Corona und linke Kritik(un)fähigkeit (2)

Corona-Debatte Auch die zweite Online-Diskussion traf auf großes Interesse, und technisch lief es besser als beim ersten Mal.

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Am 14. Dezember 2020 trafen sich erneut Anne Seeck, Peter Nowak, Gerhard Hanloser und die Autorin dieses Beitrags online zu einer kritischen Corona-Diskussiondiesmal auf BigBlue Button.

Wir führten die am 7. Dezember 2020 begonnene politische Diskussion fort. Auch diesmal ging es um ziemlich viele Themen und Fragenstellungen. Zu Beginn berichtete Anne Seeck über die sozialen und psycho-sozialen Auswirkungen der Krise, über Angst im Kapitalismus und in der Corona-Krise. Sie fragte, warum sich die gesellschaftliche Linke so wenig für Arme interessieren würde.

Anschließend fragte Gerhard Hanloser, was davon zu halten sei, wenn es heißt, dass Verschwörungstheorien strukturell antisemitisch seien, und dass mensch den Kapitalismus als "abstraktes Verhältnis" nicht personalisieren dürfe. Das führte zur Frage, ob sich überhaupt Kritik an machtvollen Akteuren formulieren lässt, ohne sie zu benennen, oder ob es nicht sogar notwendig sei, Namen und Fakten konkret zu machen?

Die Autorin dieses Beitrags schloss daran mit einigen Ausführungen zu Bill Gates und seiner Stiftung an, die nicht nur in der Corona-Pandemie, sondern im ganzen Feld der globalen Gesundheit eine wichtige Rolle spielt. In diesem Zusammenhang fragte sie auch, was sich eingeschlichen hat an Umgangsweisen, Be- und Verurteilungen unter sich als links Verstehenden, wenn sich unversöhnliche Kritik eher an Protestierende richtet als gegen "die da oben"?

Abschließend sprach Peter Nowak darüber, wie im Zuge der Corona-Pandemie autoritäre Staatlichkeit voranschreitet, Demonstrationen verboten werden und Überwachung zunimmt. Er fragte, warum so wenig Kritik von großen Teilen der Linken kommt, die gerade nach der Aufdeckung des NSU wieder verstärkt die Auflösung des Verfassungsschutzes forderten, und ob die Erfahrung vergessen wurde, dass Repressionsorgane in erster Linie gegen Staats- und Kapitalismuskritiker*innen vorgehen.

Wie beim ersten Mal haben wir auch bei dieser Veranstaltung unsere Inputs aufgezeichnet und veröffentlicht. Die anschließende Diskussion – bei der auch diesmal wieder viele nach dem offiziellen Ende nach gut zwei Stunden noch zum gemütlichen Ausklang blieben – zog sich noch bis in die Nacht und endete abrupt aufgrund eines technischen Versehens.

In meinem Input ging es um Bill Gates, dabei habe ich auf einige meiner Veröffentlichungen zurückgegriffen:

Die Bill & Melinda Gates Stiftung

Wer Bill Gates und die Bill & Melinda Gates Stiftung kritisiert, fängt sich heute mitunter den Vorwurf ein, Verschwörungstheorien anzuhängen. Vielleicht muss nicht jede krude Erzählung gleich zur Theorie aufgeblasen werden, und es wäre besser, von Verschwörungserzählungen oder Verschwörungsmythen zu sprechen. Im Attac-Theorieblog habe ich dazu im Juni 2020 den Beitrag „Ist doch alles ganz einfach – Mit Verschwörungs“theorien“ die Welt erklären?“ veröffentlicht.

Mittlerweile neige ich dazu, diese Begriffe nur noch sehr vorsichtig oder gar nicht mehr zu verwenden, weil sie viel zu oft als Waffe benutzt und denunziatorisch eingesetzt werden, um abweichende Meinungen zu diskreditieren. Allerdings finde ich es nach wie vor wichtig, unbelegte Behauptungen zurückzuweisen, die ja oft mit dieser patriarchalen Pose daherkommen: „Ich (und nur ich) weiß es ganz genau und besser als andere“. Das ist für mich Ausdruck neoliberaler Konkurrenz und oft patriarchale Rechthaberei. Leider beobachte ich diese Pose zunehmend auch von anderen Seiten.

Was ist nun dran an der Kritik an Bill Gates?

"In dieser Pandemie ist der Microsoft-Gründer Bill Gates regelmäßig in den Medien. Die ARD gab ihm am 12. April mehr als 9 Minuten lang die Gelegenheit, seine Sicht darzulegen. Mit seiner Ehefrau hat er die Bill & Melinda Gates Foundation gegründet, die über rund 50 Milliarden US-Dollar Stiftungsvermögen verfügt. Mit diesem steuersparend gesammelten Geld werden unter anderem Gentechnik-Forschung in Landwirtschaft und Medizin und die Entwicklung von Impfstoffen finanziert.

Vermutlich deswegen wurde in dem Interview der Eindruck erweckt, Gates sei ein Experte, befähigt oder gar berechtigt zu sagen, was nun zu tun sei. "Wir werden den zu entwickelnden Impfstoff letztendlich sieben Milliarden Menschen verabreichen“ verkündete er vollmundig, und dass „wir die Entscheidungen zum Einsatz eines neuen Impfstoffes auf einer geringeren Datengrundlage als sonst fällen, damit wir schnelle Fortschritte erzielen." Selbstgerecht stellte er fest: "Im Sommer können wir hoffentlich einige Bereiche des Lebens wieder öffnen. Zu der Normalität vor Corona werden wir erst dann zurückkehren können, wenn wir entweder ein Wundermittel gefunden haben, das in 95 Prozent der Fälle hilft, oder wenn wir einen Impfstoff entwickelt haben." Wen meint er mit „wir“? Solche Entscheidungen obliegen doch der Politik und nicht Privaten!"

(Aus: „Schöne neue Normalität – Die Verlockungen des Wir und das Elend des Entweder-Oder“, Juni 2020)

"Mitte Oktober 2018 eröffnete die Bill & Melinda Gates Foundation ihre zweite europäische Niederlassung in Berlin. Die US-amerikanische Stiftung des Microsoft-Milliardärs und seiner Ehefrau ist bereits seit 2010 in London ansässig. Vollmundig verkündet sie auf ihrer Website: „Jedes Leben hat den gleichen Wert“ und: „Wir sind ungeduldige Optimisten, die daran arbeiten, Ungerechtigkeit zu verringern.“ Das klingt gut, aber was heißt das konkret?

Bill Gates gilt als zweitreichster Mensch der Welt, zum Leitungsteam seiner Stiftung gehört auch der Investor Warren Buffett. Nach eigenen Angaben hat die Stiftung im Jahr 2017 Förderungen von 4,7 Milliarden US-Dollar ausgereicht und verfügt über ein Vermögen von mehr als 50 Milliarden Dollar. Damit ist sie die größte private Stiftung der Welt. Noch nie in der Menschheitsgeschichte gab es so unvorstellbar machtvolle Ansammlungen von Geld in privater Hand.

Die Macht des Geldes

Das Ehepaar Gates möchte sich der größten Herausforderungen der Welt annehmen: „extreme Armut und schlechte Gesundheit in den Entwicklungsländern sowie das Versagen des amerikanischen Bildungssystems“. Ihre Stiftung kooperiert in diesem Sinne weltweit mit Regierungen – auch mit dem Bundesentwicklungsministerium – und ist einer der größten Geldgeber der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Die Hilfsorganisationen Misereor und Brot für die Welt sowie das unabhängige Global Policy Forum haben 2015 in der Studie „Philanthropische Stiftungen und Entwicklung – Trends, Risiken und Nebenwirkungen“ vor allem die Gates-Stiftung und die vor mehr als 100 Jahren gegründete Rockefeller-Stiftung untersucht. Kritisiert wird die Orientierung auf technologische Lösungen und „unternehmens- und marktbasierte Instrumente“, während „strukturelle Maßnahmen mit längerfristigen und schwer messbaren Resultaten vernachlässigt werden“. Auch die Einflussnahme auf die Politik sei problematisch, beispielsweise die Befürwortung von Gentechnik durch die Gates-Stiftung.

Die Journalistin Kathrin Hartmann kritisiert in ihrem Buch „Aus kontrolliertem Raubbau“ die Geschäftspolitik der Gates-Stiftung, vor allem die engen finanziellen und personellen Verflechtungen mit der Industrie. Sie beschreibt beispielsweise, dass die Stiftung in Nigeria ein Impfprogramm gegen Malaria fördert, gleichzeitig jedoch in Aktien von Ölmultis wie BP und Shell investiert, die die Lebensgrundlagen der Menschen dort zerstören. Auch die Zusammenarbeit mit Pharmafirmen oder mit Cola-Cola nützt vor allem den Unternehmen. Vermeintliche Sozialprojekte stellten sich als Marktentwicklungsstrategien heraus.

Reformen predigen und Privatisierung meinen

Die Macht solcher philanthropischer Stiftungen ist umso größer, je leerer die öffentlichen Kassen sind. Wenn in Ämtern und Institutionen die Fachleute fehlen, wird private Expertise oft gerne angenommen, auch wenn sie keineswegs uneigennützig angeboten wird. Die Bertelsmann Stiftung aus Gütersloh – mittlerweile weltweit tätig – ist schon seit vielen Jahren maßgebliche Stichwortgeberin der Forderung nach einem schlanken Staat und nach „Effizienz“ in der Verwaltung. Dazu empfiehlt sie mit fast religiösem Eifer Reformen, mahnt Messbarkeit und Vergleichbarkeit öffentlicher Leistungen an. Praktischerweise bietet Arvato, die Dienstleistungsfirma des Medienkonzerns Bertelsmann, dafür ein ganzes Bündel an Leistungen an: „Modernisierung der öffentlichen Verwaltung durch moderne Steuerungsmodelle und E-Government“ und „integrierte Lösungen für die öffentliche Hand“.

Ebenso wie die Gates-Stiftung setzt Bertelsmann auf unternehmerisches Handeln, empfiehlt die Privatisierung öffentlicher Leistungen zur (vermeintlichen) Effizienzsteigerung und propagiert vor allem technische und digitale Strategien zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. 2009 gründete Bertelsmann die gemeinnützige Phineo AG in Berlin, ein „Analyse- und Beratungshaus für wirkungsvolles gesellschaftliches Engagement“. Phineo bietet Beratungen, Workshops und ein Spendensiegel an, um die Wirkungen von gemeinnützigem Engagement zu analysieren und zu verbessern. Phineo-Mitgründer Andreas Rickert war zwischen seinen Tätigkeiten bei der Unternehmensberatung McKinsey und bei der Weltbank als Programmdirektor und Vorstandsassistent für die Bertelsmann Stiftung tätig. Das Manager Magazin bezeichnete ihn im September 2016 als „Business Rebel“, der Spendern Marktdenken beibringt. Anlass des Artikels war, dass die BMW-Erbin Susanne Klatten (geborene Quandt, die reichste Frau Deutschlands) Phineo beauftragt hatte, mit 100 Millionen Euro aus ihrem Vermögen gemeinnützige Organisationen zu unterstützen. Immerhin legt Phineo mit der „SKala-Initiative“ ausführlich offen, wie diese Mittel verwendet werden.

Die Übernahme sozialer Aufgaben nach eigenem Gutdünken durch Superreiche und ihre Organisationen wird in den USA und auch in Großbritannien schon seit einigen Jahren unter der Bezeichnung „Philanthrokapitalismus“ kritisch diskutiert. Die erste derartige Organisation war die 1913 gegründete Rockefeller Foundation. Die Gates-Stiftung in Berlin ist sicher erst der Anfang einer Entwicklung, die kritischer Wachsamkeit bedarf."

(Aus: „Geben als Geschäftsmodell – Die Bill-Gates-Stiftung, Bertelsmann, Phineo und andere vermeintliche Wohltäter in Berlin“, Februar 2019)

Ja, Kritik!

Trotz Verschwörungserzählungen um Bill Gates und seine Stiftung finde ich es wichtig, nicht deshalb mit der Kritik aufzuhören. Es kommt vielmehr darauf an, wie diese Kritik geäußert wird. Es geht nicht darum, Hass zu verbreiten oder gar Bill Gates den Tod zu wünschen (so wie manche Rechte beispielsweise Bilder von Kanzlerin Merkel am Galgen zeigen), sondern darum, die Ansammlung solcher unfassbar großen Vermögensmassen zu kritisieren. Warum nicht ab einer bestimmten Höhe eine globale Vermögensteuer von 100 Prozent?

Um das zu kritisieren, will ich mich nicht zuerst von irgendwelchen Verschwörungserzählungen distanzieren. Es muss doch möglich sein, das in aller Härte zu kritisieren. Wenn ich stundenlang recherchiert habe, um mir fundiertes Wissen anzueignen, dann kann ich das noch lange nicht von allen verlangen. Diejenigen, die das berechtigte Gefühl der Empörung über solch illegitimen Reichtum mit anderen, vielleicht nicht so gepflegten Worten formulieren, möchte ich deshalb nicht den Rechten überlassen. 1973 erschien von Bernt Engelmann und Günter Wallraff das Buch „Ihr da oben – wir da unten“. Ich denke, es ist immer noch vollkommen legitim und wichtig, so zu denken und zu sprechen. Es ist notwendig, gegen Ungerechtigkeiten zu rebellieren.

Früher war es selbstverständlich zu fragen: „Cui bono“ / Wem nützt es? Heute beobachte ich mitunter eine intellektuelle Arroganz gegenüber denjenigen, die sich berechtigterweise aufregen. Dabei käme es doch darauf an, sich daneben zu stellen und gemeinsam zu kämpfen. Dabei gestehe ich meine eigene relative Unfähigkeit ein, denn ich stehe auch meist ratloser davor, als ich hier spreche. Aber es ist mir ein Anliegen.

Den ersten Teil dieser zweiten Veranstaltung am 14.12. mit den Inputs haben wir aufgezeichnet und HIER veröffentlicht. Der Vortrag von Anne Seeck liegt hier auch schriftlich vor (pdf).

Auch den ersten Teil der Veranstaltung vom 07.12. mit den Inputs von Gerhard Hanloser, Peter Nowak und Elisabeth Voß haben wir aufgezeichnet und - trotz aller technischen Unzulänglichkeiten – veröffentlicht. Einen kurzen Bericht habe ich hier veröffentlicht.

Wir machen weiter! Nächstes mal am Montag, 21.12.2020 um 19:00h. Hier geht es zur Einladung und zum Einwahllink

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

elisvoss

Freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.

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