Gysis berüchtigter Rede 2012 - bei der dann Katja Kipping und Bernd Riexinger paritätisch Ost-West gewählt wurden - die Einheit der Partei zwingend forderte, kann durchaus von einer Konsolidierung gesprochen werden. Der Preis hierfür war allerdings eine schleichende Sozialdemokratisierung, die durch die katastrophale Realpolitik der SPD nur beschleunigt werden konnte. Nachdem sie mit Bodo Ramelow in Thüringen zum ersten Mal in der bundesrepublikanischen Geschichte den Ministerpräsidenten stellen, wird die Zentralisierung der uneinheitlichen Einheit mehr und mehr gefestigt. Es war die Ruhe vor dem Sturm, denn dieses Projekt konnte in diesem Maße nur temporär funktionieren.

Die „aufstehen“-Bewegung ist die zurzeit größte und ausschlaggebendste Reaktion der Schwäche des sozialdemokratischen Flügels des Deutschen Bundestags. Der Lösungsvorschlag der artikuliert wird, ist jedoch alles andere als eine antikapitalistische Alternative. Der grundsätzliche Wandel wird ebenso negiert wie die Frage einer neuen Klassenpolitik, auch wenn Wagenknecht stets prekär Beschäftigte und Arme erwähnt, deren Leid es zu lindern gilt. Doch hier liegt die Grundproblematik. Der Sozialismus, die Idee einer solidarischen und gerechten Gesellschaft, findet nur noch in historischen Erinnerungen oder bei Vertreter*innen des linken Flügels Erwähnung. Ein reaktionärer Rollback droht die Linkspartei zu erteilen, der bei der Frage offener oder geschlossener Grenzen nun zu beginnen droht. Neben richtiger und diskussionswürdiger Analysen, die den real existierenden Kapitalismus im 21. Jahrhundert beschreiben und charakterisieren - und somit auch Ursache der Migration aufgreift - bleiben die Erwägungen, wie damit umzugehen ist, stets auf halber Strecke stehen. Der Abzug der Soldat*innen, das Verbot von militärischen Gütern oder das Fordern humanitärer Hilfen in Kriegsgebieten sind Symptombehandlung, da der dialektische und ökonomische Prozess nur unzureichend beleuchtet wird. Sie bleibt auf dem Boden der sozialstaatlichen Perspektive, bejaht somit die Rolle der bürgerlichen Demokratie und hat trotz der Gründung in einem (proto)sozialistischen Staat jedwedes marxistisches Werkzeug völlig aus den Augen verloren.

Dieser Widerspruch der historischen Kontinuität ist eines der Hauptgründe, weshalb die Linkspartei im einstelligen resp. anfänglich zweistelligen Prozentbereich bei Wahlen und Prognosen stagniert. Die radikale personelle, programmatische und organisatorische Erneuerung seit den 1990er Jahren hat sich als doppelter Misserfolg herausgestellt. Marxist*innen, Kommunist*innen und andere Sozialist*innen finden zwecks der rigorosen Anpassung kein Zuhause mehr, doch auch progressive Bürgerliche und Sozialdemokrat*innen werden ihr scheint's ewig die Existenz der DDR vorhalten. Sie ist die parteipolitische Spiegelung des Realsozialismus mit all seinen Folgen. Ihr bleiben dabei im Kern nur zwei Optionen: entweder sie bekennt sich nicht nur formal, sondern auch programmatisch auf ihr Erbe, den Gründer*innen der Spartakusgruppe und auf die sozialistische Arbeiter*innenbewegung, oder sie wird die Tradition und das Wesen der Sozialdemokratie annehmen, langfristig in einer Fusion mit der SPD. „Immerhin auch eine Heilung“, wie Bernd Ulrich schreibt. Diese Heilung wird die Partei jedoch in der jetzigen Zeit, bei der die Gefahr des Klimawandels propagandistisch bekämpft wird, der Militarismus in allen westlichen Staaten wieder Oberhand gewinnt und die daraus folgende erzwungene Flucht von Menschen vor Terror, Krieg, Dürre und Überschwemmung, nur selbst begraben.

Ulrich nennt die Linke die „Partei der Kränkungen“. Nachdem sie ihren Status als Ostpartei an die Alternative für Deutschland (AfD) verlor und die SPD eine (nur semantische) Abkehr von Hartz IV erwäge, bleibe nur die Tradition. Diese verkürzte Zusammenfassung der Partei zeigt die eigentliche Schwäche. Sie hat die Zeichen der Zeit schon längst geleugnet, predigt die Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften, fühlt sich in der Pflicht der sofortigen Distanzierung, wenn Gewalt in Form der Auseinandersetzung ihren Weg in die Presse findet, und somit die Rolle des Widerstands einzig anhand der subjektiven Gewalt abstrahiert. Die strukturelle Gewalt derjenigen, die ein Monopol darauf haben, erfahren jedoch keine Erwähnung. Mittelfristiges Ziel bleibt dabei eine Koalition mit Grünen und Sozialdemokrat*innen, um einen Wandel herbeizuführen. Das widerspiegelt den Wunsch, die Utopie, nach einem starken Nationalstaat, der den zähmenden Kapitalismus in sich trägt. Der tatsächliche Wandel in eine postkapitalistische Gesellschaft wird von der Linkspartei nicht näher beleuchtet, zu tief sitzt das eigene Trauma der deutschen Geschichte. Sahra Wagenknecht steht dabei sinnbildlich für das Wesen der Partei. Als orthodoxe Stalinistin beginnend in den 1990er Jahren ist sie nun auf dem Boden der alten Sozialdemokratie angekommen. Man möge zwar schon den Kapitalismus überwinden, doch wenn alleine die Scheu, die kommende Gesellschaft Sozialismus zu nennen, so groß ist, wird diese Partei keinen Ausweg aus der Katastrophe finden. Die Linke ist mehr Schatten der SPD als Erbin der SED geworden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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