Wo während der Männerfußball-WM die Frauen sind, ist schnell erklärt: Nicht auf dem Spielfeld. Und auch nicht an dessen Rand, denn es gibt bei der Weltmeisterschaft ganz einfach keine Schieds- und Linienrichterinnen oder Trainerinnen. Noch nicht einmal in einem klassischen Frauenfach sind sie anzutreffen: Keine einzige Mannschaft beschäftigt eine Frau, die als medizinische Expertin auf der Ersatzbank sitzen darf. Besonders zu irritieren scheint dies allerdings niemanden. Wenn überhaupt mal ein Frauenmangel bei der WM beklagt wird, geht es um Fernsehjobs.
Normalerweise werden bei Großereignissen des Sports Ex-Profis als Experten vor die Kameras geholt. Die ehemalige Weltklasseschwimmerin Kristin Otto darf beispielsweise bei Olympia das Männer- wie das Frauenschwimmen begleiten. Aber neben Mehmet Scholl und Oliver Kahn auch mal eine Spielerin der – überaus erfolgreichen – Frauen-Fußballnationalmannschaft zu buchen: Auf diese Idee kam bislang weder die ARD noch das ZDF. Fachlich qualifizierter als die Theaterwissenschaftlerin Katrin Müller-Hohenstein, die bis zu ihrer Verpflichtung fürs aktuelle sportstudio in Lokalrundfunksendern Vor- und Nachmittagsssendungen moderierte, dürften die Ex-Kickerinnen allemal sein. Und vielleicht hätten sie im Gegensatz zu Müller-Hohenstein darauf verzichtet, bei der WM 2010 im Gespräch mit Oliver Kahn anlässlich eines Tors von Miroslav Klose von einem „inneren Reichsparteitag“ zu sprechen.
Immerhin: Müller-Hohenstein passt gut zum allgemeinen Elend der deutschen Fußballberichterstattung. In Interviews gibt sich die „Grand Dame der deutschen Fußball-Moderatorinnen“ (Die Welt) jedenfalls weniger damenhaft als vielmehr merkwürdig. Sei es der besorgt-mütterliche Tonfall, mit dem sie Jogi Löw nach dem mühsamen 2:1 gegen Algerien wieder aufzurichten versuchte; seien es die mitfühlenden Fragen und der entschuldigende Blick, wenn sie auf unangenehme Punkte wie das Versagen einzelner Spieler zu sprechen kommt, oder, umgekehrt, das entschlossene, überlaute Betonen positiver Aspekte. Nicht zu vergessen sind auch die koketten Momente, in denen sie mit ihrem jeweiligen Gesprächspartner zu flirten versucht. Was immer diese Frau da im Fernsehen veranstaltet: Es ist definitiv kein Journalismus – sondern bloß menschelndes Talkshow-Gebaren mit recht dezentem Fußballbezug.
Müller-Hohensteins Performance ergänzt wunderbar das, was in der Live-Berichterstattung der Begegnungen auch sonst geboten wird. Ein Fußballspiel live zu kommentieren, ist im Grunde nicht schwierig: Wer in der Lage ist, sich Trikotnummern und die dazugehörigen Namen und Gesichter sowie ein paar Geschichten über die jeweiligen Spieler zu merken, ist für den Job schon ganz gut qualifiziert. Denn mittlerweile ist es gang und gäbe, das Evidente noch einmal breit zu erklären, also etwa was die Nummer 11 unten auf dem Platz gerade macht und dass das leider, leider nicht zum Tor führte: Ooouuuu, da hätte sich der Stürmer aber mehr anstrengen müssen! Aber halt, da hat der Schiedsrichter gepfiffen, das müssen wir uns in der Zeitlupe noch einmal ansehen. Warum Fußballreporter glauben, dass Zuschauer das, was sie gerade mit eigenen Augen sehen, noch einmal erzählt bekommen wollen, ist unklar. Fußball ist ja nun wirklich keine besonders komplizierte Sportart.
Noch schlimmer als der Erklärzwang ist der Emotionsausbruch oder das, was die Kommentatoren dafür halten. Bekommt der am Mikrofon Sitzende kurz mal Angst – Kommentatoren sind ja auch Fans, sie fürchten sich davor, dass ihre Mannschaft verlieren könnte –, dann lassen sie ihre Zuschauer daran teilhaben, indem sie mit immer leiser werdender, gepresster Stimme schildern, dass ihr Team gleich einen Elfmeter schießen wird. „Ach, tatsächlich?“ – denkt sich das Publikum, das das ja selbst auf dem Bildschirm sehen kann. Oh wie wichtig wäre es, diesen Treffer jetzt zu erzielen, fleht der Kommentator; die Nummer 11 legt sich den Ball zurecht ... läuft an ... – nein! Gern wird auch mal geschrien, wahrscheinlich, um zufällige Einschalter davon zu überzeugen, dass gerade extrem tolle Sachen passieren und auf keinen Fall umschaltet werden darf.
Klassische Mechanismen
Das alles könnten Frauen auch – wenn man sie denn ließe. Oder wenn sie wollen würden. Die Art und Weise, wie die bereits aktiven Reporterinnen in den Medien präsentiert werden, kann man nämlich durchaus abschreckend nennen. Da gibt es Online-Bildstrecken, in denen unter Überschriften wie „Schön und kompetent“ Bilder der fast durchgehend blonden oder wenigstens blondierten Fußballfachfrauen präsentiert werden. Oder Interviews, in denen ganz selbstverständlich Privates abgeklopft wird, Dinge, die ein männlicher Kommentator nie gefragt wird, etwa auf welchen Frauentyp genau er steht oder ob er „in festen Händen“ ist, und wenn, ob die Ehe oder Beziehung darunter leidet, dass die Wochenenden am Rasen verbracht werden. All diese Dinge scheinen zum Job des Fußballkommentierens dazuzugehören – wenn eine Frau diesen Job erledigt.
Aber nicht nur im Fernsehen, auch in den Printredaktionen sind nur sehr wenige Sportredakteurinnen oder -autorinnen zu finden. Wie in vielen anderen Branchen greifen auch hier einige klassische Mechanismen. Da ist das notorisch Männerbündlerische, das sich etwa in Insiderwitzen niederschlägt; da ist die demonstrative Verbundenheit zwischen Journalisten und Vereinsführung, die jeden Neuling zunächst ausschließt. Im traditionellen Fußballjournalimus geht es nicht nur um Tore und Verletzungen, sondern auch um Privilegien. Ein gutes Verhältnis zum Präsidium bedeutet, Informationen möglicherweise früher als die Konkurrenz zu erhalten, was kritische Berichte oder gar Enthüllungsgeschichten tendenziell erschwert, wenn nicht verhindert.
„Sind Sportjournalisten eigentlich Journalisten oder doch nur Fans, die es über die Absperrung geschafft haben?“, lautete die Frage, die das Netzwerk kritischer Sportjournalisten in seinem 2006 veröffentlichten Buch Korruption im Sport stellte. Fakt ist, dass die sogenannte Vereinsnähe in vielen Sportredaktionen bis heute ungebrochen als unbedingter Vorteil gesehen wird. Wofür das Bewusstsein fehlt: Dass ein Journalist, der gleichzeitig für das Klubmagazin schreibt oder Redakteur der Vereinsfestschrift ist, diesen lukrativen Nebenverdienst nicht so ohne Weiteres einer Story über kriminelle finanzielle Machenschaften bei ebenjenem Verein opfern wird. Nur am Rande: Katrin Müller-Hohenstein bekam 2010 übrigens großen Ärger mit ihrem Arbeitgeber, weil sie einen Werbevertrag mit einer Molkerei abgeschlossen hatte, obwohl das ZDF seinen Journalisten Engagements in der Werbung verbietet.
Okay – aber wie ist es denn nun ganz konkret, eine Fußballjournalistin unter Fußballjournalisten zu sein? Da ich als erste Frau hierzulande Ende der 90er Jahre die Leitung des Sportressorts bei einer überregionalen Zeitung übernommen habe, werde ich das oft gefragt. Und meine Antwort lautet, im Kern: „Es ist lustig, wenn man Spaß an abstrusen Situationen hat.“
Die Zahl der Männerarme, die sich unverlangt um meine Schultern legten, während ihre Inhaber etwas wie „Ich erklär dir mal, was Abseits ist“ sagten, ist jedenfalls Legion. Auf einem Westberliner Sechstligaplatz wurde ich einmal mit den Worten „Wie, die schicken uns heute eine Frau?“ empfangen. Die Enttäuschung war unüberhörbar: Da war er also, der große Tag, an dem der Verein ein Spiel absolvieren würde, das morgen in der Zeitung stehen würde – und dann das: eine Frau! Meine Antwort auf die offensichtliche Bestürzung tröstete den fassungslosen Präsidenten kaum. Ich sagte: „Ja, ich bin die Strafe.“
Manchmal allerdings bleibt auch mir nur Sprachlosigkeit. Wie bei einem Interview mit einem Ostberliner Vereinspräsidenten, der die Frage nach dem „Wie geht es denn nun weiter mit dem Klub?“ mit einem „Nein, wie sind Sie hübsch!“ beantwortete. Auch alle weiteren Versuche, etwas auch nur halbwegs Zitierbares aus ihm herauszubekommen, beantwortete er mit einer Variation des Hübsch-Themas. Er holte sogar seinen Vizepräsidenten dazu und sagte dem: „Schau sie dir an, ist sie nicht hübsch?“ Das komplette Interview haben wir dann übrigens ungekürzt abgedruckt, eine Reaktion des Vereins gab es nie.
Zumindest schwer gaga
Aber es sind nicht immer nur Männer, die einer Fußballjournalistin das Leben schwer machen. Besonders niederschmetternd war mein bisher einziger Versuch, als Ressortchefin einen meiner männlichen Autoren für ein Champions-League-Spiel zu akkreditieren. Sehr deutlich war die Reaktion der Vereinssekretärin zu spüren: Sie hielt mich für eine Hochstaplerin, zumindest für schwer gaga. Natürlich gab es keine Karte für den Autoren – bis der Sportpraktikant es versuchte. Der bekam bei der Vereinsangestellten dann alles in Minuten durch.
Und manchmal erlebt man sogar ausgesprochen Erstaunliches, wie bei einem Fanfest, über das ich berichten sollte. „Ich muss dir etwas zeigen, komm“, sagte ein leicht angetrunkener Mann im Laufe des Abends zu mir. Ohne weiter nachzudenken, ging ich mit nach draußen. Zielstrebig lief er über das Vereinsgelände, immer weiter ins Dunkel. Die Partygeräusche wurden immer leiser, und erst da fiel mir auf, dass ich womöglich einen großen Fehler gemacht hatte. Gerade als ich beschlossen hatte, schreiend wegzulaufen, drehte sich der Mann zu mir um und sagte: „Schau mal, unser Stadion bei Vollmond. Ist es nicht wunderschön?“
Elke Wittich ist die erste Frau, die in Deutschland die Leitung des Sportressorts bei einer überregionalen Zeitung (Jungle World) übernommen hat
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