Wie wollen wir* wirtschaften?

Utopien für das Jahr 2048 Visionen für eine Welt von morgen als Ermutigung für die Alltagskämpfe heute (Teil 1).

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Konzerne gibt es schon lange nicht mehr, auch keine großen gewinnorientierten Privatunternehmen. Hergestellt wird nur noch das, was zum Leben unbedingt notwendig ist. Die Produktion von Waffen und militärischem Gerät wurde schon vor einigen Jahren abgeschafft, aber auch unnötige Luxusgüter, kurzlebige Schrottartikel oder überflüssige Produktvarianten gibt es nicht mehr. Sowohl mit Rohstoffen als auch mit dem Einsatz menschlicher Arbeit wird respektvoll und zurückhaltend umgegangen. Die Produktion erfolgt so weit wie möglich mit einfachen Technologien, reparaturfreundlich und so, dass die verwendeten Materialien zu 100 Prozent wiederverwertbar sind.

Was nicht handwerklich herstellbar ist, wird in Großunternehmen produziert, die sich durchweg in öffentlicher Hand befinden. Öffentlich heißt nicht staatlich, sondern diese Betriebe werden demokratisch geführt, aus einem Gremium von gewählten Beschäftigten, Betroffenen (Vertreter*innen von Zulieferern, Anwohner*innen und Kund*innen) und Mitarbeiter*innen der öffentlichen Verwaltung. Alle Mitglieder in Leitungsgremien haben ein imperatives Mandat, das heißt sie handeln im Auftrag und aufgrund von Beschlüssen ihrer entsendenden Basis und sind dieser gegenüber rechenschaftspflichtig. Sie können jederzeit abgewählt werden. Die Unternehmensräte tagen öffentlich, ihre Dokumente können eingesehen werden (außer wenn es um schützenswerte Personalfragen geht), und je nach Größe und Auswirkungen auf ihre Umgebung gibt es unterschiedliche Regularien für Ombuds- und Beschwerdestellen, an die sich jede*r wenden kann, wessen Belange berührt sind.

Räte und Planwirtschaft von unten

Die Betriebe produzieren aufgrund der jährlichen Anforderungen der jeweils zuständigen Räte. Wer für andere Unternehmen arbeitet, bekommt zum Beispiel Bedarfsmeldungen von Branchenräten, wer Güter für Endverbraucher*innen herstellt, stimmt sich mit den Räten der lokalen Verteilstationen ab. Es gibt Wirtschafts- und Sozialräte auf Bundes- und Regionenebene, in jeder Stadt oder nach anderen regionalen Zuschnitten, teils auch grenzüberschreitend. Zwar gibt es noch Grenzen, auch zwischen den europäischen Ländern, aber die spielen im Alltag kaum noch eine Rolle.

Rohstoffe werden überwiegend durch Wiederverwertung gewonnen. Der Welthandel ist deutlich geschrumpft, seit immer mehr Länder dazu übergegangen sind, sich selbst mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. Der transnationale Güteraustausch wird ebenfalls durch Räte organisiert und dient überwiegend dazu, Engpässe oder gar Notsituationen zu beheben. Seltene Rohstoffe, Gewürze und Delikatessen, ebenso wie Kunstgegenstände, die Freude bereiten und Verbundenheit ausdrücken sollen, werden meist direkt zwischen genossenschaftlichen Zusammenschlüssen der Produzent*innen in dem einen, und der Konsument*innen in dem anderen Land ausgetauscht. Jedoch sind noch lange nicht alle Länder in dieses Solidaritätsnetzwerk eingebunden.

Versorgungssicherheit und betriebliche Vielfalt

Die größten und bedeutendsten Dienstleistungsbetriebe sind die öffentlichen Versorgungsunternehmen für Grundnahrungsmittel und Wasser, Energieversorgung und Wiederverwertung, Mobilität und Gesundheitsversorgung, Bildung und Erziehung usw. Sie werden ähnlich demokratisch geführt wie die Großbetriebe. Allerdings sind sie – soweit sinnvoll und möglich – in kleineren lokalen Einheiten organisiert, so dass im Sinne einer strikten Subsidiarität alles, was an der Basis vereinbart werden kann, weil es nur die Nutzer*innen direkt betrifft, auch dort entschieden wird. Sie arbeiten eng zusammen mit genossenschaftlichen Anbietern von Leistungen der Grundversorgung, die ganz überwiegend aus einer Zeit stammen, wo die öffentliche Versorgung noch sehr mangelhaft war und durch Engagement und Selbsthilfe der Nutzerinnen ergänzt werden musste.

Daneben gibt es eine Vielfalt von Kleinunternehmen, die teilweise privatwirtschaftlich – als herkömmliche hierarchische Unternehmen oder als kleine Familienbetriebe – und teilweise kollektiv genossenschaftlich organisiert sind. Sie genießen stärkere wirtschaftliche Freiheiten als die Großbetriebe, müssen sich jedoch ebenfalls an die strengen Auflagen des Arbeits- und Ressourcenschutzes halten. Die meisten von ihnen stimmen schon aus eigenem Interesse ihre Tätigkeiten ebenfalls mit den jeweils zuständigen Wirtschafts- und Sozialräten ab, um nicht am Bedarf vorbei zu produzieren. Viele Soloselbstständige arbeiten weiterhin auf eigene Rechnung, haben sich aber großteils zu genossenschaftlich organisierten Netzwerken oder Verbünden zusammengeschlossen.

Fortsetzung ...

* Das undefinierte „wir“ versuche ich normalerweise zu vermeiden. In dieser utopischen Reihe mache ich eine Ausnahme, weil ich beim Schreiben versuche, mich gedanklich ins Jahr 2048 hineinzuversetzen.

Eine Einführung in die Wünsche, Träume und Visionen habe ich am 1. Januar 2021 veröffentlicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

elisvoss

Freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.

elisvoss

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden