Sex im Zuckerrohr

Fassadenliteratur In Zoé Valdés´ "Café Cuba" kommt statt der Erzählmaschine die Klischeemaschine in Gang

Kuba ist ein Land, das sozialistisch ist, autoritär geführt wird, sich auf eine Figur fixiert, ein Land also, daß alle vorstellbaren Negativa vereinen mag, aber es ist gleichzeitig ein Land, in dem Menschen leben, das Kultur hervorbringt, nach eigenen internen Dynamiken funktioniert, Dynamiken, die mit der Welt in Austausch stehen. Genau hier im Austausch mit der Welt gibt es einen neuralgisch-neurotischen Punkt, der insbesondere die USA betrifft, wo der größte Anteil der Emigranten lebt, die Kuba in seiner langen Geschichte der Emigrationen je verließen."

Mit diesen Worte versuchte der junge kubanische Kritiker und Essayist Victor Fowler 2002 die Situation in Kuba zu fassen, zehn Jahre nach der "periodo especial" (1990-1996), jener größten und schwersten Krise, die die Insel je erlebt hat und die zur Zersetzung des sozialen Lebens führte. "Jetzt, wo wir alle ein bißchen ruhiger sind", so Fowler, könne besser Bilanz gezogen werden. Völlig neu, erstmalig in der Geschichte Kubas sei, dass es einer Generation kubanischer Schriftsteller, Künstler, Intellektueller gelungen sei "sich nicht dem Diktat zu beugen, sich auseinander dividieren zu lassen". Es gäbe keinen Schnitt mehr zwischen denen, die emigriert und denen, die geblieben sind.

Lässt sich auch Zoé Valdés dieser neuen und bisher einmaligen Generation zuordnen? Das scheint mehr als fraglich. Die 1959 in Kuba geborene Erzählerin studierte in Havanna Sprach- und Literaturwissenschaft. 1983 wurde sie - von Che Guevaras Bruder protegiert - von der kubanischen Regierung für eine offizielle Position nominiert. Bis 1987 arbeitete sie als Funktionärin der kubanischen UNESCO-Delegation in Paris. Sie kehrte nach Kuba zurück und blieb dort, von häufigen Reisen unterbrochen, einige Jahre. Seit 1995 lebt sie offiziell im Pariser "Exil".

Ihre kubanischen Schriftstellerkolleginnen wie etwa Adelaida Fernández halten kritische Positionen und Systemkonformität für durchaus vereinbar. Doch in ihren neuen Texten sei Zoé Valdés, so die Schriftstellerin, sei sie nicht wieder zu erkennen. "Es gefällt mir nicht, was sie schreibt und mehr noch: Sie ist nicht wiederzuerkennen. Ich habe mit den Grobheiten, die Zoé Valdés zur Zeit schreibt nicht das geringste am Hut. Ich halte ihre Literatur für beleidigend", meint Fernández. Und die Lyrikerin Mirta Yáñez kommentiert: "Niemand redet die ganze Zeit über so vulgär ... wie Zoé Valdés."

Zweifellos ist Zoé Valdés mit fünf Romanen, Erzählungen und Lyrikbänden die im medial erzeugten Kubaboom erfolgreichste Autorin. Deshalb ist die Frage danach berechtigt, was wir in ihren Romanen über Kuba erfahren. Wie erzählt sie von der Insel? Zoé Valdes weiß, dass sie dicke Romane schreiben muss, um auf dem Börsenmarkt der Literatur weiter hoch gehandelt zu werden. Über 370 Seiten lang erstreckt sich ihr 1999 auf Spanisch erschienener Roman Café Cuba, der jetzt von Klaus Laabs ins Deutsche übertragen wurde. Entgegen den Versprechungen im Titel handelt der Roman nicht von Kuba, er spielt auch nicht in Kuba. Kuba ist lediglich eine Fassade, die ab und zu aufgestellt wird und zu nichts taugt. Jedenfalls kommt mit ihr die Erzählmaschine nicht in Gang.

Bisher ging es Valdés in allen ihren erschienenen Romanen wie Geliebte erste Liebe (2001) oder Das tägliche Nichts (1996) um die Abrechnung mit dem Vaterland und sozialistischen Regime. Und in allen, daran ist die zwanghafte Erwartung an Frauenliteratur nicht unschuldig, zentriert sich alles auf die Protagonistin und Ich-Erzählerin, damit die unmittelbare Identifizierung mit Autorin und Person Zóe Valdés reibunglos funktioniert. So auch in Café Cuba. Selbstverständlich ist die Protagonistin in Havanna geboren, doch lebt die agile junge Frau, die plötzlich eine gefragte Fotografin ist (man weiß nicht wie), in Paris. Paris, das ist die Seine, die Pont Neuf, ist der Ort der Handlung, wenn sie nicht gerade, mal länger mal kürzer, in New York, Barcelona, Madrid, Venedig, Rom, Berlin, Wien, Miami, Los Angeles, Teneriffa (Honululu oder war das nicht dabei?) weilt und dann wieder vier Tage in Kuba. Dorthin reist unsere Fotografin beruflich, sie begleitet einen französischen Geschäftsmann.

Was erfährt man über Kuba bei diesem Besuch? "Ich besuchte mein Haus in Santa Cruz del Norte", verbrachte "einen Abend auf dem Malecón". Darauf beschränkt sich die Handlung vor Ort. Dass dieser Besuch in der Krise der "periodo especial" spielt, erfahren wir aus dem Kommentar, in dem populistisch Partei ergriffen wird für die kubanische Bevölkerung gegen die kubanischen Verhältnisse, aber auch gegen die blöden Touristen: "Ich kehrte nicht auf jene Insel zurück, um Revanche zu nehmen, sondern um den Franzosen die Meinung zu geigen, die sich dort als großmäulige Touristen verlustieren, um mir hinterher von einem Land zu erzählen, das es nicht gibt, höchstens in ihren fadenscheinigen Träumen. Die Leute dort haben zwar nichts zu beißen, aber sie sind gut drauf. Verdammt, was wollen die eigentlich, sollen sich alle haufenweise umbringen? Oder sind ihnen unsere im Ozean Verschwundenen nicht genug?"

Was erfahren wir noch über Kuba aus den Erinnerungen unserer Protagonistin über ihre Jugend dort? Zoé Valdés liefert ein eindimensionales Abziehbild des exotisch-erotisch karibischen Lebensgefühls. Wir kennen García Márquez grandiose Metapher für die Sinnenhaftigkeit der Karibik: Der Geruch der Guayave. Zoé Valdés will offenkundig das Thema kubanisch-karibische Identität behandeln. In der Ausstellung eines kolumbianischen Bildhauers schildert uns die Protagonistin: "Die Skulptur brachte mir die schäumende Bronze als Anhaltspunkt den Geruch des Meeres in Erinnerung: die nach Guave duftende Trägheit, die in die Nase steigende sanfte Brise, wie wenn der Mameyschaum aufsteigt, das von einer frisch aufgeschnittenen Mango ausgeschwitzte Echo, die Unverfälschtheit des aus dem Zuckerrohr gepreßten Safte, der durch eine Jute-Zitze geseihte kochend heißen Kaffe."

Zoé Valdés´ eklatanter Mangel an Erzählsubstanz und das zwanghaft heraufbeschworenen Cubafeeling zeigen sich darin, dass sie immer wieder auf vermeintlich bekannte Orts- oder Personennamen zurück greift. Sie bringt eine der Größen der kubanischen Moderne, Virgílio Piñera, ins Spiel. Genauer gesagt fällt der Protagonistin eine alte Proustausgabe aus der Bibliothek des Schriftstellers in die Hände. Doch was sie aus dieser Idee macht ist peinlich: "Ich erbettelte sie von einem Piñera-Jünger, bekam sie, nachdem ich einen Freund überzeugt hatte, mit ihm ins Bett zu gehen". Der homosexuelle Schriftsteller Virgílio Piñera galt Fidel Castro - wie alle Homosexuellen mit Ausnahme Alejo Carpentiers - als "Parasit". Das geht aus Castros Gesprächen mit dem italienischen Verleger Giangiacomo Feltrinelli hervor, wie in dessen Biographie Senio Service (1999) von Carlo Feltrinelli nachzulesen ist. Einziger Kommentar unserer Protagonstin alias Zoé Valdés über den Schriftsteller Virgílio Piñera: "Schade, daß Virgilio schon gestorben war, sonst wäre womöglich nicht sein Schüler, sondern er selbst Held dieses homoerotischen Abenteuers gewesen". Was verbindet unsere Protagonistin in erster Linie mit Kuba? Sex. "Ich schwor mir, die nächste Liebesgeschichte muß ich mit einem Kubaner haben." Was noch? Nostalgische Gefühle, die mit "Plänen für die Rückkehr", "Haß", "Vergeben", "Tod", "Lust, wieder auf der Mauer des Malecón zu sitzen" benannt, aber schlecht vermittelt werden. Etwa über abgegriffene Bilder, gepaart mit Larmoyanz: "Das sich kräuselnde Wasser der Seine glich flaschengrünem Zuckerrohrsaft. In sehnsuchtsvoller Erinnerung traten mir Tränen in die Augen, und alles, was mir blieb, war ein stilles Gedenken an mein Havanna."

Victor Fowler hält es für fraglich, ob "Menschen, die nicht in Kuba leben, die für kurze Zeit hier zu Besuch sind, eine Idee von dem bekommen, was hier vorgeht und gelebt wird. Die Informationen über Kuba kommen nahezu Hundertprozent nicht aus Kuba. Abgesehen davon, daß die Informationen, die hier produziert werden zu gleich hohem Anteil sehr wenig mit dem zu tun haben, wie hier das Leben vor sich geht."

Über Jahre hatte Zoé Valdés das Privileg als fast einzige kubanische Autorin Zeugnis ablegen zu können über ihr Land. Sie besaß quasi Exklusivrechte an dem Markt kubanischer Frauenliteratur. Heute gibt es neue weibliche Stimmen aus Kuba, die nicht nur besser schreiben und erzählen, sondern genauer und differenzierter über das Leben in Kuba berichten.

Die Zitate von Victor Fowler, Adelaida Fernández, Mirta Yáñez sind dem Band von Isabel Exner (Hg. u.a.): Aspectos del Campo Cultural Cubano. Una excursión a la Habana. Wissenschaftlicher Verlag, Berlin 2003, übernommen.

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Zoe Valdes
Café Cuba
Aus dem kubanischen Spanisch von Klaus Laabs
Ammann Verlag
380 Seiten
EUR 21,90
ISBN 3-250600-66-0


Zoé Valdés , 1959 auf Kuba geboren, ist Sprach- und Literaturwissenschaftlerin. Sie hat mehrere Jahre in Paris als Angehörige der kubanischen UNESCO-Delegation gearbeitet, kehrte dann wieder nach Havanna zurück, wo sie als Schriftstellerin und Drehbuchautorin tätig war. Heute lebt sie wieder in Paris.

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