Müllers Euref – ein fragwürdiges Vorhaben (1)

Baudenkmal in Gefahr Bei einer Begehung des Euref-Geländes am Schöneberger Gasometer durch Senatsmitglieder kam Politprominenz zusammen – und zeigte teils bedenkliche Nähe zum Vorhabenträger.

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Es ist sicher kein Zufall, dass der Senat von Berlin seine Sitzung am 8. Juni 2021 im Rathaus Schöneberg abhielt, und dass der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) anschließend mit einigen Senatsmitgliedern das Gasometer-Gelände des Projektentwicklers Reinhard Müller (ebenfalls SPD) besuchte.

Denn am Tag darauf, dem 9. Juni, findet der bezirkliche Stadtentwicklungsausschuss (online) statt und auf der Tagesordnung steht: „B-Plan 7-29: Informationen über die Ergebnisse der Auswertung und Abwägung der Offenlegungen EUREF-Campus mit Präsentation“. Was liegt da näher, als nochmal ein bisschen PR für das seit Jahren umstrittene Bauvorhaben zu machen?

Ein Denkmal ist in Gefahr

Der Schöneberger Gasometer steht unter Denkmalschutz. Bis zur Stilllegung 1995 hob und senkte sich der Gasbehälter im Inneren des Gasometers, je nach Stand der Füllung. Seitdem ist der Blick durch das filigrane Stahlgerüst jederzeit möglich. Doch damit wird es bald vorbei sein, wenn es nach dem Vorhabenträger Reinhard Müller geht, der das Gasometer-Grundstück 2007 zum Schnäppchenpreis von einer Million Euro erwarb und bebaute – bis heute ohne Bebauungsplan, allein mit Genehmigungen aufgrund vorläufiger Planreife.

Im Januar/Februar 2021 erfolgte die baurechtlich vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung, und die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange. Der ausgelegte Bebauungsplan unterscheidet sich von vorigen Plänen dadurch, dass das Innere des denkmalgeschützten Gasometer nun nahezu vollständig mit einem Bürohochhaus bebaut werden soll. Ursprünglich sollte der Gasometer in Höhe von 57 Meter, bis zum dritten Ring von oben bebaut werden, so dass die zwei obersten Abschnitte frei bleiben und weiterhin eine Durchsicht ermöglichen. Schon damals meldete das Landesdenkmalamt erhebliche Bedenken an. Im aktuellen Bebauungsplan soll das Hochhaus jetzt bis zum vorletzten Ring errichtet werden, und darauf soll noch eine Kuppel als Staffelgeschoss aufgesetzt werden, die bis ins oberste Feld hineinragt. Das Bürohochhaus soll nun 71,5 statt 57 Meter hoch werden.

Einwendungen werden weggewogen

Es gab viele Einwendungen gegen diese Bebauung, denn der Gasometer würde damit seine stadtbildprägende Wirkung verlieren. Jedoch wurden diese Bedenken – auch die von Seiten des Landesdenkmalamtes – bei der Abwägung mit dem Vermerk „Keine Berücksichtigung“ beiseite geschoben. Am 23. Juni muss nun die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) über das Ergebnis der Abwägung und damit über die Planreife des Vorhabens entscheiden. Im Bericht über die Begehung schrieb zwar Sigrid Kneist im Tagesspiegel, dass bereits am 9. Juni im Stadtentwicklungsausschuss „aller Voraussicht nach die Vorentscheidung über den umstrittenen Ausbau des Gasometers“ fallen würde, jedoch ist der Tagesordnungspunkt dort lediglich zur Information angekündigt.

Immer mehr Denkmalschützer*innen melden sich warnend zu Wort. Ende Mai bekam der Protest sogar eine internationale Dimension, als die NGOs ICOMOS und TICCIH, die die UNESCO bei Weltkulturerbestätten beraten, sich in einem Offenen Brief an die Bezirksverordneten wendeten und „erhebliche Bedenken“ gegen die Höherbebauung anmeldeten: „Sie vernichten damit die Authentizität dieses industriellen Denkmals, die wenigstens noch in wenigen Gerüstringen erkennbar wäre. Der Wert, den dieses Kulturerbe auch für künftige Generationen besitzen könnte, wird geschwächt, die Verbindung zwischen technologischer und künstlerischer Geschichte aufgehoben.“ Sie appellieren an die Bezirksverordneten: „Bedenken Sie bitte, welche historische Verantwortung Sie mit Ihrem Beschluss über den Bebauungsplan 7-29 tragen.“

Drinnen wird die große Einigkeit zelebriert - draußen wird protestiert

Beim Vor-Ort-Termin mit Politprominenz und Pressevertreter*innen bedankte sich Reinhard Müller beim ebenfalls anwesenden Bezirksstadtrat Jörn Oltmann (Grüne) und betonte, die Zusammenarbeit habe immer Spaß gemacht und man habe stets ein Ergebnis gefunden. Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) drückte Ihre Freude darüber aus, dass an diesem Standort im Bezirk Schöneberg bald 7.000 Leute arbeiten würden. Beim Rundgang über das Gelände führte Reinhard Müller stolz einige der ansässigen Einrichtungen und Unternehmen vor.

Währenddessen protestierten draußen an der Einfahrt zum Gelände Mitglieder der Bürgerinitiative „Gasometer retten“. Mehr als 10.000 Unterschriften gegen das Bürohochhaus im denkmalgeschützten Gasometer haben sie allein mit einer Online-Petition auf change.org gesammelt. Auch die frühere Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer war dabei, die in ihrer Stellungnahme zum Bebauungsplan, die auf der Website der Bürgeriniative veröffentlicht ist, kein gutes Haar an dem Vorhaben gelassen hatte.

Feiern jenseits des Offiziellen

Drinnen freute sich Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), als Reinhard Müller für lustige Fotos seinen Kopf durch eine Tesla-Ladesäule steckte. Dann ging es ins Innere des Gasometer, wo bereits mit den Ausschachtungen für die Tiefgarage begonnen wurde. Der Mieter des zukünftigen Bürohochhauses, Deutsche-Bahn-Vorstand Ronald Pofalla (CDU), sprach von den Plänen, das Bahn-Netz bis Mitte der 30er Jahre zu digitalisieren. Für die Digitalsparte würden 800 High-Level-Arbeitsplätze neu geschaffen. Solche Mitarbeiter müssten europaweit gesucht werden und die fände man nicht für Standorte in Randbereichen, darum sei er Reinhard Müller sehr dankbar. Die Anwesenden lud er ein, demnächst zu einer kleinen Feier außerhalb offizieller Termine hier zusammenzukommen.

Auch der Regierende Bürgermeister Müller war voll des Lobes für das Euref als Smart-Ctiy-Referenzprojekt. Er lobte Reinhard Müller für seinen unternehmerischen Mut und sein unternehmerisches Know How, und dass es ihm so gut gelänge, Themen sichtbar zu machen und zu emotionalisieren. Denn es sei wichtig, für solche zukünftigen Entwicklungen auch emotionale Bilder zu schaffen. Strahlend sicherte er zu, wenn er eingeladen würde, zu kommen und zu feiern.

Kritische Stimmen danach

Im offiziellen Programmteil wurde fast schon demonstrative Einigkeit und Nähe zelebriert. Die ebenfalls anwesenden Senatoren der Linken, Sebastian Scheel (Stadtentwicklung) und Klaus Lederer (Kultur) hielten sich zurück. Klaus Lederer sprach mit den Demonstrierenden – darunter auch Mitglieder der Linken Tempelhof-Schöneberg – und lobte anschließend auf facebook den Euref-Campus als tollen Ort, merkte jedoch kritisch an: „Nur in einer Sache kommen der Campus und ich nicht zusammen: Das Gasometer hier ist eine Landmarke von #Berlin und ein wunderbares Industriedenkmal. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass es als ein solches sichtbar bleiben sollte.“

Auch die Linke positionierte sich auf facebook: „Die BI wollte den Senatoren deutlich machen, dass die Anwohner die vollständige Innenbebauung des Gasometers nach wie vor ablehnen – in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Landesdenkmalamts – und sich eine Bürgerbeteiligung wünschen, die die Belange der Nachbarn ernst nimmt. DIE LINKE Tempelhof-Schöneberg unterstützt die Ziele der BI und war deshalb auch heute mit dabei.“

Hier läuft vieles vollkommen falsch und es gibt umfangreiche Kritiken am Euref-Projekt, am Vorhabenträger Reinhard Müller und daran, wie die Politik mit all dem umgeht. Mehr dazu in Teil 2.

Teil 2 dieses Artikels: Nichts läuft hier richtig

Fotos zum Artikel finden sich HIER auf meiner Website

Artikel, die ich über den Gasometer verfasst habe:

Schöneberger Gasometer in Gefahr – Eigentümerinteressen oder Denkmalschutz und Bürgerbeteiligung – wie entscheidet die Politik? April 2021 in der Berliner Umweltzeitung Rabe Ralf

Wer entscheidet im Bezirk? 23.12.2020 im MieterEcho online

Gasometer als Wahrzeichen des Kapitals - Auch in Schöneberg kommen Profitinteressen im grünen Mäntelchen daher. Dezember 2020 im MieterEcho

Transparenzhinweis: Im Stadtentwicklungsausschuss Tempelhof-Schöneberg arbeitet ich als parteilose Bürgerdeputierte (sachkundige Bürgerin) mit der Fraktion Die Linke zusammen.

Als Anwohnerin habe ich auch eine Stellungnahme im Bürgerbeteiligungsverfahren abgegeben und hier in meinem Blog veröffentlicht.

Hinweis: Zitate aus anderen Artikeln von mir habe ich hier nicht kenntlich gemacht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

elisvoss

Freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.

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