Aufstocker und Überflieger

Euro-Schirm Europas Banken haben die Risiken der Kreditvergabe erfolgreich auf die Staaten abgewälzt. So sind viele EU-Länder fast pleite, würde ein größerer Rettungsfonds helfen?

Gerade ist Alternativlosigkeit zum Unwort des Jahres 2010 gekürt worden, da sind gleich mehrere Alternativen zur Rettung des europäischen Währungsraumes im Angebot. Es geht um nicht weniger als eine Abschirmung der zum Teil hochverschuldeten Mitgliedsstaaten der Eurozone vor dem Staatsbankrott. Zu diesem Zweck ist ein „Rettungsschirm“ aufgespannt, der Risiken von insgesamt 750 Milliarden Euro absichern soll. Davon kommen 440 Milliarden von den Eurostaaten, doch nur etwas mehr als die Hälfte der Summe (ca. 250 Milliarden) stammen von Ländern mit einem in den Augen der Rating-Agenten erstklassigen AAA-Zertifikat. Nur deren Garantien werden von den privaten Banken – in der Wirtschaftspresse zumeist ehrfürchtig als „die Finanzmärkte“ fetischisiert – ernst genommen. Also ist die European Financial Stability Facility (EFSF) kleiner als es auf den ersten Blick scheint. Für Länder wie Portugal oder Griechenland würde der Knirps mit Garantieversprechen wohl reichen, nicht aber für Spanien oder Italien und Belgien, wenn die auch unter den Rettungsschirm müssen.

Das erklärt, warum die Debatte über eine baldige Aufstockung losgetreten wurde, kaum dass die EFSF beschlossen war. Die EU-Kommission fordert: Ausweiten! Die deutsche Regierung ist (noch) dagegen. Es müssten schließlich Garantien aus den AAA-Ländern sein, wenn die Kreditgeber beruhigt werden sollen. Je mehr Schulden die AAA-Länder aber verbürgen, desto wahrscheinlicher sind langwierige politische Kontroversen. Eventuell gibt es – in Deutschland kommt das mit Sicherheit – einen Rechtsstreit über die Vereinbarkeit der Kreditgarantien mit der jeweiligen Verfassung. Obendrein könnten die Rating-Agenturen den Ländern, die hohe Garantiesummen bereitstellen, die Höchstnote AAA streichen. Dann würde die gut gemeinte Garantie nichts nützen. Die Staaten sind nun also Gefangene einer Ordnung, die sie selbst durch die Liberalisierung der Märkte geschaffen haben.

Welche Möglichkeiten zur Abwendung der Staatspleite gibt es in der TINA-Welt – „There is no alternative“ – globalisierter Finanzmärkte? Die Lösung, die von allen Beteiligten mit erleichtertem Aufatmen akzeptiert würde, wäre eine gesetzlich verordnete „Wachstumsbeschleunigung“. Doch die müsste angesichts der Rendite-Forderungen der Geldvermögensbesitzer erheblich sein. Also verlangt der politische Realismus, dass auch die finanziellen Forderungen reduziert werden. Entweder geschieht dies heute mit einem gern so bezeichneten haircut, mit einer Beteiligung der Gläubiger an der Umschuldung insolventer Staaten. Oder morgen durch eine inflationäre Geldentwertung, wenn die globalen Finanzmärkte mit Liquidität überschüttet werden, weil der Forderungsschnitt mit immer neuen Bürgschaften und Krediten hinausgeschoben wird.

Griechenlands Olympia-Last

In den hoch verschuldeten Ländern Lateinamerikas wurde während der Schuldenkrise in den achtziger Jahren immer wieder die Frage gestellt: Wie, mit welcher Berechtigung und in welcher Höhe die finanziellen Verpflichtungen eigentlich zustande kamen. Waren Staatsschulden die Folge von Waffenkäufen der Militärdiktaturen? Wurde damit die Kapitalflucht einer Kompradoren-Bourgeoisie finanziert? Hatten die Verbindlichkeiten etwas mit transnationaler Korruption zu tun?

Auch im „zivilisierten“ Europa wird die Legitimität eines Teils der Schulden hinterfragt. In Griechenland etwa schlagen Parlamentsabgeordnete eine Kommission zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der „odious debts“, der verhassten Staatsschulden, vor. Die enormen Lasten Griechenlands sind entstanden, um die in der EU erwarteten Steuersenkungen auf hohe Geldvermögen finanzieren zu können, um Militärgerät in Deutschland oder Frankreich einzukaufen, um die ausufernden Kosten der Olympischen Spiele 2004 von bis zu 20 Milliarden Euro zu bezahlen. Auch eine verbreitete transnationale Korruption hat dazu beigetragen, dass die Legitimität der griechischen Staatsschulden angezweifelt wird. In anderen Ländern Europas sind die überbordenden Schulden wohl nicht weniger „odiös“ – abscheulich und verhasst.

Klar, es gibt nicht nur in den abschätzig so genannten PIIGS-Ländern – das sind Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien – Verschwendung, Korruption und ökonomische Fehlentscheidungen. Das kritisieren die Bürger selbst, da muss man nicht mit mahnendem Finger darauf zeigen. Wichtiger ist, wie sogar die Europäische Zentralbank (EZB) in einer Studie mit dem deutlichen Titel Die janusköpfige Rettungsaktion (The janus headed salvation) gezeigt hat, dass nach dem Zusammenbruch der US-Lehman-Bank im September 2008 den Not leidenden Finanzinstituten mit „Staatsknete“ das Kreditausfallrisiko abgenommen worden ist. Spiegelbildlich stiegen die Risiken für den öffentlichen Sektor. Die erwähnte EZB-Studie spricht von einem „Transfer der Kreditrisiken vom Bankensektor zu den Regierungen“. Folge: die Kreditausfallversicherungen – die berüchtigten CDS, die vom Spekulanten-Buffet als „finanzielle Massenvernichtungsmittel“ bezeichnet werden – konnten die Banken seit 2008 billiger erwerben, die Staaten nur noch teurer. Wenn Umschuldungen anstehen, müssen von den Regierungen entsprechend hohe Risikoaufschläge gezahlt werden.

Unverfrorene Zinsgewinner

An wen? An die eben von den großzügigen Staaten mit viel Geld wiederbelebten Banken. Die können also nicht nur Gebühren absahnen, sondern auch höhere Zinsen wegen des auf den öffentlichen Sektor transferierten Risikos durchsetzen. Dabei stehen ihnen die Rating-Agenturen zur Seite, die „Qualitäten“ von Staatsanleihen wegen der wachsenden Verschuldung herabstufen. Je niedriger das Rating, desto teurer die Umschuldung, desto mehr können private Kreditgeber verlangen. Diesen unverdienten Zinsgewinn mag selbst die Börsen-Zeitung in hellen Momenten den „Investoren nicht gönnen.“

So wie die Stellschrauben der Wirtschaft gesetzt sind, kann kein anderes Resultat als das der regressiven Umverteilung herauskommen. Der „Risikotransfer“ mit Hilfe der Rettungspakete für die Banken hat eine gehörige soziale und politische Sprengkraft. Den Regierungen der mit dem Bankrott kämpfenden Länder werden Kürzungen von sozialstaatlichen Leistungen sowie von Löhnen und Gehältern abverlangt, um die Schulden bedienen zu können. Wenn Nothilfen aus dem Euro-Rettungsschirm (und nach 2013 aus einem Europäischen Krisenfonds) beansprucht werden, müssen „technokratisch“ konzipierte Anpassungen akzeptiert werden. So jedenfalls stellen sich das die ökonomischen Sachverständigen vor. Doch das sind keine als legitim akzeptierten Sachzwänge, die befolgt werden. Die Finanz- und Staatsschuldenkrise wird zu einer sozialen Krise. Wie die ausgeht, hängt nicht allein von „den Märkten“ und von den Sachverständigen ab, die Legislative und Exekutive in technokratischem Handstreich kapern und demokratische Verfahren so ad absurdum führen – sondern von sozialen Bewegungen. Die formieren sich überall, soziale Unruhen erschüttern Lissabon und Athen, Paris, Rom oder Dublin.

Es fehlen leider eine europäische Strategie und die Koordination des Widerstands gegen die Zumutungen der Krisenbewältigung. Am gerechtesten und effizientesten wäre eine nicht symbolische Vermögenssteuer, um die Geldvermögen und die daraus abgeleiteten Ansprüche ohne allgemeine Inflation zu reduzieren. Der Widerstand des Establishments dagegen ist enorm, genauso groß wie der gegen eine schärfere Kontrolle der Finanzinstitute oder eine Einschränkung der Macht privater Rating-Agenturen oder gegen das Verbot bestimmter Vehikel der Spekulation mit Währungen oder Staatspapieren. Man wird deshalb Insolvenzregeln vereinbaren müssen, damit die Gläubiger sich an den Kosten des „Risikotransfers“ beteiligen, der ihnen so sehr geholfen hat.

Die sündhaft teure Bankenrettung durch die Staaten wurde immer damit gerechtfertigt, dass die Finanzinstitute „systemrelevant“ seien. Mag sein. Sicher aber ist, dass finanziell nicht überlastete, souveräne und demokratische Staaten für das System insgesamt – und das ist heute nicht nur das eine oder andere Land, das sind die Gesellschaften des Euro-Raums – unverzichtbar bleiben.

Elmar Altvater ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin

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