Corona und linke Kritik(un)fähigkeit (3)

Corona-Debatte Über einige Wechselwirkungen zwischen der Corona-Krise und ökonomischen Prozessen.

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Gemeinsam mit Anne Seeck, Peter Nowak und Gerhard Hanloser organisiere ich seit dem 7. Dezember 2020 eine Online-Veranstaltungsreihe für eine kritische Corona-Diskussion. Wir fragen uns und die Teilnehmenden, ob die gesellschaftliche Linke staatstreu geworden ist und sich nur noch einreiht ins "Gemeinsam gegen Corona", oder wo es kritisch-solidarische Perspektiven "von unten" gegen die Alternativlosigkeit "von oben" gibt.

In der dritten Veranstaltung am 21. Dezember 2020 ging es um das Weltwirtschaftsforum (WEF) und dessen Gründer Klaus Schwab, um Social Business und Great Reset, und um die Proteste gegen das WEF seit Ende der 1990er Jahre.

Die ohnehin schon fortschreitende Digitalisierung aller Lebensbereiche erfährt einen ungeheuren Schub. Welche Folgen hat die Durchsetzung des digitalen Kapitalismus im globalen Maßstab? Was hat es auf sich mit dem "Great Reset" dem Thema des nächsten Weltwirtschaftsforum / World Economic Forum (WEF) 2021 – der von dessen Gründer Klaus Schwab propagiert wird?

Ich habe einen kritischen Blick auf die (vermeintliche) Wiedergutwerdung des Kapitalismus geworfen:

Great Reset: Auf Knopfdruck wird alles anders?

Zunehmende soziale Ungleichheiten, ein weit verbreitetes Gefühl der Ungerechtigkeit, sich vertiefende geopolitische Gräben, politische Polarisierung, wachsende Haushaltsdefizite und eine hohe Verschuldung, eine ineffektive oder nicht vorhandene globale Ordnungspolitik, exzessiver Finanzmarkt-Kapitalismus, Umweltzerstörung: das sind nur einige der größten Herausforderungen, die bereits vor der Pandemie bestanden. Die Coronakrise hat sie alle noch verschärft.“

Das schreiben Klaus Schwab – der das Weltwirtschaftsforum 1971 gründete – und der Wirtschaftsanalyst Thierry Malleret in ihrem Buch „Covid-19: Der große Umbruch“. Das Buch gibt es nicht im Buchhandel, es kann nur bei Amazon bestellt werden.

Auch Wirtschaftsmächtige sehen, dass es so nicht weitergehen kann.

„Das Weltwirtschaftsforum, das jährlich im Januar in Davos tagt, wurde für 2021 in den Mai und nach Luzern verschoben, Thema: „The Great Reset“. Ein Neustart von Wirtschaft und Gesellschaft nach der Pandemie, mit dem wie auf Knopfdruck alles gut wird – wie ein Imagefilm suggeriert. Ein „Davos-Manifest 2020“ hat Forums-Gründer Klaus Schwab schon im Dezember 2019 verfasst. Demnach liegt „der universelle Auftrag eines Unternehmens in der Vierten Industriellen Revolution“ nicht darin, seinen Aktionären zu dienen, sondern es soll allen Beteiligten, den Mitarbeitenden und Kund/innen, den Zulieferern, der lokalen Gemeinschaft und der ganzen Gesellschaft nützen.

Das Weltwirtschaftsforum ist seit 50 Jahren ein Treffpunkt von Vertreter/innen von mehr als 1.000 Großunternehmen, aus Politik und Wissenschaft sowie von NGOs. Im Davos-Manifest von 1973 sind ähnlich schöne Worte zu lesen, den Raubbau an Mensch und Natur hat das nicht verhindert. Warum sollte es diesmal anders sein? Der Kapitalismus ist strukturell wandlungsfähig und seine Profiteure waren schon immer gut darin, ihr Handeln mit ideologischen Nebelkerzen in ein besseres Licht zu rücken.

Schwab ist einer der wichtigsten Protagonisten der Social-Business-Bewegung. Gemeinsam mit seiner Frau Hilde gründete er 1998 die „Schwab Foundation for Social Entrepreneurship“ als Schwesterorganisation des Weltwirtschaftsforums. Diese Stiftung möchte „Soziale Innovationen“ beschleunigen, indem sie führende Sozialunternehmer/innen unterstützt und vernetzt, die soziale Probleme mit unternehmerischen Mitteln lösen möchten. Sicher sind darunter respektable und nützliche Vorhaben. Allerdings handelt es sich keineswegs um eine alternative Wirtschaftsweise, wenn diejenigen, die es auf Kosten anderer zu großem Reichtum gebracht haben, nun versuchen, mit marktgerechten Ansätzen die Probleme ausgewählter Zielgruppen zu lösen – von oben nach unten und nach eigenem Ermessen, ohne demokratische Legitimation. Mit solchen Geschäftsmodellen werden bestenfalls Symptome gelindert, aber sie ändern nichts an der fortschreitenden Ungleichheit. Oft dienen sie auch nur der Marktvorbereitung für zukünftige Profite (Rabe Ralf April 2019, S. 20).“

Aus: „Nachhaltig wirtschaften – aber wie? Teil 4: Auch in Berlin: Profitable Raubzüge und hoffnungsvolle Alternativen“, Dezember 2020

Soziale Ungleichheiten und Proteste

Während beim Weltwirtschaftsforum in Davos die Teilnehmenden fünfstellige Euro-Beträge allein für den Eintritt, und horrende Hotelgebühren zahlen, schreitet die soziale Ungleichheit weltweit fort. Vor allem Frauen sind von Armut betroffen. Anne Seeck stellte die Ergebnisse einer Studie der NGO Oxfam vor und berichtete über Altersarmut von Frauen hierzulande. Sie wies auch darauf hin, dass es bei Oxfam in der Vergangenheit eine Reihe von Skandalen um sexuelle Übergriffe gegeben hat.

Bereits Ende der 1990er Jahre wurde das WEF kritisiert als Stell-Dich-ein von Politiker*innen, Konzernvertreter*innen und Militärs aus aller Welt, mit esoterischem Einschlag, in den Schweizer Bergen. Peter Nowak und Gerhard Hanloser nahmen in ihren Beiträgen Bezug auf das WEF und die Proteste dagegen, die vor allem im Zeitraum zwischen 2000 und 2005 im Zuge der globalisierungskritischen Bewegung eine neue Dynamik angenommen hatten. Dort wurde auch Schwabs Rolle in der kapitalistischen Architektur analysiert. Diese Kritik unterscheidet sich ausdrücklich von verschwörungstheoretischem Raunen über die Macht kleiner Eliten, die angeblich von den Schweizer Bergen aus die Welt regieren. Sie fragten, wie weit wir uns auf dieses linke Wissen, das in der Bewegung gegen das WEF gesammelt wurde, heute beziehen können.

Unsere Inputs dieser Veranstaltung am 21.12.2020 haben wir wieder aufgezeichnet und veröffentlicht: vimeo.com/493785223

Zu den beiden vorigen Veranstaltungen:

07.12.2020: Zu gesellschaftlichen Spaltungen, über Querdenker*innen-Demos und den Umgang der gesellschaftlichen Linken damit: https://vimeo.com/488541572 und Bericht vom 07.12.2020

14.12.2020: Zu sozialen und psychosozialen Auswirkungen der Krise, Verschwörungstheorien und Profiteuren, zum Beispiel die Bill & Melinda Gates Foundation: https://vimeo.com/491253336 und Bericht vom 14.12.2020

Wir machen weiter! Nächstes Mal am Montag, 11.01.2021 um 19:00h. zum Thema: Blackrock, Friedrich Merz – und was tun ? Hier geht es zur Einladung und zum Einwahllink.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

elisvoss

Freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.

elisvoss

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