Elend, dieses Rumgeflocke

Schneeplatz Kolumne

Die Welt scheint in dicker, weicher Watte zu versinken. Winterliche Stille breitet sich aus. Die vormals so stark befahrene Straße vor dem Haus ist ein ruhiges weiße Landschafts-Stilleben geworden. Doch will man da wirklich raus? Entgegen dem, was in zahllosen flockenverherrlichenden Liedern so behauptet wird, ist Schnee von Grund auf böse. Das Weißröckchen, das in den Wolken wohnt, legt den weiten Weg auf die Erde nämlich nur aus einem einzigen Grund zurück: Um dort unbescholtenen Leuten auf die Nerven zu gehen und sie massiv zu belästigen. Die watteweich und unschuldig aussehende weiße Masse da draußen wartet nur darauf, dass man das Haus verlässt, um dann umgehend an einem hochzukrabbeln und sich als fieser Matsch in den Stiefeln niederzulassen - und in Folge schwere Krankheiten bis hin zur Lungenentzündung hervorzurufen. Oder, wenn das auserkorene Opfer sich als schuhtechnisch gegen jeden Einbruchsversuch gewappnet zeigt, dann halt als garantiert nicht rutschfester Untergrund herumzuliegen und für Unmengen Oberschenkelhalsbrüche zu sorgen.

Auch sonst taugt das nichtsnutzige Rumgeflocke zu nichts, außer als Auslöser für ausgedehnte Tagträume von palmenumsäumten, feinsandigen Stränden, langen Sommerabenden an idyllischen Seen oder Erdbeereis mit Sahne. Denn jedweder Versuch, Schnee irgendeine positive Seite abzugewinnen ist absolut nutzlos. Die notorische Herstellung so genannter Schneemänner, bestehend aus jämmerlich aussehenden, schief aufeinandergestapelten Rollen aus Halbgefrorenem mit einer im besten Fall nur langsam verfaulenden Möhrennase, gehört zum Beispiel alleine schon aus optischen Gründen verboten. Zudem entwickelt der weißgefrorene Regen auf Wollhandschuhen eine äußerst unschöne Tendenz zur Bildung graueisiger Klumpen, die im Tagesverlauf mit dem besonders von Kindern im Winter gern produzierten und an eben diesen Handschuhen mit Vorliebe abgeputztem Rotz eine glasharte Verbindung eingeht. Die, wenn man nicht aufpasst, tiefe, leicht entzündliche Wunden reißen kann, weswegen Händeschütteln in der kalten Jahreszeit eine noch ärgere Unsitte ist als im Sommer, wo lediglich das Risiko auf Übertragung hochinfektiöser fieser Viren und Bazillen besteht.

Aber zurück zum Schnee. Für den menschlichen Verzehr absolut untauglich - selbst frisch gefallen schmeckt er immer ein bisschen metallisch, was vielleicht an der Umweltverschmutzung liegt oder womöglich auch daran, dass das Zeugs einfach alles Böse in seiner Umgebung absorbiert, wer weiß das schon, - kann man auch sonst kaum etwas mit ihm anfangen, außer vielleicht das nagelneue, aus Kostengründen nicht vollkaskoversicherte Auto mit seiner Hilfe um die nächstbeste Laterne zu wickeln oder in irgendeinem Straßengraben zu zerschrotten. Oder Vögelchen und anderen dummerweise nicht Winterschlaf haltenden Kleintieren, die aufgrund der geschlossenen, festgefrorenen Schneedecke nichts mehr zu fressen finden, beim Verhungern zugucken. Oder dabei zuschauen, wie Kinder einander beim Schneeballschlachten die Augen auswerfen. Wobei Mopedfahrer, die sich an ihren aufgrund der Witterung zwingend erforderlichen langen Fransenschals strangulieren, auch kein besonders schöner Anblick sind.

Wozu also gibt es Schnee, wenn er eigentlich nur Nachteile hat? Selbst die so genannten Wintervergnügen wie der Wintersport sind objektiv betrachtet keine, bedeuten sie doch in bergigen Gegenden und auf Skiern betrieben neben gründlichem Durchfrieren offene Knochenbrüche und den folgenden Abtransport in nur unzureichend geheizten Rote Kreuz-Schlitten, zum Gaudi der umstehenden halbbetrunkenen Pistenrowdies. Wobei Schlittenfahren, das weiß jedes Kind, das das Unglück hatte, eine unternehmungslustige Frau zur Mutter zu haben, der kein Hügel zu hoch, kein Stacheldrahtzaun zu nah und keine Piste zu eisig war, ein absolutes Übel ist. 30 Sekunden intensivster Todesangst, gefolgt von einer Viertelstunde höchst mühsamen Aufsteigens sind kein Spaß - und in einen normalen Nachmittag passen unglücklicherweise locker zehn, 15 Abfahrten. Woraus folgt: Schnee gehört abgeschafft. Auf der Stelle.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden