Geld ist ein Rätsel, das die ökonomische Theorie bis heute nicht hat lösen können. Das liegt vor allem daran, dass sie die falschen Fragen stellt. Oder sie vergisst das Fragen, weil jemand, der (oder die) Geld hat, sowieso mit der Welt im Allgemeinen und mit dem jeweiligen Gemeinwesen im Besonderen im Reinen ist. Die frühbürgerlichen Theoretiker dachten, die Gesellschaft könne mit einem Vertrag zwischen allen zählenden, das heißt, über Eigentumsrechte verfügenden Bürgern, vereinbart werden. Die politischen Ökonomen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts von Hume über Petty zu Smith und Ricardo begriffen dagegen, dass die Vergesellschaftung schon längst - als Arbeitsteilung vermittelt durch den Markt - stattgefunden hat, bevor die Mitglieder der Gesellschaft an einen Vertrag auch nur gedacht haben.
Marx radikalisierte diesen Gedanken. Die Arbeitsteilung, von deren Vertiefung sich Adam Smith und David Ricardo die stetige Steigerung des Wohlstands der Nationen erwarteten, bedarf des Geldes; denn nur die zählen in der Gesellschaft, die auch zahlen. "Jedermann weiß, wenn er auch sonst nichts weiß", schreibt Marx im ersten Band des Kapital, "dass die Waren eine mit den bunten Naturalformen ihrer Gebrauchswerte höchst frappant kontrastierende, gemeinsame Wertform besitzen - die Geldform." Es gelte nun, das zu leisten, was die bürgerliche Ökonomie nicht einmal versuchte, nämlich die "Genesis" dieser Geldform nachzuweisen, "also die Entwicklung des Wertausdrucks von seiner einfachsten unscheinbarsten Gestalt bis zur blendenden Geldform zu verfolgen. Damit verschwindet zugleich das Geldrätsel ..."
Sichtbare Gottheit und allgemeine Hure
Das Geld erfüllt also nicht nur irgendwelche Funktionen, die von Ökonomen dem Geld zugesprochen wird: Maßeinheit, Wertaufbewahrungsmittel, Zahlungsmittel, Objekt der Begierde zu sein, sondern es ist in erster Linie die Vollendung der Warenform. Arbeitsteilig erzeugte Produkte der Arbeit werden auf dem Markt getauscht. Letztlich ist der Tausch einer Ware vollendet, wenn sie in Geld verwandelt worden ist. Doch "die Waren werden nicht durch das Geld kommensurabel. Umgekehrt. Weil alle Waren als Werte vergegenständlichte menschliche Arbeit, daher an und für sich kommensurabel sind, können sie ihre Werte gemeinschaftlich in derselben spezifischen Ware messen und diese dadurch in ihr gemeinschaftliches Wertmaß oder Geld verwandeln." Im Geld ist die Gesellschaftlichkeit bereits in verdinglichter Gestalt vorhanden, die sonst in jedem Tauschakt qua Vertrag erst aus dem Nichts rekonstruiert werden müsste.
Das Geld ist insofern das "wahre Gemeinwesen". Man muss Geld erwerben, um gesellschaftlich zu gelten. Das Bedürfnis nach Geld ist daher das wahre, von der Nationalökonomie produzierte Bedürfnis. Die Moral der Nationalökonomie ist der Erwerb. Daher liegt Max Weber richtig, wenn er den modernen Kapitalismus als "Erwerbsgesellschaft" beschreibt. Geld vergesellschaftet die Individuen nicht nur, sie entwickeln davon auch ein spezifisches, und in aller Regel verkehrtes Bewusstsein, mit dem es nicht gelingt, die Widersprüche und Entwicklungsdynamik der Gesellschaft zu begreifen.
Zwangssparen für den Kaufrausch
In den frühen Schriften aus den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts äußert sich Marx sarkastisch über die im Geld aufscheinenden Verkehrungen und manchmal klingt Empörung an. Die Befriedigung eines eigennützigen Bedürfnisses durch Betrug und wechselseitige Ausplünderung wird erleichtert durch das Geld, kritisiert er. Der Mensch wird umso ärmer als Mensch, und er bedarf daher umso mehr des Geldes: Geld ist der Kuppler zwischen dem Bedürfnis und dem Gegenstand, zwischen Leben und Lebensmittel, zugleich sichtbare Gottheit und allgemeine Hure. Maßlosigkeit und Unmäßigkeit sind das wahre Maß des Wirtschaftens. Die Nationalökonomie entwickelt sich als Wissenschaft des Reichtums und zugleich des Sparens. Ihr Ideal ist der wuchernde Geizhals und der asketische, aber produzierende Sklave. Und: "Ich, wenn ich Beruf zum Studieren, aber kein Geld dazu habe, habe keinen Beruf zum Studieren, das heißt, keinen wirksamen, keinen wahren Beruf. Dagegen ich, wenn ich wirklich keinen Beruf zum Studieren habe, aber das Wollen und das Geld, habe einen wirksamen Beruf dazu" - das klingt höchst modern.
Im Geld kommen alle Widersprüche der kapitalistischen Marktgesellschaft zum Ausdruck, und sie sind zugleich verdunkelt, weil im Geld der Zusammenhang zwischen Produktion und Tausch, zwischen Erzeugung des Reichtums durch Arbeit und der Aneignung mittels Geld und Kapital unsichtbar wird. Geld erscheint als Schlüssel zur Bewältigung aller Probleme. Wer über Geld verfügt, ist gut dran - und umgekehrt: Wer keines hat, ist ein armer Schlucker. Daher gilt (Zwangs)sparen derjenigen, die nichts haben, auch heute als Tugend, ebenso wie der Kaufrausch der Reichen als Konjunkturspritze gelobt wird. Freilich wird das Sparen heute vor allem von den öffentlichen Einrichtungen erwartet - zu Lasten der sozialstaatlichen Transfereinkommen - und der Kaufrausch von den Privaten, die daher mit entsprechender Kaufkraft durch Steuersenkungen ausgestattet werden, die ihrerseits zur Verarmung der öffentlichen Einrichtungen beitragen. Biedermännisch narrensicher bewegt sich Kanzler Schröder in diesem Widerspruch: Sparen durch Einkommenskürzungen wird einerseits als Reform geadelt. Zum anderen fordert Schröder die "Mitbürger und Mitbürgerinnen" auf, doch, bitte sehr, aus den reduzierten Einkommen mehr zu konsumieren, denn "von Deiner Nachfrage hängt der Job des Nachbarn ab..."
Mit dem Geld verbindet sich ein Fetischismus, der die gesellschaftlichen Widersprüche und Entwicklungstendenzen in ein verklärendes Dämmerlicht taucht, das deren Konturen nicht mehr erkennen lässt. Besonders trübe ist das Licht, in das die globalen Finanzmärkte getaucht sind. Im Trüben lässt sich gut fischen, und daher tut Aufklärung Not: Entschleierung des Geldfetisch ist eine Aufgabe der ökonomischen Alphabetisierung. Dies umso mehr, als mit der Verselbstständigung des Wertes im Geld auf einmal der schon von Aristoteles bespöttelte Eindruck entsteht, als ob Geld "Junge" bekommen könnte. Die monetäre Sphäre scheint von der realen Ökonomie, also von der Welt der Arbeit, entkoppelt zu sein. Daher rührt die Verachtung, mit der Geldleute und ihre Wasserträger, die sogenannten "Analysten", auf diejenigen herabschauen, die Geld durch Hand- und Kopfarbeit verdienen und nicht, indem sie Geld für sich "arbeiten" lassen. Der Fetischismus verhindert, dass sie auch nur zu ahnen beginnen, dass das "arbeitende Geld" die oftmals brutal-rücksichtslose Aneignung der Produkte der Arbeit, ja die Ausplünderung anderer ist.
Nur manchmal und zumeist sehr kurzfristig kommt zu Bewusstsein, dass Geld ohne Arbeit und produzierte Werte nichts wert ist. Denn Geld ist ein Anspruch an real produzierte Einkommensströme, von denen je nach Höhe der Geldvermögen und der zu zahlenden Zinsen ein Teil abgezweigt werden muss. Das kann dazu führen, dass die Profitrate (die Rendite auf Investitionen) nicht ausreicht, die Zinsen zu bezahlen - und dann unterbleiben Investitionen. Die Beschäftigung sinkt, und es steigt die Zahl der Arbeitslosen oder der prekär Beschäftigten im "informellen" Sektor. Die Lohnkosten werden also gesenkt, so dass die Profitrate steigt.
Sich einrichten im Fetisch
Der Fetischismus des Geldes hat an dieser Stelle einen Zaubertrick parat, der den Unterschied zwischen realer und monetärer Sphäre der Ökonomie beseitigt: Die Unternehmensrendite wird als "Shareholder value" kalkuliert und somit direkt vergleichbar mit der Rendite jeder Anlage auf den globalisierten Finanzmärkten. Und die Löhne und Gehälter werden als Erträge von Finanzinvestitionen in "Humankapital" verstanden, so dass alle Unterschiede zwischen den verschiedenen Einkunftsarten verschwinden und sich auf Kapitalerträge unterschiedlicher Höhe reduzieren. Der Geldfetisch ist wie der Dämon von Laplace, er schafft Ordnung durch Vereinfachung und er reduziert Komplexität, wo diese gerade durch das Wirken von Geld und Kapital erhöht worden ist. Daher ist das Leben mit dem Geldfetisch einfacher als dessen kritische Dekonstruktion.
In den Finanzkrisen allerdings wird offensichtlich, dass die Einfachheit eine Täuschung ist. Marx hatte hauptsächlich über die zyklisch wiederkehrenden Wirtschaftskrisen geschrieben. Ein wichtiger Aspekt der Akkumulationskrise war immer die Geld- und Kreditkrise; aber diese war zu seiner Zeit nicht so zentral wie der Aspekt der realen Überakkumulation. Das hat sich im globalisierten Kapitalismus grundlegend geändert. Die globalen Krisen der vergangenen zwei Jahrzehnte haben zwar ohne Zweifel ihren Ursprung in der realen Ökonomie. Doch ihre Ausbreitung und die Dynamik sind eine Folge der finanziellen Globalisierung. Denn finanzielle Innovationen haben dazu beigetragen, dass selbst lokal gebundenes Kapital flexibilisiert und mobilisiert werden kann. Die zunehmende Verbriefung von Kapital ("Börsengänge") und dessen Handel auf globalisierten Finanzmärkten bewirken eine Angleichung der finanziellen Bedingungen, ohne dass die realen Verhältnisse (zum Beispiel "Unternehmenskultur" oder Arbeitsproduktivität) mitzuziehen vermögen. Die kurzfristigen Finanzanlagen, immer auf dem Sprung, um bessere Renditen zu erzielen, destabilisieren die Finanzmärkte. Wie die Krisen des vergangenen Jahrzehnts in Asien, Russland, Lateinamerika, Osteuropa gezeigt haben, sind sie geeignet, die Gesellschaft insgesamt in Mitleidenschaft zu ziehen: Armut und Arbeitslosigkeit steigen, die Sozialausgaben des Staats werden reduziert, wenn es vor allem darum geht, die Ansprüche von Gläubigern der Finanzanleihen zu befriedigen. Die reale Ökonomie wird zur Geisel der globalisierten Finanzmärkte.
Elmar Altvater ist Professor für Politische Ökonomie am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Zusammen mit Birgit Mahnkopf verfasste er Globalisierung der Unsicherheit - Arbeit im Schatten, schmutziges Geld und informelle Politik (2002) und Grenzen der Globalisierung (Verlag Westfälisches Dampfboot), das 2004 in
6. Auflage erscheint.
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