Um den Schriftsteller und Journalisten Josep Pla, der mit Mercè Rodoreda und dem in Aragon geborenen Jesús Moncada das funkelnde Dreigestirn katalanischer Literatur des 20. Jahrhunderts bildet, kursieren besonders viele Anekdoten. Eine wenig schmeichelhafte Geschichte berichtet von seiner negativen Rolle als Jurymitglied: die junge, im schweizerischen Exil lebende Mercè Rodoreda erhielt dank Plas Veto einen verdienten Literaturpreis nicht. Anekdoten dieser Art, vermischt mit von Pla selbst in Zirkulation gebrachten Selbstporträts - das Ganze vor dem Hintergrund turbulenter Zeiten des Umbruchs und Bürgerkriegs (1936-39) sowie der Diktaturen (1923-1930; 1939-1975), während der vieles hinter verschlossenen Türen und im Exil, also außerhalb des Landes, geschah oder verhandelt wurde - lassen Pla als besonders schillernde Figur erscheinen.
Josep Pla wurde 1897 im katalanischen Hafenstädtchen Parafrugell, 80 Kilometer von der französischen Grenze, geboren. Nach dem Jurastudium in Barcelona ging er als frisch gebackener Journalist 1920 nach Paris, dann nach Madrid. Es folgten Aufenthalte in Genua und Berlin, wo er als Auslandskorrespondent den Aufstieg Mussolinis und Hitlers sowie die Wirkung der Inflation erlebte. 1925 veröffentlicht Pla sein erstes Buch, Dinge, die ich gesehen habe: Landschaftsbeschreibungen, Reisebilder, Kommentare zur Zeitgeschichte.
Die Jahre der zweiten Republik (1931-36) verbringt Pla, durch Reisen unterbrochen, in Madrid. Aus seiner politisch konservativen Haltung heraus und der geringen Sympathie für die Republikaner verlässt er Spanien mit Ausbruch des Bürgerkriegs, geht nach Frankreich. Dort soll er über einen kurzen Zeitraum für die Franco-Seite spioniert haben. Sein Valencianischer Kollege Joan Fuster meint: "Während des Spanischen Bürgerkriegs schlug sich Pla auf die Seite der Franco-Anhänger, und ich fürchte, er tat dies einzig und allein aus Angst, dem revolutionären Trauma könnte das Privateigentum zum Opfer fallen". 1939 geht er zurück nach Barcelona. Sein Reiseführer für die Costa Brava (1941) erscheint auf Spanisch, da Katalanisch seit 1936 vom Franco-Regime verboten ist.
Pla veröffentlicht Erzählungen, Reportagen zur Zeitgeschichte, Chroniken, Essays mit anthropologischem Einschlag, die regionale Sitten und Gebräuche beschreiben. Zum Herzstück seines umfangreichen Werks - es umfasst 47 Bände - zählen biografische Essays berühmter Katalanen wie Salvador Dalí und Antonio Gaudí, aber auch Weltautoren wie Dostojewski.
Vielleicht lässt sich Plas Werk als Versuch interpretieren ein Gegenmodell zu den in der Literatur vorherrschenden Ideen des Erhabenen, der Transzendenz zu entwickeln. Sein Schreiben setzt auf die Materialität des Lebens, die Einfachheit und Banalität der menschlichen Existenz. Ihn interessiere "die Naturwissenschaft viel mehr als die Metaphysik und Theologie", bemerkt er. Pla forderte für seine Prosa strenge Kriterien, sie müsse: "Ökonomie und Geometrie in den Dienst einer Prosa stellen, die den Verzicht auf Emphase, ja den Verzicht überhaupt zu ihrem Leitfaden macht".
Dank seines überragenden schriftstellerischen Könnens behalten heute angestaubt wirkende Themen - wie ländliches vs. städtisches Lebens respektive des hierarchischen Verhältnisses zwischen Fischern, Bauern und studierten, rhetorisch hochtrabenden Bürgern - ihre Spannung und ihren Glanz. Mit Ironie, situativem Witz, seiner Kunst, Wirklichkeit äußerst lebendig zu erfassen, vermag er selbst heute noch Interesse für das vor 100 Jahren gelebte Leben in der katalanischen Provinz zu wecken. Das gilt sowohl für Das graue Heft, Plas Tagebuch 1918/19 (1966), als auch für den Roman Enge Straßen (1951), die beide nun auf Deutsch vorliegen.
Das Tagebuch beginnt am 8. März 1918, als Pla seinen 21. Geburtstag feiert. Es ist die Zeit der Spanischen Grippe, die Universität in Barcelona hat geschlossen, und Pla wohnt wieder bei der Familie in Palafrugell. Die Tagebuchaufzeichnungen enden am 15. November 1919, als der junge Journalist das Angebot, als Korrespondent in Paris zu arbeiten, angenommen hat und die letzten Reisevorbereitungen trifft. Die Tagebucheintragungen 1918-19 versammeln Beobachtungen, Porträts, Selbstreflexionen, Erinnerungen, die in Wirklichkeit aus dem weitaus größeren Zeitraum - 1918 bis 1965 - stammen. Wie der Romanist und Übersetzer Eberhard Geisler im Nachwort klar stellt, handelt es sich bei dem Tagebuch um autobiographische Memoiren. Wesentliche Teile wurden erst 1939-41 verfasst und der Gesamttext (die deutsche Ausgabe bildet eine Auswahl) 1965 überarbeitet. Textpassagen aus Erzählungen und Chroniken der zwanziger Jahre tauchen in leicht veränderter Form wieder auf. Gerade die Verknüpfung von wiederholt Erzähltem, Fiktivem und Biographischem übt den besonderen Reiz des Grauen Hefts aus.
Plas Heimatort Palafrugell verbirgt sich auch hinter Torrelles, dem Ort der Handlung des Romans Enge Straße. Roman aus der katalanischen Provinz. Eigentlich besteht der Roman aus einer Aneinanderreihung von Erzählungen. Die Ankunft des neuen Tierarztes in Torelles erlaubt es, den Ort und seine Umgebung, Topographie und Geschichte, seine Bewohner mit Distanz - mit den Augen des Zugereisten - zu beschreiben. Das Provinzstädtchen lebt und erfindet sich selbst im Klatsch und Tratsch der lebenserfahrenen Köchin Francisqueta, die alles über Liebesleben, Ehekräche, Besitzverhältnisse, Erbschaften, Schicksalsschläge der Bewohner zu berichten und zu kommentieren weiß.
Der Leser erfährt vom sommerlichen Ritual des Straße-Wässerns. Trotz Wasserknappheit geht der Barbesitzer einem inneren Bedürfnis nach, malt zur Freude seiner Kunden kunstvoll Rauten und Rhomben auf den Boden. Die Barbesuche führen darüber hinaus zu der definitiven Gewissheit über die Banalität des Lebens: "Eines Tages wird ein Mann dich fragen: Und was haben Sie heute zu Mittag gegessen? und das wird in all den Jahren deines Lebens definitiv der größte Einschnitt sein. In der Bar oder vor der Bar", monologisiert der Tierarzt. Pla liefert ein grandioses, ironisches Porträt Palafrugells über das er an anderer Stelle urteilt: "Ich finde es großartig, in einem Städtchen geboren zu sein, das keinen Erlöser, keinen Sammler entlegener Erfindungen, keinen Prediger mit Stentorstimme hervorgebracht hat. Das gibt mir ein Gefühl von Leichtigkeit und Freiheit".
Das glücklichste Händchen bei der Wahl und Übersetzung Plas zeigt Heinrich von Behrenbergs Verlag mit dem Erzählband: Der Untergang der Cala Galiota. Geschichten vom Meer. Die Erzählungen wurden in katalanisch Anfang der fünfziger Jahre publiziert. Plas Repertoire - Reisebilder, Landschaftsbeschreibung, Porträts, Zeitchronik - entfaltet sich hier in genauen Beschreibungen der Topographie und der Menschen seiner Heimatregion. In die mediterrane Idylle der Costa Brava, die heute nostalgische Gefühle auslöst, brechen unverhofft Schiffsunglücke, Zeichen des Krieges, das Exil ein. In Eine gescheiterte Reise, einer der drei Erzählungen, tritt ein ungleiches Gespann Ende des Ersten Weltkriegs eine Segelreise an. Sebastià Puig, genannt Hermós, Fischer, Schiffer, Jäger, Koch, treibt der dringliche Wunsch, endlich nach vier Jahren Krieg seine Verwandten auf der französische Seite zu besuchen. Sein junger Freund, der Ich-Erzähler aus Palafrugell, begleitet ihn und schreibt Tagebuch.
Fasziniert von der Wirkung des Meeres notiert er am 6. Oktober 1918: "In manchen Augenblicken ist das Meer so großartig, so angenehm, so der Fülle des Menschseins verbunden, dass wir gern dem Wind widerstehen und uns alle anderen Dinge winzig vorkommen. Ich beneidete Hermós zutiefst. Ihn interessierte nichts, was nicht mit dem Meer zusammenhing. Ich war so viel jünger als er, im Vollbesitz meiner Kräfte, und doch bloß ein schäbiger Literat, ein starrköpfiger, versponnener Caféhausgast. Hermós machte Feuer. Ein oder zwei Stunden bevor ich aufgewacht war, hatte er schon Meeresjunker und in allen Farben schillernde Zackenbarsche geangelt. Die sollten nun auf den Grill kommen, um sich in die köstlichsten und schmackhaftesten Gerichte unserer Landesküche zu verwandeln." Die Herbstürme schlagen den Freunden ein Schnippchen, unverrichteter Dinge schippern sie aus französischen Gewässern zurück in den heimatlichen Hafen. Josep Pla starb 1981 in Llofriu.
Josep Pla: Enge Straße. Roman aus der katalanischen Provinz. Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt. Ammann, Zürich 2007, 282 S., 22,90 EUR
Josep Pla: Der Untergang der Cala Galiota: Geschichten vom Meer. Aus dem Aus dem Katalanischen von Theres Moser. Berenberg, Berlin 2007, 192 S., 19 EUR
Josep Pla: Das graue Heft. Tagebuch. Aus dem Katalanischen von Eberhard Geisler. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2007, 249 S., 14,80 EUR
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