Müllers Euref – ein fragwürdiges Vorhaben (2)

Nichts läuft hier richtig Fortsetzung des Beitrags zur Begehung des Euref-Geländes am Schöneberger Gasometer durch Senatsmitglieder am 8. Juni 2021.

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Bei der Begehung kam einige Politprominenz zusammen – und zeigte teils bedenkliche Nähe zum Vorhabenträger Reinhard Müller (siehe Teil 1). Dieser möchte den denkmalgeschützten Schöneberger Gasometer im Inneren fast vollständig mit einem Bürohochhaus bebauen – entgegen den Bedenken und Protesten von Denkmalschützer*innen und aus der Nachbarschaft. Bei diesem (Bau-) Vorhaben läuft vieles vollkommen falsch. Es gibt umfangreiche Kritiken am Euref-Projekt, am Vorhabenträger Reinhard Müller und daran, wie die Politik mit all dem umgeht.

Darüber hinaus lassen sich am Beispiel des Euref auch grundsätzliche Probleme einer potenziell zerstörerischen, wachstumsorientierten Wirtschaftsweise zeigen – ganz anders, als die hier vollmundig beschworene Zukunftsfähigkeit glauben machen möchte.

Hier seien einige Kritikpunkte benannt:

Euref als Zukunftsort?

Das Euref gehört zu den elf vom Land Berlin geförderten „Zukunftsorten“ und bezeichnet sich selbst als „klimaneutral“ – hier werde „tagtäglich der Beweis erbracht, dass die Energiewende machbar und finanzierbar ist“. Aber wie kann ein solches Technologiezentrum mit überwiegender Büronutzung ein Beispiel für zukünftig klimagerechtes städtisches Leben sein? Es ist kein Wohnort und keine Nachbarschaft, und spricht nicht der ausgeprägte Fokus auf Digitaltechnologien eher für unüberschaubare Folgekosten beim Ressourcen- und Energieverbrauch? Zur sogenannten „Klimaneutralität“ erklärte erst kürzlich die Wissenschaftlerin Eva Rechsteiner vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (Ifeu), dass es die „nur auf dem Papier“ gebe. Statt CO₂-Emissionen vor Ort zu senken, würden oft fragwürdige Kompensationsmaßnahmen durchgeführt oder Zertifikate erworben, mit denen der Ausbau erneuerbarer Energien „in keiner Weise“ gefördert werde. Mit Klimagerechtigkeit sei Klimaneutralität, „wie sie derzeit umgesetzt wird, quasi unvereinbar“ (Freitag, 28.1.2021).

Der Regierende Bürgermeister Reinhard Müller lobte das Euref als Referenzprojekt für die Smart-City-Strategie Berlins. Diese ist jedoch kritisch zu hinterfragen. So verlieh der Verein Digitalcourage dem Konzept Smart City 2018 seinen Schmähpreis „Big Brother Award“: „Eine ‚Smart City‘ ist die perfekte Verbindung des totalitären Überwachungsstaates aus George Orwells ‚1984‘ und den normierten, nur scheinbar freien Konsumenten in Aldous Huxleys ‚Schöne Neue Welt‘“, erläuterte Rena Tangens in ihrer Laudatio (mehr dazu in meinem Artikel „Smart City: Utopie oder Alptraum?“ im Rabe Ralf Okt./Nov. 2019).

Gasometer und Stuttgart 21

Ausgerechnet das umstrittene Bauvorhaben Stuttgart 21 soll zum digitalen Vorzeigeprojekt der deutschen Bahn werden, für deren Digitalschiene der ebenfalls denkmalgeschützte Schöneberger Gasometer gegen Denkmalschutzproteste ausgebaut werden soll.

Zur Erinnerung: Am 30. Januar 2012 wurde unter Protesten mit dem Abriss eines Teils des denkmalgeschützten Bahnhofsgebäudes in Stuttgart begonnen, um stattdessen einen unterirdischen Bahnhof zu bauen. Ein Bauprojekt, dessen Kosten und Risiken ins Unermessliche stiegen.

Das „Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21“ setzt sich seither dafür ein, dieses widersinnige Vorhaben zu beenden. In einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 26. Mai 2021 plädieren die Vertreterinnen des Bündnisses eindringlich – und auch unter Berufung auf das Karlsruher Klima-Urteil – dafür, „eine Wende weg vom halbherzigen Hinhalten hin zu realen Maßnahmen zum Erreichen der Klimaziele zu vollziehen.“ Die Begründung: „mit maßlosen 300 km/h-Hochgeschwindigkeitsstrecken, ‚verschlankten‘ Bahnknoten und endlosen Tunnelgrabungen, die jetzt unter dem Label Deutschlandtakt durchgeboxt werden sollen, werden die Klimaziele und die jetzt in Karlsruhe bestätigten völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands aus dem Pariser Klimaschutzabkommen konterkariert“.

Bei seiner Rede im Gasometer hatte Bahnvorstand Ronald Pofalla die Digitalisierung gepriesen, mit der die Bahn mehr Kapazitäten schaffen würde, ohne neue Schienen zu bauen. Dies geht jedoch vollkommen an den Bedürfnissen der Bahn-Nutzer*innen und an den Klimanotwendigkeiten vorbei. Wenn wirklich mehr Verkehr auf die Schiene kommen soll, dann muss auch das Netz wieder ausgebaut werden, das aus Profitabilitätsgründen jahrelang mit Streckenstilllegungen reduziert wurde.

Dass die Digitalisierung von Stuttgart 21 ausgerechnet durch den global tätigen französischen Rüstungskonzern Thales erfolgt, ist ein Beispiel von vielen für eine fatale Militarisierung der Ökonomie.

Zukunftsfähig Wirtschaften?

Von den 2.000 Arbeitsplätzen, die im Bürohochhaus im Gasometer eingerichtet werden sollen, entstehen 800 Arbeitsplätze neu, die anderen Beschäftigten ziehen von anderen Standorten innerhalb Berlins um. Wenn Bahnvorstand Ronald Pofalla davon spricht, dass diese 800 Arbeitskräfte für die DB-Digitalsparte europaweit angeworben würden, sollte auch dies kritisch betrachtet werden. Zum einen bedeutet es, dass praktisch keine Arbeitsplätze für Berliner*innen neu geschaffen werden. Zum anderen sollen offensichtlich Fachkräfte von anderen Ländern abgeworben werden – ein übliches Vorgehen in der globalisierten Wirtschaftsweise, die (annähernd vergleichbar mit dem globalen Ressourcenraub) auch eine ausbeuterische Komponente hat, indem anderen Ländern gut ausgebildetes Personal entzogen wird.

Grundsätzlich ist gegen grenzüberschreitende Freizügigkeit und Mobilität nichts einzuwenden. Wenn diese sich jedoch auf Fachkräfte beschränkt und nicht gleichermaßen allen Menschen offen steht, dann hat dies eine unsoziale und tendenziell nationalistische Schieflage.

Darüber hinaus ist die Deutsche Bahn ein Unternehmen, an dem sich grundlegende Probleme einer falschen Wirtschaftsweise exemplarisch aufzeigen lassen. Das Bündnis „Bahn für Alle“ informiert seit Jahren darüber, wie ein öffentliches Infrastrukturunternehmen durch Überführung in eine Aktiengesellschaft auf privatwirtschaftliche Gewinnmaximierung getrimmt wurde – und nun in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist. Mit dem Aufruf „Wir wollen unsere Bahn zurück!“ fordert das Bündnis, die Bahn „zurück in das öffentliche Recht“ zu überführen und sie am „Gemeinwohl“ (ein gut gemeinter, aber schwieriger Begriff, mehr dazu im Rabe Ralf, April/Mai 2019) auszurichten.

Die Personen Müller und Pofalla

Der ehemalige CDU-Politiker, Bundesminister, frühere Chef-Lobbyist und jetzige Vorstand der Deutschen Bahn, Ronald Pofalla, ist eine schillernde Figur, weswegen seine Einladung zum Feiern, die der Regierende Bürgermeister Michael Müller freudestrahlend annahm, einen unguten Geschmack hinterlässt. Das Online-Lexikon Lobbypedia hat einige Informationen über Pofalla zusammengestellt.

Im Januar 2014 warnte die NGO Lobby Control vor dem neuen Bahnvorstand: „Mit Pofalla würde sich die Bahn einen Lobbyisten mit hervorragendem Zugang zu allen politischen Ebenen einkaufen. Und das Kanzleramt sich weiter zu einem Talentepool für Unternehmenslobbyisten entwickeln. Dieser Trend muss endlich gestoppt werden.“ Dieser Trend wurde jedoch keineswegs gestoppt.

Auch Euref-Eigentümer Reinhard Müller ist eine schillernde Figur. In seinem Buch „Korrupt? Wie unsere Politiker und Parteien sich bereichern – und uns verkaufen“ (2011) widmet der Journalist Mathew Rose dem Euref und Reinhard Müller ein 32-seitiges Kapitel unter der Überschrift „Das erste Privatenergie-Universitäts-Partyzelt der deutschen Hauptstadt“. Er beschreibt, wie der „Baulöwe“ Reinhard Müller (SPD) mit Erzählungen von einer vermeintlich geplanten Energie-Universität Politiker aller Parteien gewinnen konnte. Unterstützung bekam er von Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel (beide SPD) ebenso wie vom ehemaligen CDU-Umweltminister Klaus Töpfer und von Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne). Auch Immobilienentwickler wie Klaus Groth (Berlin) oder Andrej Ogirenko (Moskau) und sogar die Zeit-Stiftung setzten sich für das wohlklingende Vorhaben ein.

Die Universitäts-Pläne zerschlugen sich und stattdessen entwickelte Müller ein Innovationszentrum auf dem Gelände. Er umgibt sich nach wie vor gerne mit einflussreichen Personen. Zum „exklusiven Euref-Golfcup in Wannsee“ mit anschließendem Barbecue von Spitzenköchen lud er beispielsweise Anfang letzten Jahres „Altkanzler Gerhard Schröder, den ehemaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und die beiden Ex-Senatoren Peter Strieder (SPD) und Jürgen Klemann (CDU)“ ein (Morgenpost, 1.9.2020). Der frühere Berliner Bausenator Peter Strieder sitzt auch im Aufsichtsrat der Euref AG.

Das Umkippen der Grünen

Im letzten Wahlprogramm hatten die Grünen Tempelhof-Schöneberg noch geschrieben, sie hätten die Euref-Planungen kritisiert und sich eine andere Bebauung gewünscht. Sie wollten darauf beharren, „dass auch ein Projekt mit solch innovativen Unternehmenszielen in Dimensionen realisiert werden muss, die dem bezirklichen Umfeld angemessen sind. Es darf nicht dazu führen, dass im Interesse eines Investors geltendes Planungsrecht außer Kraft gesetzt wird.“

Der Grüne Baustadtrat Jörn Oltmann hatte sich lange gegen die Genehmigung weiterer Gebäude auf dem Gelände gestellt, solange der Vorhabenträger seinen Verpflichtungen – insbesondere zum Bau einer weiteren Zufahrtsstraße auf das Euref-Gelände – nicht nachkommt. Doch dann schwenkte er um und setzte sich für die Höherbebauung des Gasometers ein. Erstaunlicherweise ergab eine neue verkehrstechnische Untersuchung, dass selbst bei weiteren 2.000 Arbeitsplätzen auf dem Gelände die alleinige Zufahrt über die Torgauer Straße ausreichend sei, denn viele kämen mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Torgauer Straße soll nun als Fahrradstraße „ertüchtigt“ werden.

Es fällt allerdings schwer sich vorzustellen, wie sich auf dieser schmalen Straße, die nicht verbreitert werden kann, FußgängerInnen, Radfahrende und Autos zügig und sicher gemeinsam bewegen sollen. Wenn im Notfall Rettungs- und Feuerwehrwagen schnell auf das Gelände und von dort wieder wegkommen müssen, scheint bei geplanten 7.000 Arbeitsplätzen ein Desaster vorprogrammiert. Durch den Verzicht auf die ursprünglich vorgesehene Planstraße spart Müller millionenschwere Investitionen zulasten der Sicherheit von Beschäftigten und PassantInnen.

Auch seinen denkmalschützerischen Sanierungsverspflichtungen ist Müller bisher nicht nachgekommen und der Bezirk hat offensichtlich auch keinen Druck gemacht – entgegen der rot-grünen Zählgemeinschaftsvereinbarung vom November 2016: „Wir setzen uns ebenso dafür ein, dass die Instandsetzung des Gasometers zügig begonnen wird, um einem weiteren Verfall dieses wichtigen Industriedenkmals entgegenzuwirken.“ Diese Arbeiten werden nun mit deutlicher Verspätung erst im Zuge des Gasometerausbaus erledigt.

Fehlende Demokratie - oder: Wer entscheidet im Bezirk?

Der politische Umgang mit der Gasometerbebauung erweckt den Eindruck, als wenn die Politik ausschließlich im Interesse des Vorhabenträgers Reinhard Müller handelt. Sie missachtet den Denkmalschutz und setzt sich über die Sorgen und Bedenken aus der Bevölkerung hinweg. Es gefährdet die Demokratie und riskiert, die ohnehin verbreitete Politikverdrossenheit in weiten Kreisen der Bevölkerung zu vertiefen, wenn der Eindruck entsteht, dass die eigentliche Entscheidungshoheit im Bezirk nicht bei der Politik liegt, sondern beim privaten Eigentümer der Immobilie.

Auf einer kleinen Online-Konferenz am 19. November 2020, zu der Stadtrat Jörn Oltmann eingeladen hatte, gab er auf die Frage, warum denn die Höherbebauung des Gasometer unbedingt sein müsse, eine bemerkenswerte Antwort: Der Grund für die Änderung des Bebauungsplanentwurfs liege darin, dass der Eigentümer bereits einen Mietvertrag über ein Bürogebäude im Inneren des Gasometer abgeschlossen habe. Darin sei dem Mieter – einem bedeutenden Unternehmen der Mobilitätsbranche – ausreichend Platz für 2.000 Arbeitsplätze zugesichert worden. Am Tag darauf wurde bekannt, dass es sich bei dem Unternehmen um die Deutsche Bahn handelt.

Das muss mensch sich auf der Zunge zergehen lassen: Der Eigentümer hat ein Haus vermieten, das es gar nicht gibt, ja, für das noch nicht einmal eine Baugenehmigung vorliegt. Und darum – aus genau diesem Grund – meint ein Baustadtrat, alle bisherigen Pläne und Vereinbarungen über den Haufen werfen zu müssen, um dem Eigentümer nachträglich zu ermöglichen, diesen bereits abgeschlossenen Mietvertrag erfüllen zu können. Dies wirft doch sehr deutlich die Frage auf: „Wer entscheidet im Bezirk?“ (MieterEcho online, 23.12.2020).

Weiterführender Artikel:

Unter Teil 1 dieses Beitrags finden sich Links auf weitere Artikel zum Schöneberger Gasometer.

In meinem Beitrag „Sozial und Solidarisch Wirtschaften“ gehe ich auch näher auf die Fallstricke des Green- und Social-Washing – also einer nur vordergründig sich sozial und ökologisch gebenden, letztlich jedoch profitorientierten Wirtschaftsweise – ein.

Hinweis: Zitate aus anderen Artikeln von mir habe ich hier nicht kenntlich gemacht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

elisvoss

Freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.

elisvoss

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