Der Subprime-Tsunami erreicht die EU

US-Immobilien-Crash Die internationale Finanzkrise wird die in Deutschland anstehenden Lohnrunden überschatten

Alle Prognosen über die Konjunktur in Deutschland werden derzeit mit einem Vorbehalt versehen: Man könne nicht abschätzen, welchen Einfluss die internationale Finanzkrise nehmen werde. Fest steht allerdings, in diesem Jahr müssen in den USA sehr viel mehr Immobilienkredite zurückgezahlt werden als 2007.


Mit "subprime" werden in den USA Hypothekenkredite bezeichnet, die eigentlich gar nicht hätten vergeben werden dürfen. Denn die Einkommen der Kreditnehmer waren und sind zu niedrig, um die Kredit langfristig zu bedienen, zumal wenn die Zinsen steigen. Trotzdem wurden Subprime-Kredite in der Größenordnung von rund 1.300 Milliarden Dollar ausgereicht. Es war in diesem Markt viel Geld zu verdienen. Jene "Ritter kommen", wie Marx das Entstehen einer Spekulationsblase beschreibt, "herein, die ohne Reservekapital oder überhaupt ohne Kapital arbeiten und daher ganz auf den Geldkredit hin operieren..."

Die "Ritter" des 19. Jahrhunderts sind heute Hedge-Fonds und große Banken sowie die von ihnen zum Zweck der Immobilienspekulation gegründeten Zweckgesellschaften (conduits), die alle auf dem Hypothekenmarkt zur "Renditejagd" aufbrechen.

Für die ordentliche Besicherung sorgte zunächst der Kreditmechanismus selbst - so lange amerikanische Häuslebauer Hypothekenkredite aufnahmen, war auch genügend Nachfrage auf dem Markt, um für die Wertsteigerung der Immobilien zu sorgen. Rating Agencies bestätigten dies, häufig ohne genaue Prüfung und Risikobewertung. Das war für die Eigenheimbesitzer und die Konjunktur in den USA von großem Vorteil. Sie bekamen nämlich mit Leichtigkeit auf ihre immer höher bewertete Immobilie neue Kredite. Damit konnten sie steigende Konsumausgaben bezahlen, der US-Mittelklasse ging es gut.

Davon profitierte auch das Ausland, die Importe aus China und Japan, aus Lateinamerika und Deutschland gingen in die Höhe. Folge: Die Defizite der US-Leistungsbilanz wuchsen 2007 auf über 800 Milliarden US-Dollar, was sich auch in hohen deutschen Exportüberschüssen spiegelte. Sie kompensierten die wegen der stagnierenden Reallöhne schwache Inlandsnachfrage. Der deutschen Exportwirtschaft ging es gut.

Einige Länder - vor allem China und Japan - haben inzwischen enorme Devisenschätze angesammelt, mit denen sie daran gehen, Unternehmen in den USA und anderswo zu übernehmen und US-Banken aus der Bredouille zu helfen. Die Citygroup erhielt zum Beispiel 14 Milliarden Dollar an chinesischer Liquiditätshilfe. Das ruft ökonomische Nationalisten wie hierzulande den einschlägig vorbelasteten Roland Koch auf den Plan, der die deutsche Wirtschaft gegen "ausländische Staatsfonds" schützen will.

Nun ist allerdings das Geschäft mit den Subprime-Hypotheken 2007 aus dem Ruder gelaufen, als die Immobilienpreise fielen und neue Kredite teurer wurden. Im August 2007 waren 16 Prozent der Hypothekenkredite in den USA notleidend. 2008 dürften es mehr sein, weil die variablen Zinsen für Hypothekenkredite aus den Jahren 2005 und 2006 angehoben werden. Das könnte viele Immobilienschuldner in den Abgrund und ihre Häuser unter den Hammer treiben, so dass die Immobilienpreise noch mehr abstürzen als 2007 (minus 21 Prozent). Das auf mehr als 20 Billionen Dollar geschätzte Immobilienvermögen (das US-Bruttoinlandsprodukt beträgt etwa 13,5 Billionen) dürfte um mehr als vier Billionen Dollar erleichtert werden. Eine Gelegenheit für Geier wie den "Immobilienguru Donald Trump" (SZ), die bei den massenhaften Zwangsversteigerungen auf Schnäppchenjagd gehen.

Börsenspiel von Bankokraten

Die Banken müssen unter diesen Umständen Verluste im zweistelligen Milliardenbereich abschreiben und die bislang ausgelagerten Risiken der wilden Subprime-"Renditejagd" in die Bücher nehmen. Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank, hat mehrfach davor gewarnt, während die Bush-Regierung mit einem Zinsstop das Schlimmste zu verhindern sucht.

Das "KVV-Geschäftsmodell" funktioniert nicht mehr: "K" wie Kredite kreieren, dann "V" wie verbriefen und nochmals "V" wie verkaufen. Früher - so schwärmt Bernanke über die "gute alte Zeit" - hielten die Hypothekenbanken die Darlehen in ihren Bilanzen. Heute dagegen haben sie die Hypothekenkredite der unterschiedlichsten Qualität und Sicherheit gebündelt und darüber "strukturierte" Papiere (verbriefte "Vehikel") ausgegeben, deren Qualität von Rating-Agenturen - dem TÜV für die spekulativen Vehikel - zertifiziert wird. Wer da zuviel erworben und gebündelt hat wie in Deutschland die IKB und die SachsenLB, der droht nun im "Tsunami von Zahlungsausfällen" (DIW) unterzugehen.

Das ist kein "Börsenspiel von Bankokraten" (Marx) mehr, das ist eine Lawine der Enteignung, die zu Tal donnert. Jetzt geht es den Banken und Fonds vor allem darum, die Verluste loszuwerden und zu sozialisieren. Die Methoden, Einbrüche abzuwälzen, sind dabei recht vielfältig, haben von Anfang an globale Reichweite und gehen über den Finanzsektor hinaus - sie erfassen die reale Ökonomie und die Gesellschaft.

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) hat deshalb die "ökonomische Unsicherheit" in der globalisierten Welt, wie sie von der "Kernschmelze" im US-Subprime-Markt ausgeht, ganz oben auf die Agenda des Jahrestreffens ab 23. Januar in Davos gesetzt. Viel zu bieten hat das WEF freilich nicht, außer einer Reihe von Fragen, die kritische Beobachter der Globalisierung seit Jahren aufwerfen und zum Teil schon beantwortet haben.

Die "offene Frage" im Katalog von Davos nach der Rolle der Zentralbanken in "Märkten mit vielen unregulierten Marktteilnehmern" haben die großen Zentralbanken bereits beantwortet. Nachdem die privaten Institute untereinander den Kredithahn zugedreht hatten, sprangen sowohl die US-Zentralbank als auch die Europäische Zentralbank (EZB) in die Bresche und pumpten Liquidität ins System. Die EZB machte am 19. Dezember 2007 348,6 Milliarden Euro locker, was Stress reduziert, aber die Ursache der Krise nicht beseitigt hat.

Der Subprime-Kollaps ist nämlich keine Liquiditätskrise, sondern eine Bankenkrise. Viele Banken sind bestens bei Kasse, jedoch nicht willig, das Geld wegzugeben. Sie misstrauen einander, da sie nicht wissen, welche Risiken in den Büchern versteckt sind. Daher bekommen auch Unternehmen, die mit dem Immobiliensektor nichts zu tun haben, nur noch schwer Kredite - die Bankenkrise schwappt über das Kreditsystem in die reale Ökonomie.

In den USA dürften die Verluste von Immobilienbesitzern und Banken obendrein zu einem Konsumausfall von etwa 200 Milliarden Dollar führen. Ein Nachfrage-Einbruch, den Exporteure in Asien, aber auch in der EU zu spüren bekommen.

EZB zwischen Baum und Borke

Während die amerikanische Zentralbank im Verein mit der Bush-Regierung eine Politik sinkender Zinsen verfolgt, hält die EZB die Zinsen hoch. Diese Schere beschleunigt die Abwertung des Dollar gegenüber dem Euro und anderen Währungen, so dass die USA ihre Exporte steigern und die Importe einschränken, weil sie teurer werden. Es sei denn die Exporteure anderer Länder halten die Dollarpreise stabil, indem sie die Kosten senken und die Gewinnmargen verringern - oder ihre Währungen mit dem Dollar auf Talfahrt schicken und einen Abwertungswettlauf mit desaströsen Folgen beginnen.

Die EZB operiert dabei zwischen Baum und Borke. Niedrige Zinsen und viel Liquidität stabilisieren kurzfristig das Finanzsystem. Deshalb hat die Bank vor Weihnachten 2007 für den besagten 350-Milliarden-Euro-Liquiditätsschub gesorgt. Das Kapital bedankte sich mit einem Börsenhoch - trotz schwelender Subprime-Krise, hohem Öl- und Goldpreis und verschlechterten Exportaussichten in die USA. Die Zinsen freilich wurden von der EZB nicht erhöht, obwohl sie mit der Liquiditätsspritze die Inflation angekurbelt hat, die sie zu bekämpfen vorgibt. Die Preisstabilität ist wichtig, aber die Stabilität des Bankensystems ist wichtiger. Steigende Zinsen hat sich die EZB vielmehr für den Fall vorbehalten, dass steigende Preise für Energie und Lebensmittel höhere Lohnabschlüsse begründen. Die will EZB-Chef Jean-Claude Trichet mit Blick auf die Tarifrunden in Deutschland unbedingt verhindern. Die Stabilität des Finanzsystems - das heißt, die Renditen der Finanzakteure - hat Vorrang gegenüber stabilen Masseneinkommen. In den Lohnverhandlungen bekommen es die Gewerkschaften also nicht nur mit Arbeitgebern und einer wirtschaftsfrommen öffentlichen Meinung zu tun, sondern mit harten Schlägen, die von der EZB gegen die Lohnabhängigen in Aussicht gestellt werden.

Mit anderen Worten: Die Subprime-Krise ist in den hiesigen Lohnrunden angekommen. Und da sage noch jemand, Globalisierung sei vor allem Ideologie und habe mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun.

Elmar Altvater ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Er gehörte 1999 bis 2002 der Bundestags-Enquetekommission Globalisierung der Weltwirtschaft an und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von attac.

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