Wer mit dem Rad gekommen ist, muss es nun stehenlassen. Unwegsam ist der Weg zum schwammigen Moor, in dessen silbrig glänzendem Wasser Seggenarten und Sumpfschwertlilien sprießen. Auf seiner glatten Oberfläche spiegeln sich die Erlen und Weiden. Manche sind bei all der Feuchte ringsum zusammengekracht oder nur noch ein Stumpf.
Sie sind Überbleibsel einer denaturierten Vergangenheit: Vor zwei Jahrzehnten war hier, wo jetzt das Fettseemoor ist, kein Sumpf zu sehen. Ein künstlich angelegter Graben sorgte für den Abfluss des Wassers in die nahe Ragöse. Das Moor wurde dadurch trockengelegt, der Torf kam als billiges Brennmaterial in die Öfen – und das Vieh knabberte sich an den Schösslingen satt. So oder ähnlich erging es seit dem 17. Jahrh
17. Jahrhundert vielen Mooren. 99 Prozent der deutschen Moorgebiete sind deshalb praktisch verschwunden. In Brandenburg, das auf acht Prozent seiner Landesfläche moorigen Grund hat und damit unter den Bundesländern an dritter Stelle steht, sind auch nur noch ein bis zwei Prozent der torfbildenden Moore übriggeblieben. Diese meistens halbwegs intakten Moore liegen im Wald. Wie das Fettseemoor.Nur wenige ehemalige Moore haben das Glück, renaturiert zu werden. Dabei liegt das Glück vor allem auf Seiten der Menschen. Denn ein Moor speichert nicht nur in Form von Pflanzenresten Kohlenstoff, der im Boden besser aufgehoben ist als sein klimaschädliches Gas Kohlendioxid in der Luft, sondern es hält bei Bedarf eine Unmenge Wasser zurück. Solche Wasserspeicher braucht die Landschaft, um etwa Überflutungen der Oder abzufangen, und sie nützen der Agrarwirtschaft, wenn die Sommer heißer werden, wie das schon jetzt in Brandenburg absehbar ist. Vom Moor profitiert der Mensch auch deshalb, weil in seiner Nähe die Luft nicht nur feuchter, sondern auch deutlich kühler ist.„Moore“, sagt der brandenburgische Moorexperte Ron Meier-Uhlherr, „sind die Klimaanlagen ihrer Region“. Er beobachtet nicht nur, wie sich das Fettseemoor derzeit entwickelt, sondern untersucht die großen Moore in Südeuropa, wo bereits ein Klima herrscht, das uns die Zukunft den Hochrechnungen zufolge bescheren könnte.Gequollener TorfWie aber wurde das Fettseemoor, in dem sich nach dem Rückzug der Landwirtschaft zunächst nur Birken, Erlen und Weiden breit machten, wieder zu einem „echten“ Moor? „In diesem Fall ganz einfach“, erklärt der Revierförster Hans-Joachim Sakowski, „der das Trauerspiel ‚ausgetrocknete Moorfläche‘ nicht länger mit ansehen wollte und selbst Hand anlegte. „Zunächst habe ich den Abflussgraben versperrt, der hier vor gut 100 Jahren angelegt worden ist. Dadurch staute sich das Wasser, der verbliebene Torf quoll auf, der Boden hob sich und allmählich stieg der Wasserspiegel.“ Und nicht nur hier: Auch der kleine See im nahen Buchenwald von Neuehütte erhält nun mehr Wasser.Seit 1987 ist das Gebiet um das Fettseemoor als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Das geht auf das Konto des Greifswalder Biologen Michael Succow, Träger des Alternativen Nobelpreises. Er hat über moorkundliche Themen seine Dissertation und seine Habilitation verfasst, bereits in den siebziger Jahren eine Bestandaufnahme der Moore auf DDR-Gebiet vorgenommen und unermüdlich deren landschaftsökologische Bedeutung betont.Nach der Wende hat er nicht nur an der Universität Greifswald den Studiengang Landschaftsökologie und Naturschutz aufgebaut. Womöglich gäbe es ohne ihn heute an der Hochschule Eberswalde (HNEE) nicht den Fachbereich Landschaftsnutzung und Naturschutz: Vera Luthardt, die diesen entwickelte, hat bei Succow promoviert. Heute lacht das Herz eines jeden Moorliebhabers beim Anblick des Fettseemoors: Die „Vernässung“ konnte die Zersetzung des Torfs stoppen, die Torfmoose und Seggen, die es immer feucht haben wollen, breiten sich wieder aus, der Sonnentau, eine seltene, aber charakteristische Moorpflanze ist zurück, und das zarte Wollgras blüht wieder.Graugans und FischotterZwei Grauganspaare brüten wieder hier, wie auch der Kranich, der sein Nest fuchssicher anlegt, also gern in moorigen Bruchgebieten, wo Wasser das Wurzelwerk von Erlen umspült. Der Fischotter hat sich angesiedelt und der Biber. Der setzt nun das Werk fort, das der Förster begonnen hat, und staut das Wasser, wo es ihm beliebt. Die Folgen erkunden HNEE-Studentinnen von Vera Luthardt. Sie haben nicht nur mittels GPS die Biber verortet, die an der Ragöse und ihren Zuflüssen 31 Dämme gebaut und Biber-familientaugliche Burgen errichten konnten. Sie haben im Einzugsgebiet der Ragöse auch gemessen, wie lang und wie hoch solche Stauwerke sind, wie viele Kubikmeter Wasser sie je nach Dammhöhe zurückhalten, und wie der Wasserspiegel jeweils ansteigt. Dort, wo Biber leben, verbessert sich der Lebensraum insgesamt. Denn das so wichtige Wasser wird nicht nur zurückgehalten, statt über schnurgerade, tiefeingeschnittene Gräben abzufließen, es wird zudem kostenfrei gefiltert. In den Stauzonen setzten sich trübende Teilchen ab, und die Wasserqualität steigt.„Manche Anwohner, nicht nur die jugendlich übermütigen, haben das noch nicht realisiert“, ärgert sich die Eberswalder Biberforscherin Katharina Schulz. Da bleibe viel zu tun. Davon profitiert ihre Kollegin Antje Reets: Sie hat sich nach ihrer Diplomarbeit ein ganz neues Aufgabengebiet erschlossen und ist nun Bibermanagerin im Gewässer- und Deichverband Oderbruch. Die Biologen sind sicher: Falls die Oder über die Ufer tritt oder Deiche brechen, liegt das nicht an Bibern, die – anders als Bisamratten – nur im Einzelfall Deiche unsicher machen; sondern es liegt an unüberlegten Eingriffen des Menschen in den ursprünglichen Verlauf der Oder.Dass sich nicht alle Konflikte um den Erhalt von Biodiversität mit guten Argumenten lösen lassen, weiß die Spezialistin für Gewässerökologie Heike Mauersberger nur zu gut. Im Biosphärenreservat haben zwei Landbesitzer das Sagen über jeweils zwei-, dreitausend Hektar Wald und Agrarland, aber mit Mooren haben sie leider bisher nicht viel am Hut. Dabei liegen in ihren Besitzungen Flächen, die eigentlich nur auf eine Vernässung warten – keine großen Gebiete, viel kleiner sind sie als das Fettseemoor mit seinen kaum neun Hektar. Eine Renaturierung würde der Artenvielfalt, dem Klima und dem Wasserhaushalt Brandenburgs nützen. Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung.Zum Erhalt der Biodiversität plant die Bundesregierung ein Moorschutzprogramm, und die Hochschule Eberswalde hat mit der Humboldt Universität eine Webseite aufgebaut, auf der Landschaftsschutzbeauftrage genauso wie private Waldnutzer nachlesen können, wie sich trockenliegende Waldmoore schrittweise und je nach Gegebenheit renaturieren lassen. Das so genannte Decision Support System findet, wer will, unter dss-wamos.de.
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