Sicherer Hafen dringend gesucht

LeaveNoOneBehind Das Sterben auf dem Mittelmeer nimmt kein Ende, und die zivile Seenotrettung wird immer wieder behindert.

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Am 28. August 2020 ging ein Rettungsnotruf beim selbstverwalteten Callcenter Watch the Med Alarmphone ein. 130 Menschen befanden sich im zentralen Mittelmeer in Seenot, auf einem überladenen Boot. Um die genaue Position des Bootes zu finden, machte sich Moonbird auf den Weg, ein Aufklärungsflugzeug, das von der Schweizer Humanitären Piloten Initiative gemeinsam mit Sea-Watch, einer gemeinnützigen zivilen Seenotrettungsinitiative, betrieben wird. Sie fanden das Boot, dessen Insassen mit ihren Händen das eindringende Wasser aus dem Boot schöpften, um nicht unterzugehen.

Die Moonbird setzte einen Mayday-Notruf ab, der nach internationalen Konventionen höchste Priorität hat und einen sofortigen Rettungseinsatz einleiten soll. Jedoch geschah nichts. Die zuständigen Maltesischen Küstenwachen reagierten nicht. Statt dessen kam das neue Rettungsschiff Louise Michel zu Hilfe, das der bekannte Streetart-Künstler Banksy finanziert hat. Die Louise Michel ist für 100 Menschen ausgelegt und hatte bereits 89 Gerettete an Bord.

Das war der Stand der Rettungsaktion, den Moonbird-Koordinatorin Neeske Beckmann und Hagen Kopp vom Alarmphone am 29. August den Teilnehmenden im Workshop „From the Sea to the City“ im Rahmen des Kongresses „Zukunft für Alle“ schilderten. Im Workshop wurde der transnationale Ansatz der Initiativen Seebrücke und „Solidarity City“ vorgestellt, gemeinsam mit Bürgermeister*innen und Stadtverwaltungen die Rettungseinsätze auf See mit der Forderung nach kommunaler Aufnahme in den gewünschten Zielstädten der Geflüchteten und Migrant*innen zu verbinden.

Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ (United4Rescue)

Währenddessen spitzte sich die Situation der Menschen im Boot immer mehr zu. So nahm die Louise Michel die meisten von ihnen auf, einige mussten auf einer Rettungsinsel bleiben. Mit mehr als 200 Menschen war das Rettungsschiff vollkommen überladen und musste nun selbst einen Notruf absetzen. Die taz berichtete am 30. August, dass die italienische Küstenwache am Abend zuvor immerhin 49 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, vom Schiff geholt hätte. Die anderen wurden von der „Sea-Watch 4“ übernommen, einem neuen Rettungsschiff des Bündnisses „United4Rescue“. Dem Bündnis gehören unter anderem die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Initiative Seebrücke an.

Die „Sea-Watch 4“ ist auf ihrer ersten Rettungsfahrt und hat seit Mitte August bereits 200 Menschen an Bord genommen. Mit 353 Geretteten ist sie nun weiterhin auf der Suche nach einem sicheren Hafen. Die „Festung Europa“ zeigt sich weiterhin von ihrer tödlichen Seite. Wenn europäische Küstenwachen überhaupt reagieren, dann meist in Form von Push Backs, das heisst sie treiben die Flüchtenden zurück, so dass sie dann beispielsweise von der libyschen Küstenwache verhaftet und in die berüchtigten Folterlager verbracht werden. Gleichzeitig werden die meisten zivilen Seenotrettungsschiffe festgesetzt und an ihrer Arbeit gehindert.

Holt die Menschen aus den Lagern

Im Workshop „From the Sea to the City“ berichtete der Jurist Tarek Alaows, der sich bei der Initiative Seebrücke engagiert, von einer Bundesratsinitiative, mit der Berlin und Thüringen erreichen möchten, dass Bundesländer eigenständig Geflüchtete aufnehmen können und das Innenministerium nur noch hierüber zu informieren brauchen. Bisher scheitern solche lokalen Aufnahmen am geforderten Einvernehmen mit dem Innenministerium, da Innenminister Horst Seehofer dies regelmäßig abweist. Jedoch gibt es auch Rechtsauffassungen, die eine eigenständige Aufnahme durch die Bundesländer schon jetzt für möglich halten, wie es beispielsweise die Juristin Helene Heuser am 13.08.2020 im Tagesspiegel darlegte. Tarek Alaows ist selbst aus Syrien geflüchtet und begründete sein Engagement gegenüber der taz mit seinen persönlichen Erfahrungen: „Das auf dem Schiff könnte ich sein“.

Hagen Kopp vom Alarmphone berichtete von der Initiative „Buses of Hope“, die Menschen aus den griechischen Lagern holen möchte. In einem ersten Schritt wurde eine Ausstellung mit Berichten und Fotos von Menschen, die den Lagern entkommen sind, zusammengestellt. Die Ausstellungstafeln stehen im Internet zur freien Verfügung.

2. bis 5. September 2020: Zusammen gegen Rassismus

Seit Monaten finden sich Menschen mit dem Slogan „Leave no one behind“ zusammen und fordern, dass endlich die Geflüchteten aus den unwürdigen Lagern befreit werden, und dass alle Menschen überall sich frei bewegen können und ihre Rechte geachtet werden. Die Initiative We’ll Come United ruft für den 2. bis 5. September 2020 „zu einer breiten Allianz für Gerechtigkeit und Rechte auf, die die verschiedenen Akteure aus verschiedenen Bewegungen (Klimabewegung, Frauenrechte, LGBTQ, Antifa- Bewegung, Antimilitaristische Bewegung) zusammenbringt“.

Die Initiative erinnert damit auch an den fünften Jahrestag des „March of Hope“, als im „Sommer der Migration“ für ein paar Monate die Balkanroute offen war und Menschen, die nach der Flucht in Deutschland ankamen, herzlich empfangen wurden. Die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration hat gemeinsam mit Medico International die Geschichte dokumentiert und eine Ausstellung dazu erstellt.

Die Aktionstage finden dezentral an vielen verschiedenen Orten statt.

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Geschrieben von

elisvoss

Freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.

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