Die Mittelmeer-Republik bringt es auf etwa 0,2 Prozent der Wirtschaftskraft der EU. Insofern ist die Krise Zyperns für die machtvolle Staatenunion eigentlich kein Thema, wie Finanzminister Schäuble noch vor Wochen versicherte. Aus der Chaostheorie weiß man allerdings, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings irgendwo in der Levante einen schweren Sturm nördlich der Alpen auslösen kann. Und so hat denn auch die von den EU-Finanzministern erzwungene Zerschlagung insolventer Banken auf der Mittelmeerinsel in der großen EU bislang felsenfeste Gewissheiten erschüttert, zumal der neue Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem die „Zypern-Rettung“ zum Modell erklärt hat.
Für Bankschulden sollen nicht nur die Eigner und – wenn Institute als „systemrelevant“ eingestuft werden – letztlich die Steuerzahler aufkommen, sondern auch die Sparer, wenn sie mehr als 100.000 Euro auf dem Konto halten. Mehrere Fragen sind damit aufgeworfen: Sind Bankguthaben in der Eurozone noch sicher und zwar überall, in Deutschland oder in den Niederlanden, in Italien, Spanien oder eben auf Zypern? Ist es politisch zu rechtfertigen und ökonomisch rational, die Wirtschaft eines Landes auf diese Weise in den Abgrund zu stürzen und keinen Weg zu zeigen, wie sich die Menschen wieder herausarbeiten können?
Auch wenn in Zypern nach langem Hin und Her allein Einlagen oberhalb der 100.000-Euro-Marke für die Schuldentilgung herhalten müssen und der Eindruck erweckt wird, nun müssten die großen Geldmagnaten aus Russland oder Großbritannien bluten, steht doch zweierlei außer Frage: Zum einen kostet dieser „Haircut“ viele Unternehmen auf der Mittelmeerinsel die ökonomische Existenz und Tausende von Jobs. Zum anderen wissen nun alle Kleinsparer europaweit – es gab die Absicht der Euro-Finanzminister, einen Teil ihrer Guthaben zu konfiszieren. Der Vertrauensschwund geht weit über Zypern hinaus
Nach der Lehman-Pleite im Herbst 2008 hatten sich Angela Merkel und Peer Steinbrück in Deutschland sofort der stabilisierenden Bedeutung „mentaler Infrastrukturen“ – also vertrauensbildender Maßnahmen – erinnert: Vertrauen in das trudelnde Bankensystem musste her. Und zwar schnell. Dies wurde damals mit der Regierungserklärung, „die Einlagen sind sicher“ erreicht. Diese Versicherung wurde den deutschen Sparern jetzt erneut gegeben.
Schlimme Vorahnung
Was heißt das? Gibt es regierungsamtlich garantierte Spareinlagen nur für Bankkunden nördlich der Alpen, nicht aber für Südeuropäer? Die Botschaft hat Kopfschütteln bei Jean-Claude Juncker, Ex-Chef der Eurogruppe und Premier des Finanzparadieses Luxemburg, über so viel Dilettantismus ausgelöst. Doch sagt diese Annahme viel Wahres über den Euroraum: Über eine Gemeinschaftswährung ohne Gemeinschaft, ohne gemeinsame Wirtschafts-, Fiskal- und Steuerpolitik, ohne Banken-Union mit kollektiver Einlagensicherung. Das spanische Blatt El Pais spricht von einem „Raubzug“ der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF gegen das zypriotische Volk – das ist starker Tobak, verweist aber auf die von den Euro-Krisenmanagern zu verantwortenden Kollateralschäden der „Zypern-Rettung“. Spanier, Portugiesen, Italiener und Griechen fürchten, dass es ihnen so ergehen könnte wie den Zyprioten. Auch wenn sie schon viel verloren haben, Zypern lässt sie ahnen: Es kann noch schlimmer kommen.
Die politischen Eliten haben Europa an entfesselte Finanzmärkte ausgeliefert. Freies Spiel für die „Finanzindustrie“ ist seit mehr als zwei Jahrzehnten die „parole du jour“. Regulierung gilt als Teufelszeug. Die abenteuerlichsten Finanzprodukte – von Spekulanten, die es wissen müssen, „Finanzmittel der Massenvernichtung“ genannt – wurden und werden auf Turbo-Handelsplattformen unter die Leute gebracht. Dies geschieht bevorzugt an Orten, wo Kontrollen lasch und Steuern niedrig sind. Niemand macht sich Gedanken darüber, was passiert, wenn der Himmel über den „safe heavens“ einstürzt und die Verluste aufzufangen sind. Wir sprechen damit auch von Zypern, denn dieser „small island state“ war ein Finanzparadies, beliebt bei Spekulanten, Steuerhinterziehern und Geldwäschern aller Herren Länder. Auch die häufig erwähnten „russischen Oligarchen“ liebten die Insel. Natürlich hatte nicht alles Geld, das dort landete, den Hautgout des Halbseidenen, der kleinen und großen Kriminalität. Die Zyprioten im griechischen Süden haben davon ziemlich gut gelebt, bis Griechenland in Richtung Pleite segelte, die Spekulation der eigenen Geldhäuser mit griechischen Staatsanleihen zusammenbrach und überall am Mittelmeer anstatt lukrativer Kondominiums Bauruinen hochschossen – als gelte es, Denkmäler für versenkte Milliarden zu setzen.
Gebrochene Zusage
Was bleibt, ist die Erfahrung, dass im Fall Zypern der Euro-Rettungsschirm erstmals nur aufgespannt werden sollte, sofern das Objekt der „großzügigen“ Rettung einen gehörigen Eigenbeitrag leistet. Das könnte ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit bei der Krisenbewältigung sein. Doch von den tonangebenden Eliten Europas wird dies getan, um ein marodes Finanzsystem zu retten, ohne an Regulierung zu denken. Dazu wird die Zerstörung einer Ökonomie und Gesellschaft in Kauf genommen. Nur, wen stört das außerhalb Zyperns? Der Inselstaat könnte von der Eurozone ausgespuckt werden. Was zählen 0,2 Prozent Wirtschaftskraft, wenn man nicht gerade chaostheoretisch geschulter Bedenkenträger ist und die Folgen dieses Gewaltaktes im Mittelmeerraum fürchtet?
Die Brüsseler EU-Kommission, die Regierung in Berlin, die EZB in Frankfurt und der IWF in Washington sind den Herausforderungen der Krise in ihrem jetzigen Stadium offenbar nicht mehr gewachsen. Für sie sind Standards der sozialen Gerechtigkeit unerheblich, obwohl sie sich als systemrelevant für ein Eindämmen der Krise erweisen. Sie haben zudem keinen Blick für den Euro in der Konkurrenz mit dem US-Dollar und mit China als Geldgeber „of last resort“ im Hintergrund. Aber Zypern verweist darauf, dass es bei der Eurokrise auch um globale geopolitische Rivalitäten geht.
Elmar Altvater ist Politikwissenschaftler und u. a. Autor des Buches Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.