Schöneberger Gasometer retten!

Bürger*innenbeteiligung Das filigrane Stahlgerüst des denkmalgeschützten Gasometer im Berliner Bezirk Schöneberg soll zugebaut werden. Widerspruch ist dringend geboten – noch heute!

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Ihre Freitag-Redaktion

Der Schöneberger Gasometer auf der „Roten Insel“ an der Torgauer Straße wurde 1995 stillgelegt. Weithin ist das luftige Gerüst zu erkennen. Doch damit soll nun Schluss sein, wenn es nach dem Eigentümer Reinhard Müller und dem Bezirksamt geht.

Ursprünglich sollte das Innere des Gasometer 57 Meter hoch bis zum dritten Ring von oben bebaut werden, so dass zwei Abschnitte oben frei bleiben und eine Durchsicht ermöglichen. Am 7. Oktober 2010 äußerte sich das Landesdenkmalamt dazu: „Dem Bebauungsplan wird unter Zurückstellung erheblicher denkmalpflegerischer Bedenken zugestimmt“. Dieser B-Plan wurde bisher jedoch noch nicht festgesetzt, die Bebauung erfolgte aufgrund vorläufiger Planreife.

Am 8. September 2020 beschloss das Bezirksamt, einen geänderten Bebauungsplan aufzustellen, der eine Innenbebauung bis zum vorletzten Ring zulässt, auf die sogar noch eine Kuppel als Staffelgeschoss aufgesetzt werden soll, die bis ins oberste Feld hineinragt. Das Bürohochhaus soll nun 71,5 statt 57 Meter hoch werden. Eine freie Durchsicht durch das Gasometergerüst, die einen räumlichen Eindruck von seiner besonderen Form gibt, ist so kaum noch möglich.

Der Landesdenkmalrat, ein vom Senat berufenes Beratungsgremium, hatte die neuen Überlegungen zur Bebauung bereits im März 2020 „mit Befremden zur Kenntnis“ genommen und befürchtet, „dass das filigrane Gerüst des Gasometers bei der projektierten Bebauung nicht mehr angemessen wahrzunehmen sein wird“. Doch das kümmert den Bezirk offensichtlich nicht.

Wer entscheidet im Bezirk?

Die Höherbebauung begründet Bezirksstadtrat Jörn Oltmann (Grüne) damit, dass der Eigentümer bereits einen Mietvertrag über ein Bürogebäude im Inneren des Gasometer abgeschlossen hat. Darin sei dem Mieter – einem bedeutenden Unternehmen der Mobilitätsbranche – ausreichend Platz für 2.000 Arbeitsplätze zugesichert worden. Dies bedeute 2.000 gut bezahlte, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätzen für Berlin.

Der bestens vernetzte private Vorhabenträger hat also ein Gebäude vermietet, das bisher weder gebaut noch genehmigt ist – und aus diesem Grund sieht sich der Bezirk verpflichtet, die ursprünglichen Pläne zu verändern. Die Berliner Morgenpost berichtete, dass die Deutsche Bahn dort einziehen wolle. Die „Mitarbeiter kämen vor allem von anderen Berliner Standorten“von neuen Arbeitsplätzen für Berlin kann also nicht die Rede sein.

Kurz vor Ablauf der Auslegungsfrist bettelt Müller um „positive Stellungnahmen“, wie der Tagesspiegel berichtet. Er zitiert den Vorhabenträger mit der Behauptung, „dass 2.000 innovative und neue Arbeitsplätze rund um die Energie- und Mobilitätswende in Berlin geschaffen werden“. Im Märchenerzählen war Müller schon immer gut. In seinem 2011 erschienenen Buch „Korrupt? Wie unsere Politiker und Parteien sich bereichern – und uns verkaufen“ hatte der Journalist Mathew Rose dem EUREF und Reinhard Müller ein 32-seitiges Kapitel gewidmet (mehr dazu in meinem MieterEcho-Beitrag vom Dezember 2020).

Die Bürgerinitiative „Gasometer retten“ hat mittlerweile mit einer Online-Petition fast 8.000 Unterschriften gegen die Höherbebauung des Gasometer gesammelt. Stadtrat Oltmann kommentierte in der Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses am 9. Dezember 2020 die damals schon gesammelten 5.000 Unterschriften mit dem Hinweis, diese würden der BI nichts nützen und hätten keine rechtliche Wirkung.

Einwendungen sind bis zum 24. Februar möglich

Der Bebauungsplan liegt öffentlich aus, Stellungnahmen sind bis zum 24. Februar 2021 möglich. Diese sollen dann vom Bezirksamt, oder von einem damit beauftragten Dienstleister, abgewogen werden und in die weitere Planung einfließen. Im Grunde ist alles zwischen Vorhabenträger und Bezirksamt festgelegt, und wahrscheinlich werden die Bedenken der Bürger*innen weggewogen, wie so oft. Aber am Ende muss die Bezirksverordnetenversammlung entscheiden, und vielleicht ist es ja den Verordneten zumindest im Wahljahr nicht ganz egal, was die Bevölkerung von dem Bauvorhaben hält.

Meine Stellungnahme gegen die Bebauung des Gasometer

Sehr geehrter Herr Baustadtrat Oltmann,

sehr geehrte Mitarbeiter*innen des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg,

die geplante Bebauung im Inneren des Gasometer bis zum vorletzten Ring lehne ich ab, aus folgenden Gründen:

  • Endgültiger Verlust der denkmalgeschützten Ansicht des Gasometer

Fast täglich erfreue ich mich an der Durchsicht durch das filigrane Stahlgerüst des Gasometer. Dieser Anblick gehört zu Schöneberg und unterliegt dem Denkmalschutz. Ihre Aussage, das Vorhaben würde “grundsätzlich von den Denkmalschutzbehörden mitgetragen” trifft nicht zu, bitte respektieren Sie die Bedenken von Landesdenkmalamt (07.10.2010: „Dem Bebauungsplan wird unter Zurückstellung erheblicher denkmalpflegerischer Bedenken zugestimmt“) und Landesdenkmalrat (06.03.2020: „Der Landesdenkmalrat nimmt mit Befremden zur Kenntnis, dass in den die aktuellen Planungsüberlegungen für eine Bebauung innerhalb des Gasometers die Vorgaben des LDA und die Empfehlungen des Landesdenkmalrats von 2016 offenbar nicht beachtet werden. Er verweist mit Nachdruck hierauf und stellt fest, dass das filigrane Gerüst des Gasometers bei der projektierten Bebauung nicht mehr angemessen wahrzunehmen sein wird. Der Rat betont, dass die gravierenden Eingriffe in das bedeutende technische Denkmal, dessen Wert aufgrund zunehmender Seltenheit dieses Bautyps noch gestiegen ist, zwingend über ein

konkurrierendes Verfahren und über korrekte, transparente Entscheidungsprozesse abzuklären sind“).

Es ist unredlich, wenn Sie mit alten Bildern des gefüllten Gasbehälters suggerieren, er hätte schon immer wie ein schwarzer Klotz ausgesehen, das stimmt nicht! Diesen Anblick gab es immer nur kurz, wenn das Gas aufgefüllt war, und dann senkte sich der Behälter wieder.

Der Zustand des Gasometer gibt Anlass zur Sorge. Auf seiner Sitzung am 25. November 2016 berichtete der Landesdenkmalrat von einer Besichtigung des Objektes am Vortag. Dort „fielen den Vertretern des LDR Details auf, die Maßnahmen erfordern (Rostschutz, kritische Punkte an 24 Stützenfüßen, Schimmelbildung)“. Sie bemerken, es „fehlten bisher offensichtlich Informationen über die ausgewählten und beabsichtigten Schritte zur Sanierung“ und stellten fest: „Der Landesdenkmalrat erwartet, dass beim Ausbau des Gasometers die historische Substanz, namentlich auch des unteren Rings, vollständig erhalten wird“.

Es muss sichergestellt sein, dass der Vorhabenträger seinen Sanierungsverpflichtungen nachkommt, Zuwiderhandlungen müssen mit empfindlichen Sanktionen belegt werden, um den Erhalt des Gasometer auf jeden Fall sicherzustellen. Dies fehlt in den ausgelegten Unterlagen.

  • Belastung der Nachbarschaft, Klima und Umweltschutz

Der höhere Innenausbau des Gasometer führt zu erheblich stärkeren Verschattungen der Flächen im Park, in den angrenzenden Gebäuden und im Straßenraum. Davon sind vor allem diejenigen betroffen, die in unteren Geschossen und in ohnehin schon dunklen Wohnungen wohnen, denn für sie ist jeder Sonnenstrahl wichtig. Sonnenlicht fördert die Bildung von Vitamin D, das fürs Immunsystem wichtig ist, und erhöht das psychische Wohlbefinden.

Eine weitere Verdichtung, Versiegelung und Innenbebauung im Gasometer ist nachteilig für das Klima und den Luftaustausch und verringert die Aufenthaltsqualität im Cheruskerpark.

Es muss sichergestellt werden, dass von der Bodenbelastungen keine Gefährdung für das Grundwasser ausgeht, die entspr. Untersuchungen einzustellen ist fahrlässig.

  • Drohende Verkehrskatastrophe

Den weiteren Ausbau eines Geländes mit nur einer einzigen Zufahrt zu genehmigen, ist verantwortungslos gegenüber allen Beteiligten, denn die Sicherheit auf dem Gelände ist nicht gewährleistet. Angesichts der vorhersehbaren Verkehrssituation ist es unmöglich, dass in Notfällen Rettungs- und Feuerwehrwagen schnell auf das Gelände und von dort in ein Krankenhaus kommen können. Sie werden im Stau stecken bleiben, denn es wird nicht möglich sein, eine Rettungsgasse in der Torgauer Straße zu bilden.

Die Torgauer Straße ist viel zu schmal, um allen Verkehrsteilnehmenden eine sichere Nutzung zu ermöglichen. Neben der Fahrbahn ist ein überbreiter Radweg/-streifen erforderlich, da auch das Verkehrsgutachten davon ausgeht, dass ein erheblicher Teil der auf dem EUREF-Gelände Beschäftigten mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen werden. Es muss Platz bleiben für einen ausreichend breiten Fußweg, auf dem auch Menschen mit Kinderwagen (auch mit Zwillingswagen) oder Rollstuhl aneinander vorbei gehen/fahren können. Das ist auf dieser Straße auch durch einen Ausbau nicht möglich, da sie nicht verbreitert werden kann.

Bei zunehmender Anzahl von Beschäftigten auf dem EUREF-Gelände – in den Medien war von bis zu 7.000 Arbeitsplätzen die Rede – ist es vollkommen unrealistisch, dass die Torgauer Straße für den Verkehr ausreicht, selbst wenn viele mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Rad kommen. Es wird zu erheblichem Rückstau auf den Sachsendamm kommen. Durch den Verzicht auf die ursprünglich vorgesehene Planstraße spart der Investor millionenschwere Investitionen zulasten der Sicherheit von Beschäftigten und Passant*innen.

  • Aushöhlung der Demokratie und Politikverdrossenheit

Der vorliegende B-Plan erweckt den Eindruck, als wenn die Politik ausschließlich im Interesse des Vorhabenträgers handelt, den Denkmalschutz missachtet und sich über die Sorgen und Bedenken aus der Bevölkerung hinweg setzt. Dies gefährdet die Demokratie und riskiert, die ohnehin verbreitete Politikverdrossenheit in weiten Kreisen der Bevölkerung zu vertiefen. Wie sollen sie noch das Vertrauen haben gehört zu werden, und dass ihre Interessen berücksichtigt werden, wenn von vornherein feststeht, dass der Bezirk und der Baustadtrat sowieso auf der Seite des Vorhabenträgers stehen? Es entsteht der Eindruck, dass die eigentliche Entscheidungshoheit im Bezirk nicht bei der Politik liegt, sondern beim Vorhabenträger.

  • Anwendung des Hochhausleitbilds

Im B-Plan wird argumentiert, dass das Vorhaben nicht in den Anwendungsbereich des Hochhausleitbilds für Berlin falle, weil die Kubatur (das Volumen des Bauwerks) schon vorhanden sei. Dies ist jedoch eine spitzfindige Argumentation. Das Stahlgerüst ist eine offene, für Blicke durchsichtige Konstruktion. Der innere Ausbau des Gasometers wäre dagegen nicht durchsichtig und stellt daher eine zweite, geschlossene Kubatur dar, die vom Stahlgerüst durch einen Abstand getrennt ist. Darum fällt diese zweite Kubatur durchaus in den Anwendungsbereich des Hochhausleitbildes, der vorliegende B-Plan ist insofern mängelbehaftet.

Es wird nicht dargelegt, wie die erheblichen negativen Auswirkungen auf die Anwohner*innen (Erhöhung des Verkehrsaufkommens, Parkplatzmangel, eingeschränkte Belichtung und Besonnung, Verschlechterung von Windkomfort, Durchlüftung und Mikroklima) ausgeglichen werden sollen.

Das Vorhaben ist für die Anwohner*innen ausschließlich mit Nachteilen behaftet, einen gesellschaftlichen Mehrwert gibt es nicht. Das Gelände ist nur von der Torgauer Straße her, und auch dies nur mit Pförtnerkontrolle zugänglich. Eine Durchquerung ist auch für Radfahrende und Fussgänger*innen nicht möglich. Die jederzeitige freie Zugänglichkeit des Geländes – die derzeit nicht gegeben ist – müsste vertraglich und sanktionsbewehrt vereinbart werden. Insbesondere die Sky-Lounge auf dem Dach des Gasometerhochhauses muss frei und ohne Eintrittsgeld oder Abgabe persönlicher Daten zugänglich sein, der Aufenthalt darf nicht an einen Verzehrzwang gebunden sein.

Eine echte Bürgerbeteiligung, die diesen Namen verdient, hat nicht stattgefunden. Im Hochhausleitbild wird für die Bürgerbeteiligung gefordert, „dass entscheidende Weichenstellungen noch beeinflusst werden können, die Betroffenen mitgenommen werden und die Beiträge der Beteiligungsformate nicht auf eine bereits weitgehend verfestigte Planung treffen“. Hier ist das Gegenteil der Fall. Das Bezirksamt hat die umstrittene Höherbebauung bereits beschlossen, die dagegen gesammelten Unterschriften wurden vom Stadtrat für irrelevant erklärt.

Die Nutzung des Gebäudes, das im Inneren des Gasometer errichtet werden soll, entspricht nicht den Nutzungsvorschriften des Hochhausleitbildes, das zwei Nutzungskategorien benennt: Gewerbe (Kategorie 1) und Wohnen und soziale Projekte (Kategorie 2): Die jeweilige Hauptnutzung aus einer der beiden Kategorien in einem Hochhaus soll höchstens 70 Prozent der Geschossfläche beanspruchen, während die verbleibende Geschossfläche mit Nutzungen aus der jeweils anderen Kategorie zu belegen ist. Im Gasometer sollen jedoch 100 Prozent Gewerbeflächen für Büros errichtet werden, obwohl im geplanten Kerngebiet Wohnungen zulässig wären. Es müssten also mindestens 30 Prozent Wohnungen und soziale Projekte gebaut werden.

  • Warum immer mehr Bürohochhäuser bauen?

Im Inneren des Gasometer sollen 39.600 qm Büroflächen für 2.000 Arbeitsplätze entstehen. Das Bezirksamts hat bisher die Denkmalschutz-Bedenken gegen den höheren Ausbau des Gasometer aufgrund des enormen Bedarfs an Büroflächen zurückgestellt, aber dieses Argument greift nun nicht mehr. Der Bedarf wurde bislang in den städtebaulichen Entwicklungszielen des Bezirksamtes Tempelhof-Schöneberg mit der wachsenden Stadt und einer erhöhten Nachfrage begründet. Diese Entwicklungsziele müssen aufgrund der Corona-Pandemie und dem Trend zum Homeoffice grundlegend neu betrachtet werden, denn der Bedarf an Büro- und Dienstleistungsflächen sinkt derzeit. Mag sein, dass dieser attraktive Standort vermietbar bleibt, aber er wird Leerstände und Verödung an anderer Stelle vorantreiben. Angesichts dessen sind die ausschließlichen Nachteile des Vorhabens für Mensch und Natur nicht zu rechtfertigen. Gerade die schönsten Orte dieser Stadt sollten für die Berliner*innen da sein und nicht dem Profit von Investoren geopfert werden.

Bitte setzen Sie sich mit meinen Ablehnungsgründen ernsthaft auseinander und wägen Sie sie nicht gleich zur Seite.

Freundliche Grüße

Elisabeth Voß

Diese Stellungnahme habe ich hier abgegeben:

https://www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/politik-und-verwaltung/aemter/stadtentwicklungsamt/stadtplanung/bebauungsplan-fuer-meinberlin/bebauungsplan.1042098.php

Weitere Informationen zum Gasometer in meinen Artikeln:


Gasometer als Wahrzeichen des Kapitals
Auch in Schöneberg kommen Profitinteressen im grünen Mäntelchen daher
MieterEcho Dez. 2020:
https://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2020/me-single/article/gasometer-als-wahrzeichen-des-kapitals/

Wer entscheidet im Bezirk?
MieterEcho online 23.12.2020:
https://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/gasometer-und-oltmann/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

elisvoss

Freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.

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