Der Spagat zwischen Forschung und Familie

Wissenschaft Unter dem Hashtag #IchBinHanna protestieren Wissenschaftlerinnen gegen befristete Arbeitsverträge. Vor allem Kinder und Karriere sind an Universitäten kaum zu vereinbaren

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Oft heißt es: Familie oder Forschung
Oft heißt es: Familie oder Forschung

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Meine Tochter war ein halbes Jahr alt, als ich sie auf eine mehrtägige Konferenz mitnahm. Während der Vorträge schob mein Mann sie im Kinderwagen, und in den Pausen brachte er sie zum Stillen. Beim Abendessen raunte mir ein älterer Professor an der Salatbar ins Ohr: „Ab jetzt werden Sie nur noch als Mutter wahrgenommen.“ Ich lächelte gelassen. Ich schrieb an meiner Doktorarbeit, sprach auf Konferenzen, publizierte Fachartikel; in Forschung und Lehre steckten mein Herzblut und meine Leidenschaft. Meine Mutter hat mir vorgelebt, wie man als berufstätige Ärztin und Seemannsfrau drei Kinder großzieht, und ich würde mit Leichtigkeit und Hingabe Forschung und Familie verbinden. Ich irrte mich gründlich.

Ich habe in Deutschland und den USA studiert. Nach dem Examen bot mir mein Professor eine halbe Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut an, mit der Möglichkeit zur Promotion. Ich war begeistert und unterrichtete zwei Seminare pro Semester, mit bis zu achtzig Studierenden pro Kurs, nahm Prüfungen ab, konzipierte neue Kurse, organisierte Konferenzen, beteiligte mich an der akademischen Selbstverwaltung, kontrollierte stapelweise Hausarbeiten. In den Semesterferien trieb ich meine Forschung voran, führte Interviews und studierte in Archiven in Berlin, New York, Toronto. Dann wurde ich schwanger.

Im September 2001, während meiner Promotionsphase, kam unsere Tochter zur Welt. Acht Wochen nach der Geburt stand ich wieder im Vorlesungssaal, schob den Kinderwagen in die Uni und stillte in den Pausen. Wir waren mehrere Doktorandinnen am Institut, doch ich war die einzige mit Kind. Auch auf Konferenzen und Symposien suchte ich vergeblich nach anderen Müttern unter den Nachwuchswissenschaftlerinnen. Zwei Jahre später erwartete ich unser zweites Kind. Im Sommer ging ich auf eine dreiwöchige Fortbildungsreise in die USA, im achten Monat schwanger und mein Bauch rund wie ein Basketball. Als im August unser Sohn zur Welt kam, ging ich wieder nicht in Elternzeit. Mein Mann studierte, kam jedes dritte Wochenende nach Hause und mein halbes Einkommen ernährte unsere kleine Familie. Erschöpft, aber mit zwei fröhlichen Kindern, verteidigte ich vier Monate später meine Doktorarbeit.

Im folgenden Sommer ging mein Doktorvater in den Ruhestand und mein Vertrag wurde nicht wie erhofft verlängert. Das war dramatisch, denn ich war mit unserem dritten Wunschkind schwanger. Doch wie sollte ich als arbeitslose Wissenschaftlerin mit drei Kindern eine neue Anstellung an einer Uni finden? Ich stürzte in eine tiefe Depression, litt unter Existenzängsten und schlaflosen Nächten und brach schließlich die Schwangerschaft ab. Es war die schwerste Entscheidung meines Lebens, die mich bis heute unendlich traurig macht.

Nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit und unzähligen Absagen war ich bereit, jede Arbeit anzunehmen, die sich mir bot. So ging ich als Referentin an eine Hochschule im Schwarzwald. Sonntagabend fuhr ich fünfzehn Stunden mit dem Nachtzug nach Freiburg und alle zwei Wochen für ein Wochenende nach Hause. Zwei Monate später fand mein Mann eine Anstellung im Norden und ich wechselte die Hochschule. Nun fuhr ich täglich zwei Stunden und sah meine Kinder zum Abendbrot, während mein Mann am Wochenende nach Hause kam. Als ein Jahr später Kind Nummer drei unterwegs war, sah mich die Prorektorin ungläubig an und sagte mit Bestimmtheit: „Also ich würde mir nie drei Kinder anschaffen. Im Ernstfall kann ich mir ein rechts und eins links unter den Arm klemmen; für ein drittes ist kein Platz.“ Ich wusste keine Antwort und ging in Elternzeit.

Da mein Vertrag befristet war, kehrte ich nicht zurück. Ich schrieb erneut Bewerbungen auf Unistellen, erhielt Absagen, aber auch Einladungen in jeden Winkel Deutschlands, nach Österreich, Holland, in die Schweiz. Die Gespräche liefen gut, doch sobald ich meine Kinder erwähnte, schauten mich die Mitglieder der Auswahlkommissionen skeptisch an. „Wie stellen Sie sich das denn vor, mit drei Kindern?“, fragten einige. Ich erwähnte Eltern und Schwiegereltern, die die Kinder übernehmen, wie sie es für viele Forschungsaufenthalte getan hatten, und erklärte meine Bereitwilligkeit, unverzüglich meinen Lebensmittelpunkt zum Arbeitsort zu verlagern. Sie entschieden sich trotzdem nicht für mich.

Mit Kindern gehört man als Wissenschaftlerin in Deutschland zu den Außenseitern. Man wird als Spielverderber angesehen, der die öffentliche Ordnung im Elfenbeinturm stört, wenn man in Unterhaltungen auf Themen wie nächtliche Schreiattacken der Kleinen oder musikalische Früherziehung zu sprechen kommt. Stattdessen erzählt eine Professorin gern über ihre drei Katzen, eine andere schreibt sogar ihre vier Zwergkaninchen auf ihren Lebenslauf. Auf einer Konferenz in Oklahoma zeigte eine Professorin Fotos von ihrem goldbraunen Cocker Spaniel, die sie täglich vom Hundesitter erhielt, damit sie sich keine Sorgen machte. Ich sagte nichts. Mittlerweile hatte ich gelernt, meine Kinder zu verschweigen, denn niemand konnte daran anknüpfen. Einmal nahm ich meine Kinder mit auf eine Konferenz und eine Studentin ging mit ihnen während meines Vortrags auf den Spielplatz. Danach sagte der Veranstalter: „Das müssen Sie nächstes Mal anders organisieren, diese Betreuung können wir wirklich nicht leisten.“

Fünfzehn Jahre arbeitete ich auf verschiedenen Positionen mit befristeten Verträgen. Nebenbei übernahm ich Lehraufträge, publizierte wissenschaftliche Artikel, forschte in Nordamerika und hielt Vorträge, um konkurrenzfähig zu bleiben. Ich hoffte auf den Wiedereinstieg in die Wissenschaft. Als ich mich erneut an meiner Alma Mater bewarb, wurde einen Tag vor Vertragsunterzeichnung die Stelle abgesagt, da ich gemäß Wissenschaftszeitvertragsgesetz nicht mehr befristet im Land angestellt werden durfte. Damit blieb nur die Jobsuche in anderen Bundesländern. Endlich fand ich eine auf drei Jahre befristete Stelle im Nachbarbundesland. Mit drei schulpflichtigen Kindern bedeutete das wöchentliches Pendeln, aber ich sagte mir, unsere Familie würde das schon durchhalten; es war ja nur vorübergehend – wieder mal.

An der Universität schien sich einiges getan zu haben in puncto Familie. Im Institut hatten mehrere Kolleginnen Kinder, auf dem Campus gab es einen Kindergarten und einzelne Studentinnen schoben einen Kinderwagen ins Seminar. Im Sekretariat stand ein Karton mit Bauklötzern, den eine Professorin mitgebracht hatte, damit ihr Kind beschäftigt war, wenn sie es während ihrer Seminare und Sprechstunden bei der Sekretärin unterbrachte.

Einmal, nach einer Lehrveranstaltung, traf ich mich mit meiner Kollegin Julia und berichtet von der angeregten Diskussion mit den Studierenden. Sie wurde immer schweigsamer und erzählte schließlich, dass sie eine Woche vorher einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen hatte. Ich war fassungslos. Sie steckte mitten in ihrer Promotion, ihre Stelle lief aus und sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie sich in dieser Situation um Kind und Karriere kümmern sollte. Dabei hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht. Julia war im gleichen Alter und in dergleichen Situation wie ich vor dreizehn Jahren. Hatte sich doch nichts geändert?

Der immense Druck auf Wissenschaftlerinnen besteht nach wie vor. Die Wissenschaftskarriere zu managen, ist anspruchsvoll. Doch wenn Kinder dazukommen, wird es zum Spagat, Forschung und Familie unter einen Hut zu bringen. Für Julia, wie für viele Nachwuchsforscherinnen, fallen die Phasen der wissenschaftlichen Qualifizierung und Familiengründung zusammen. Vor allem Frauen machen angesichts der Doppelbelastung Abstriche im Beruf, und hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen fallen von der Karriereleiter oder bleiben kinderlos. Statistiken belegen dies. Im universitären Mittelbau, der ersten Stufe der wissenschaftlichen Karriere, liegt die Kinderlosenquote bei über 70 Prozent. Hauptgründe dafür sind neben der ökonomischen und beruflichen Unsicherheit der Erfolgs- und Konkurrenzdruck und die unklaren Arbeitszeiten durch abendliche Sitzungen sowie Kongresse und Auslandsaufenthalte.

Eine Umfrage an meiner Universität im letzten Jahr zeigt, dass die Probleme nach wie vor bestehen. Die größte Unsicherheit entsteht durch befristete Verträge und die Aussichtlosigkeit von Vertragsverlängerungen. Auch der Informationsstand bei den Vorgesetzten bezüglich Mutterschutz, Elternzeit oder Teilzeitarbeit ist mangelhaft. Junge Eltern an der Uni stoßen auf fehlende Wertschätzung und geringes Entgegenkommen bei ihren Vorgesetzten in puncto Homeoffice, Lehrdeputat, administrative Aufgaben und Urlaubsplanung. Wissenschaftlerinnen mit Kindern fordern die Verlegung von Besprechungen in die Kernarbeitszeit, in der die Kinderbetreuung durch Tagesstätten und Horte abgesichert ist, und praktische Einrichtungen wie Wickeltische, Stillräume und Babysitting auf dem Unigelände.

Offene und subtile Diskriminierung von Wissenschaftlerinnen an Forschungsinstitutionen lassen sich nachweisen. Paradoxerweise geben die Frauen jedoch häufig an, dass sie dies persönlich nicht tangiere oder sie die bestehenden Schwierigkeiten durch persönliche Anpassung und effektivere Organisation der eigenen Situation überwinden könnten. Insofern werden strukturelle Barrieren von den Wissenschaftlerinnen in individuell zu überwindende Probleme umgedeutet, was dazu führt, dass die Frauen an sich selbst und nicht am System zweifeln, wenn sie keine Lösungen finden. Auch ich tappte in diese Falle und zweifelte oft an mir.

Einzelne Professorinnen mit Kindern beweisen, dass Forschung und Familie vereinbar sind. Doch dieser Lebensstil ist in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern – kein Normalitätsmuster. Kinder werden bei vielen Vorgesetzten in der Wissenschaft als „Luxus“ oder „Problem“ angesehen, die nicht an diesen Arbeitsplatz gehören. Elternschaft ist ein durch Kultur und gesellschaftliche Normen geprägtes Phänomen und gesellschaftliche Erwartungen an Eltern sind in den Köpfen der diesem System zugehörigen Personen verankert. Macht und Strukturen werden insbesondere durch Ideologien aufrechterhalten. Es sind daher Veränderungen der Strukturen und kulturellen Normen notwendig, um Familie und Universitätskarriere zu vereinen. Nur dann werden die notwenigen Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf greifen und von den Wissenschaftlerinnen auch in Anspruch genommen.

Immer noch erfahren viele Wissenschaftlerinnen in ihrem Alltag, dass im Universitätssystem bei vielen Mitarbeitern Mutterschaft mit Skepsis betrachtet wird, was ihre Entscheidung zum Kind beeinflusst. Da viele Akademiker keine Kinder haben, sind ihnen die erschwerten Bedingungen für Mütter und Väter nicht bewusst. Es ist an uns, Vorgesetzte und Kollegen auf unsere spezifischen Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Hinzu kommt, dass die Leistungserwartungen an die Elternschaft generell stark angestiegen sind. In den Medien und im öffentlichen Raum wird meist von der „Belastung“ durch Kinder gesprochen – ökonomisch und psychologisch – und selten vom persönlichen Gewinn oder der Freude an Kindern. Schließungen von Schulen und Tagesstätten, damit verbundenes Homeschooling und die Betreuung von Kindern während der Corona-Krise hat diese Belastung für beinahe alle Eltern noch verschärft.

Ich lehne es ab, von Kolleginnen mit Kindern als „Leidensgenossin“ bezeichnet zu werden, denn ich leide nicht darunter, dass ich Kinder habe. Dennoch ertappe ich mich dabei, dass ich mich unwohl fühle, wenn ich über meine Kinder spreche, denn es lenkt von der Wissenschaft ab, wirkt nicht „professionell“ und ich stolpere erneut in die Falle der Selbstzweifel. Auf Konferenzen treffe ich heute Kolleginnen von früher. Sie sind Anfang Fünfzig, haben eine Professur und ein Kleinkind. In den Pausen unterhalten sie sich bisweilen über Kindergarten und Grundschule. Ich könnte über die Herausforderungen während des Abiturs, den erste Freund oder das Studium meiner Kinder berichten, hätte aber (wieder) keine Gesprächspartnerinnen.

Mittlerweile ist mein zwölfter befristeter Vertrag ausgelaufen und ich bin erneut auf Stellensuche. Auch Julia ist heute promoviert, hat ein Kind und einen auf zwei Jahre befristeten Vertrag. Was danach kommt ist unklar. Wir können nicht konkurrieren mit kinderlosen Mitstreiterinnen und ihren längeren Publikationslisten, und vielleicht stehen wir nach Promotion und Habilitation vor dem wirtschaftlichen Nichts. Eine unendliche psychische und existenzielle Belastung.

Es ist möglich, exzellente Forschung mit Familie zu verbinden. Das bestehende Wissenschaftssystem in Deutschland jedoch züchtet Wissenschaftlerinnen mit Katzen und Kaninchen, aber ohne Nachwuchs. Derzeit werden Anstrengungen unternommen, um die Situation für Nachwuchswissenschaftlerinnen zu verbessern. An vielen Fakultäten gibt es Familienbeauftragte, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wurde geändert und es gibt Reisekostenzuschüsse für Frauen, die ihr Kind auf Tagungen mitnehmen. Doch viel mehr muss getan werden, und ein generelles Umdenken in den Chefetagen der Hochschulen setzt nur verhalten ein.

Wir brauchen eine Kinderquote. Kinder müssen explizit in Berufungsverfahren angerechnet werden. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) muss abgeschafft werden, wie auch die Habilitation. Diese zusätzliche Prüfung ist obsolet, denn die Qualifikation zum selbständigen Forschen wird mit der Dissertation erbracht und sie befördert Privatdozenten unter Umständen in das wirtschaftliche Aus, wenn sie keine Professur erhalten. Vor allem aber muss es zur Gewohnheit werden, in der Uni über Kinder zu sprechen und sich auszutauschen über Alltagsgeschehen, Verantwortungen und Herausforderungen. Meine Kinder haben meine Prioritäten verschoben, mich das Wichtige im Leben erkennen lassen, und ich will als Mutter und Wissenschaftlerin wahrgenommen zu werden.

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