Die geteilte Stadt

Pegida Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, öffentliche Hassreden, ein rassistisch motivierter Anschlag auf eine Politikerin: Wird rechtes Gedankengut wieder salonfähig?

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Gegendemonstrantinnen und -demonstranten gehen am Montag gegen die Feier des Pegida-Jahrestags auf die Straße
Gegendemonstrantinnen und -demonstranten gehen am Montag gegen die Feier des Pegida-Jahrestags auf die Straße

Foto: ean Gallup/Getty Images

Die Dresdner Innenstadt ist leer an diesem späten Montagnachmittag. Nur vereinzelte Passanten flanieren die Prager Straße entlang. Die Polizei hat Sicherheitswarnungen für die Innenstadt herausgegeben: Pegida feiert an diesem Tag auf dem Theaterplatz mit geladenen Gästen einjähriges Bestehen. Das Bündnis „Herz statt Hetze“ hat zum Gegenprotest aufgerufen. Trotz großem Polizeiaufgebot werden Eskalationen befürchtet. Nachdem Pegida im Sommer beinahe zerschlagen schien, zeigt sich die Bewegung zum Jahrestag wieder erstärkt und härter denn je. Zeit einmal genauer hinzuhören, finde ich, und beschließe mir Pegida anzusehen: Aus nächster Nähe, als Pegida-Party-Teilnehmerin am Jahrestag.

Kurz nach meinem Entschluss bekomme ich Zweifel: Verleiht man den selbst ernannten „patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ damit nicht nur ein Forum? Darf man sich überhaupt undercover auf eine solche Kundgebung begeben oder treibt man damit nur die Teilnehmer-Statistik für Pegida in die Höhe? Und nicht zuletzt: Was zieht man zu einem Pegida-Treffen an? Die ersten zwei Fragen lassen sich nicht abschließend beantworten, die letzte ist nach dem Anschauen von einigen Youtube-Videos erschreckend einfach: Irgendetwas. Klassische Pegida-Klamotten scheint es auf den ersten Blick nicht zu geben. Pegida wirkt nicht nur inhaltlich wie ein Sammelbecken für die breite Masse.

Auch wenn die Altstadt leer wirkt, deutet hier nichts auf eine angespannte Stimmung hin. Im Gegenteil: Zwei Mädchen mit Dreads sitzen auf einer Bank und übersetzen ein Dokument für zwei gleichaltrige Jungs, die kein Deutsch sprechen. Vor Karstadt sitzt eine große Gruppe Studenten auf dem Boden und malt Schilder mit Aufschriften: „Für ein buntes Dresden“ und „ Nazis abschieben – sofort!“. Auf dem Albertplatz hat die Partei zur Demo eingeladen und etwa ein Dutzend junger Leute haben sich bunte Spaß-Hüte angezogen, hören lautstark Happy Birthday aus scheppernden Boxen und trinken vor Schildern mit der Aufschrift „Hetze mit Herz“ und „Happy birthday Peggy!“ Dosen- und Flaschenbier.

Der Theaterplatz selbst sieht um 17 Uhr aus wie eine historische Kulisse. Nur die bereits aufgebaute Bühne, drei Polizeiwagen und eine elektronische Leinwand auf der Semperoper mit dem Slogan „Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass“ deuten auf das hin, was gleich passieren wird. Um 17:30 kommen die ersten Pegida-Anhänger. Einer mustert mich und eine Freundin, die mich auf dem Weg zur Arbeit begleitet hat, im Vorbeigehen und zischt: „Fängt hier die Gegendemo an?“. Anscheinend gibt es doch einen Dresscode. Jeans und Daunenjacken bestimmen das Bild. Ich tausche meinen etwas extravaganten Parka schnell gegen die Daunenjacke der Freundin, stecke meinen Pony weg, setze einen strengen Blick auf und stelle mich neben die Bühne.

Eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn füllt sich der Platz langsam. Eine fünfköpfige Familie mit Deutschlandhüten und Pegida-Slogan auf den T-Shirts macht grinsend Selfies an einem Laternenmast, ein Mann mit einem Bauarbeiterhelm mit der Aufschrift „Antifa-Schutz“ kratzt ausdauernd alle fünf Antifa-Aufkleber von dem Laternenmast ab und sagt anschließend: „Denen hammas gezeigt.“ Sonst wird hier wenig geredet. Überhaupt ist es sehr still. Nur vereinzelt nähern sich Grüppchen mit kurzem „Wir sind das Volk"-Ruf, ansonsten wird geschwiegen und abgewartet. Die Plakate sprechen für sich. Eines zeigt Merkel mit klassischem Hitlerbart, ein etwa 15-Jähriger hält eine Comicfratze mit der Aufschrift „Lächeln reicht nicht – such dir ein neues Volk“ hoch. Der Einwort-Satz-Slogan der Stunde: Merkelmussweg.

Ein Mittzwanziger freut sich sehr, einem ARD-Reporter vor laufender Kamera zu erzählen, was seiner Ansicht nach so alles schief läuft in diesem Land. Die Umstehenden hören aus Abstand zu. Als der ARD-Reporter nach gut zehn Minuten Aufnahme sagt, nun reiche es, schreit der Mann: „ Also doch Lügenpresse! Ich war doch gerade erst am Anfang. Wir als ehemalige Bürger eines totalitären Regimes haben ein besonders gutes Gefühl dafür, wenn etwas nicht demokratisch ist und stinkt und das ist bei denen da oben eindeutig der Fall!“ Die Umstehenden nähern sich. Einer schreit: „Aufhören zu reden, die schneiden doch eh was ihnen passt.“ Die anderen skandieren „Lügenpresse, Lügenpresse.“

Um 18:30 wird es auf einen Schlag voll. Da ich meine kleine Tochter dabei habe, fliehe ich an den Straßenrand. An der Haltestelle der nicht fahrenden Straßenbahnen stehen zwei japanische Touristen mit einer großen Kamera, drei Spanier diskutieren wild, ein alternativ angezogener Mittdreißiger lehnt an einer Hauswand und guckt mürrisch. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich hier noch unter den Demonstranten befinde, als eine gut situiert wirkende blonde Frau und ihr Mann mich ansprechen und erklären, wie mutig sie mich fänden, mich hier mit einem Kind hinzuwagen. „Mutig?“ frage ich zögerlich.

„Unter die bösen Nazis da“, sagt die Frau und mustert mich eindringlich. Ich wiederhole stumpf „Nazis?“ Sie lacht und sagt: „Na, das schreiben die doch immer so. Aber Sie sehen es ja jetzt selbst, hier vor Ort: Alles ganz friedlich hier, keine Hetze oder so. Hetzen tun die Linken. Die haben mir vorhin auf dem Weg hierhin ganz den Dutt durcheinander gebracht!“ Sie zeigt empört auf ihr Haar und fügt hinzu: „Die würden auch vor ihrem Kind nicht halt machen.“ Um eine Unterhaltung zu beginnen, frage ich, ob die Polizeiabsperrung die beiden Seiten nicht gut voneinander abschirme und sie schüttelt den Kopf. „Leider sind es zu wenige", sagt sie. „Aber die tun alles, um uns zu schützen, keine Sorge. Unser Lutz hat da ja viele Freunde. Das aber hier ganz inoffiziell, ja?“ Sie zwinkert verschwörerisch.

Lutz Bachmann betritt die Bühne und bedankt sich zunächst bei der Polizei „für die super Arbeit.“ Und sieht als größte Leistung Pegidas im letzten Jahr „ ... dass wir den Stellenabbau bei der Polizei erfolgreich gestoppt haben.“ Sonst fällt viel NS-Rhetorik wie „Lügenpresse,“ „Volksverräter“ und „Umvolkung“, viel Zahlenjogliererei und Spekulation, viele NS-Vergleiche. Nur sind die besorgten Bürger Pegidas bei diesen Vergleichen die Verfolgten, die amtierenden Politiker Akteure eines Unrechtsregimes gleich dem NS-Staat.

Ein Paar mit Sohn im Alter meiner Tochter stellt sich neben uns. Die Kinder lächeln sich an, der Vater fragt: „Auch hier, damit sie nicht mal Burka tragen muss?“. Er erzählt von 1000 Flüchtlingen auf 500 Einwohner in einem Dorf bei ihm um die Ecke, davon, dass man in Dresden sagen könne, was man denke, im Gegensatz zu dem durch seine Universität so politisch korrekten Cottbus und ich merke, dass ich hier nicht mehr lange stehen kann. Es macht mich zu traurig. Die Menschen wirken so wütend und frustriert. Man möchte sie eigentlich nur in den Arm nehmen und sagen: „Na Mensch, da ist sicher einiges schief gelaufen bei dir und ich stimme dir zu, da läuft gerade auch in der Politik einiges schief, aber: Pegida? Ernsthaft? Ach komm!“

Ich kämpfe mich aus der Masse raus, bevor es zu Ausschreitungen kommt. Auf der Brücke in Richtung Neustadt machen sich gerade die Gegendemonstranten auf den Weg nach Hause. Ich löse meine Haare, hole meinen bunten Schal aus der Tasche und atme auf. Auf den Plakaten hier stehen Slogans wie „Dresden ist bunt – und das ist gut so“ und „Wir schaffen das!“. Es sind viele Familien mit Kindern darunter, die Stimmung ist gelöst. 14.000 sind laut ersten Schätzungen gegen Pegida auf die Straße gegangen, so viele wie noch nie. Trotz ein paar Handgreiflichkeiten zwischen Pegida-Anhängern und Gegendemonstranten kam es zu keiner Eskalation. Die Stimmung aber dürfte nach diesem Montag noch eine ganze Weile angespannt bleiben. Wenige Wochen nach dem 25. Jahrestag der deutschen Einheit ist Dresden eine geteilte Stadt.

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