90 Grad

Alltag I Waschsalons sind Irrgärten kryptischer Gebrauchsanweisungen

Manchmal erschließt sich die philosophische Tiefe eines Kunstwerks erst Jahre später. So begreift man die ganze Tragweite von Laura Derns Bemerkung "Es ist eine fremde, rätselhafte Welt" in Wild at Heart erst dann, wenn man zum ersten Mal im Leben, mit großen Tüten voller Schmutzwäsche bepackt, in einem Automaten-Waschsalon steht.

Wer eine solche Lokalität betritt, fühlt sich auf der Stelle der Welt entfremdet, ja uneins mit dem Universum. Und stellt sich alle gängigen Sinnfragen, von "Was tu ich hier?" bis hin zu "Was soll das alles?"

Denn vor jedem Waschautomaten, den man eben noch fröhlich mit seiner Schmutzwäsche vollstopfen wollte, befindet sich eine jener schriftlich-grafischen Anleitungen, die vordergründig simpel wirken, in Wirklichkeit jedoch nichts, aber auch gar nichts erklären.

An den Wänden stehen riesige, robust aussehende Waschmaschinen. Ein Schild warnt davor, die gewaltigen Stahltrommeln mit mehr als sechs Kilogramm Waschgut zu beladen. Die sich aufdrängende Frage "Weil sonst was?" bleibt ohne Antwort. Eine zweite Tafel verkündet, dass "dieses Geschäft Tag und Nacht" von einer Wachschutzfirma kontrolliert wird. Heißt das, wir müssen jederzeit mit einem Dutzend Security-Jungs rechnen, die mit gezogenen Waffen hereinstürmen und alle Anwesenden auffordern, ihre Schmutzwäsche langsam fallen zu lassen, um sie dann aufzusammeln und auf die mitgebrachte Waage zu legen?

Mit viel Mut zur Überfüllung hat man endlich die Trommel beladen. Aber was nun? Auf der einen Seite steht ein Bezahlautomat - auf der anderen eine Reihe von Waschmaschinen. Beide Sorten von Apparaten scheinen separat zu exististieren - aber auch auf rätselhafte Weise miteinander verbunden zu sein. Zunächst fordern die Anweisungen auf dem Bezahlautomaten dazu auf, eine Nummer zu drücken, die der bevorzugten Waschmaschine entspricht. Dann soll man die Temperatur wählen - und dabei unbedingt beachten, dass an beiden Geräten die gleiche Gradzahl eingestellt ist. Was aber, fragt man sich, geschieht, wenn am Geldeinwerf-Device der Zeiger auf "Kochwäsche", an der Maschine aber auf "30 Grad" steht? Wird eines der beiden Geräte explodieren?

Und wo kommt das Waschpulver her, für das man eben mitbezahlt hat? Aus dem Automaten, beziehungsweise aus einem der vielen Ausgabeschächte. Ein unauffällig platzierter Aufforderungsknopf setzt den Mechanismus in Gang. Weil man jedoch nicht weiß, aus welchem der Schächte sich das Waschpulver entladen wird, muss man sich - den bereitgestellten gelben Plastikbecher in der Hand - so positionieren, dass man alle vier Schächte im Auge behält. Wie ein Tier auf der Lauer, jederzeit zum Sprung bereit. Denn sobald der Automat den leisesten Mucks tut, muss man, quasi im selben Moment, seinen Becher unter dem Schacht in Stellung gebracht haben, um die Lawine von weißkörnigem Zeug aufzuhalten, das nicht etwa sachte herausrieselt, sondern sich mit großem Druck entlädt. Vom ungleichen Kampf zwischen Mensch und Maschine zeugen die vielen kleinen Waschmittelhäufchen auf dem Fußboden vor dem Automaten.

Jetzt könnte es eigentlich losgehen. Pulver einfüllen. Wäsche waschen. Auf der Oberseite der Maschine befinden sich große weiße Plastikklappen, die ein Labyrinth von Fächern und Kammern verbergen. Irgendwo da muss nun das Waschpulver eingefüllt werden - und irgendwo anders der mitgebrachte Weichspüler mit Rosenduft. Und irgendwo darf beides auf keinen Fall hinein. Die Fächer sind mit verschiedensten Symbolen gekennzeichnet. Nach einem kurzen Blick steht immerhin fest, dass die Kammer mit dem Zeichen, das an Herbstblumen erinnert, nicht für das Pulver in Frage kommt - denn dort befindet sich bereits ein steinhart verkrusteter Tenside-Hügel. Aber wohinein soll das Waschmittel dann? Eine Anleitungsskizze, die sich durch bemerkenswerte Detailverweigerung auszeichnet, besagt, es sei in die Waschmaschine zu füllen. Nun gut. Zur Auswahl stehen Fach I und Fach II. Leben heißt, pausenlos Entscheidungen zu fällen. Ich entscheide mich also mutig für Kammer II. Die Maschine springt an und pumpt Wasser in Kammer I - was sofortiges Handeln erfordert. Das Waschmittel muss eilig mit den Händen von Kammer I in Kammer II umgeschaufelt werden - was zur Folge hat, dass mir nach nur wenigen Sekunden eine Art gekörnter Pampe an den Fingern pappt. Die Masse klebt gut und trocknet schell. Forscher, die an der Entwicklung besserer Trocknungseigenschaften von Sekundenklebern arbeiten, sollten diesen chemischen Vorgang mal unter die Lupe nehmen.

Da ein Waschsalon weder eine Toilette noch ein Waschbecken besitzt, hilft beim Reinigen der Hände Cola, die als Erfrischungsgetränk mitgebracht wurde. Cola klebt im Zweifelsfall weniger als Waschmittel. Während die Wäsche wäscht, kann man versuchen, die Colafinger mittels Ablecken zu säubern.

Irgendwann ist es geschafft, die Finger schmecken nur noch leicht nach Zucker und sind bereit, die frischgewaschene Wäsche aus der Maschine zu holen.

Für die feuchten arielduftenden Socken und Hosen steht nun ein Trockner bereit - und schon stehen neue Probleme ins Haus. Zwar ist am Trockner eine Tafel mit international verständlichen Zeichen angebracht. Allerdings sind die Schildchen mit Wasch- und Trockenvorschriften in den Kleidungstücken umso verblichener, je lieber sie gemocht und je öfter sie getragen werden. Wie wäre es mit einer mehrsprachigen Warntafel: "In den Trockner gehören weder Seide, Schurwolle, noch alle Arten von Lieblingskleidern?"

Und wenn man schon einen Wäschewachschutz verpflichtet - weshalb beschäftigt man nicht hübsch uniformierte Damen, die durch den Waschsalon patroullieren, um hier einen Rat zur Waschtemperatur zu erteilen oder dort Tipps zum Thema Pulverkammer geben? Meinethalben könnten sie auch bewaffnet sein und renitente Wäscher mit vorgehaltener Pistole und einem entschlossenen: "Seide nicht in den Trockner" zu ihrem eigenen Glück zwingen.


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