Manchmal muss so ein Ortswechsel eben sein, da hilft nix. Mit viel Pech sogar einer, bei dem man als eigentlich überzeugte Großstädterin plötzlich in einem richtiggehend idyllischem Örtchen landet, mit frischer Luft und viel Aussicht und dolle viel Natur drumherum.
Blöderweise besteht Landleben immer auch aus belebter Natur, wie sich gleich am ersten Abend erweisen wird. Und der ist es draußen viel zu langweilig geworden, und deswegen schwirrt und summt und nervt sie nun in der Wohnung herum. Fliegen gibt es jedoch in der Stadt auch, weswegen die Flat-Fauna sich nicht allzu sicher fühlen sollte - Fliegenfänger und Insektenspray kommen deswegen als unbedingt auf die Einkaufsliste.
Im Bad dann wartet eine Überraschung. Ein kleiner Grashüpfer hat es sich in der Dusche bequem gemacht, flüchtet jedoch kurz entschlossen aufs kuschelige Handtuch. Wie niedlich! Allerdings nicht lange, wie sich kurz darauf beim Abtrocknen heraustellt: Der Grashüpfer verteidigt sein neues Revier mit Zähnen, die ganz schön spitz sein müssen, jedenfalls tut sein Biss ganz gemein weh. Und ist dazu auch noch feige, anstatt stehenzubleiben und sich totschlagen zu lassen, läuft er einfach weg.
Wohin ist unklar, deswegen verläuft die erste Nacht im neuen Zuhause recht unruhig, denn wer weiß schon, wo und wann das zweifellos tollwütige grüne Monster das nächste Mal zuschlägt?
Aber auch außerhalb der Wohung ist das Landleben ein bisschen unschön. Vor allem in einem kleinen Ort, der vorspielt, Bestandteil der Zivilisation zu sein. Die Errungenschaften, die das Kaff stolz präsentiert und die bei seinen Bewohnern zu der irrtümlichen Anschauung führen, man könne mit den Großen dieser Welt mithalten, sind an einer Hand aufgezählt. Ein Restaurant mit dämlichem Namen, zwei Kneipen, eine Bibliothek, ein Hallenbad, - das gibt es am Nordkap auch, trotzdem käme kaum ein Mitteleuropäer auf die Idee, diese Gegend als bewohnbar zu bezeichnen.
Denn der Ort besteht im Grunde aus Hauptstraße und ihr assoziierten Häusern mit Gras drumherum. Gras ist gemeinhin nur dann akzeptabel, wenn es entweder als Liegewiese oder als Aufenthaltsort für streichelzahme Kühe oder Pferde dient - Gras, das nichts anderes tut als wachsen und Pollen zu verschleudern, kann dagegen nicht hingenommen werden.
Zudem endet der erste Einkaufstag mit massiv schlechter Laune. Die Verkäuferin des örtlichen Drogeriemarktes hatte mit geübtem Auge festgestellt, dass man auf keinen Fall zu den Ureinwohnern gehören konnte, und auf der Stelle beschlossen, dass Fremde sich nicht einfach so zum Einkaufen in ihren Laden verirrten, sondern ganz klar nur ein Ziel verfolgen konnten: Klauen.
Einen eiernden Einkaufswagen an bemerkenswert unübersichtlich sortierten Regalen vorbei durch äußerst enge Gänge zu steuern und dabei "Shampoo, Duschgel, Insektenspray, Fliegenfänger" im Kopf zu behalten, ist schwer genug. Dabei auf Schritt und Tritt von einer ihren Jagdeifer nur schwer verbergen könnenden Dorftrutsche verfolgt zu werden, ist immens unschön. Ist das Servicepersonal dazu noch nicht in der Lage, einfache Fragen in etwas zu beantworten, das wenigstens entfernt an Hochdeutsch erinnert, so wird das Shoppen vollends unmöglich.
Aber nur wenige Tage später steht fest, dass alles immer noch schlimmer kommen kann, denn da bricht die Dorfkirmes los, die mit einem Umzug beginnt. Und zwar massiv: Aus den nur notdürftig zu Festwagen umdekorierten Traktor-Anhängern schallt das Widerwärtigste, was in den letzten 20 Jahren auf dem Gebiet der Stimmungshits ersonnen wurde.
Für Ruhestörungen, so weiß der findige Großstädter, ist gemeinhin die Polizei zuständig, deren umgehende Benachrichtigung in zivilisierten Gegenden gern auch mal mit den Worten "Ich ruf die Scheiß-Bullen!" angekündigt wird.
Auf dem Dorf wird das jedoch nicht so einfach sein: Fröhlich schunkelt das uniformierte Servicepersonal mit den Leuten, die es eigentlich zu beaufsichtigen - und in manchen Fällen wegen grober Trunkenheit auf der Stelle zu verhaften hätte - herum und wirkt nicht so, als würde es sich gleich in SEK-Uniformen werfen und den Unsinn auf der Stelle beenden.
Und wirkt anscheinend auch auf den Grashüpfer ermutigend, der plötzlich wieder in die Duschkabine gezogen ist und bei jedem Badbesuch demonstrativ mit den Zähnen fletscht.
Aber der wird sich noch wundern. Gleich morgen wird die Sprache der Einheimischen gelernt und sich dann so dermaßen verständigt, dass es nur so kracht. Und dann eine Fliegenpatsche gekauft. Man kann sich ja nicht alles gefallen lassen.
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