Auf den weissen Ritter ist Verlass

Kommentar Letztlich haftet der Staat für die Spekulanten

Wenn alle Investoren im Immobiliensektor wie trunken von den Renditen sind, die sie haben absahnen können, will niemand etwas vom Staat wissen. Doch wenn die Boomblase platzt oder wenn - wie der Ex-Chef der US-Notenbank Alan Greenspan feiner formuliert - die vielen Bläschen des Badeschaums sich auflösen - sich die Buchwerte der Vermögen ins Nichts auflösen - dann kann nur Rettung von außen kommen, von der Zentralbank, vom Staat.

Die Vermögenswerte in den Büchern der Privaten sind in erster Linie Ansprüche an Teile der real produzierten Einkommensströme, und die Finanzjongleure fühlen sich in dem Maße, wie diese Ansprüche wachsen, immer reicher - bis ihnen klar wird, dass die Kühe, die sie melken müssen, nicht genügend Milch geben. Dass die Häuslebauer, denen sie Hypothekendarlehen aufgeschwatzt haben, nicht in der Lage sind, diese ordentlich zu bedienen. Immerhin sind es in den USA bis zu einer Million Haushalte, die möglicherweise ihr Haus nicht mehr werden halten können. Im November erst wird das ganze Ausmaß dieser Immobilienkrise sichtbar sein, wenn in den USA Hypothekendarlehen von etwa 1.000 Milliarden Dollar fällig werden und die Krise den spanischen und britischen Immobilienmarkt richtig erreicht.

Die an ihrer Rendite interessierten Investoren sind gnadenlos - Zins- und Renditeforderungen aus Krediten müssen erfüllt werden. Wenn Kredite "notleidend" werden, ist der Kreditnehmer mit seinem Vermögen dran. Verluste oder gar Pleiten drohen wie bei der Sachsen LB oder der IKB hierzulande oder bei Northern Rock in England und einer Reihe von Banken in den USA. Risiken, die man pfiffig in strukturierten Papieren versteckt hat, kommen zu Tage. Die "Finanzinvestoren", wie die Spekulanten unserer Tage respektvoll genannt werden, geraten nun in eine Schieflage, weil sie über die Risiken wenig wussten. Denn Transparenz ist in der modernen Spekulationswelt ein Fremdwort, so lange dabei alle gut verdienen.

Wenn die Blase platzt, sagen alle Zeichen nur eines: Du hast Dich verspekuliert! Du bist zahlungsunfähig! Von anderen Banken, die sich auch verspekuliert haben, weil alle an der Bonanza teilhaben wollten, ist kurzfristig keine Hilfe zu erwarten. Der private Sektor versagt, er kann mit der Kreditkrise nach der geplatzten Immobilienblase nicht fertig werden. Er droht, die reale Ökonomie und damit Arbeitsplätze und Staatseinnahmen in die selbst produzierte Bredouille hineinzuziehen.

Macht nichts, denn nun reiten die öffentlichen Institutionen als rettende weiße Ritter ins Turnier. Die Europäische Zentralbank (EZB), die sich immer knauserig und stabilitätsbewusst gibt, wenn es um Ausgaben des Sozialstaats oder Lohnforderungen geht, powert 75 Milliarden Euro in den Bankensektor. Investoren, die Geld brauchen, können dieses billig erhalten, und die anderen Investoren, die auf dem Geld sitzen und es wegen des Risikos nicht verleihen wollen, werden nicht gefordert. Man weiß es vielleicht nicht, ahnt es aber sehr wohl, wie vermessen es wäre, von mikrorational kalkulierenden Finanzinvestoren makrorationales Verhalten und gesellschaftliche Verantwortung zu erwarten.

Anders als die EZB senkt die US-Notenbank (Fed) die Zinsen um ein halbes Prozent. Sie verbilligt die Refinanzierung und verbessert so die Renditen der Fonds und Banken. Was als technische Manipulation erscheint und in den Medien als solche behandelt wird, ist ein grandioses Manöver der Umverteilung zu Gunsten der "Heuschrecken". Erst haben die Investoren am Immobilienboom verdient, jetzt verdienen sie am billigen Geld der Zentralbank. Die Gefahr einer Massenpleite ist zunächst verringert. Die Kurssprünge an den Weltbörsen nach der EZB-Kreditspritze und der Fed-Zinsgeste zeigen, wie erleichtert die Investoren sind. Letztlich haftet der Staat für ihre spekulativen Eskapaden. Und der Staat, das sind in diesem Fall die Steuerbürger.

Warum hat die US-Notenbank nicht wie die EZB dem Finanzsystem Liquidität zugeführt, sondern die Zinsen gesenkt? Ganz einfach, den USA nutzt die Immobilienkrise, um die ungeheuren Außenschulden von mehreren Billionen US-Dollar zu reduzieren. Es war zu erwarten, dass nach dieser Zinssenkung der Dollar an Wert verliert, was prompt eintrat. Völker, hört die Signale, und Regierungen auch: Die US-Zentralbank verteidigt den Dollarkurs nicht mehr, sondern lässt ihn schleifen. Das schadet all jenen Staaten, die Dollarreserven halten, China mit mehr als einer Billion Dollar-Reserven. Oder Japan, Russland, Brasilien, den Ölexporteuren des Mittleren Ostens, auch der BRD, die sich mit ihren Exporten vor neue Barrieren gestellt sieht.

Elmar Altvater ist Politikwissenschaftler und Buchautor


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