Wenn der Jungunionist Mißfelder subtiler und mit mehr Eleganz vorgefahren wäre, hätte mancher den Hut gezogen und gesagt: Recht so, wir müssen uns über das Verhältnis von jung und alt in der Gesellschaft verständigen. Doch er verliert sich im Geschmacklosen. Für Hüftgelenke zu zahlen, wenn doch Krücken auch ihren Dienst tun würden, hält der forsche 23-Jährige für unangemessen. Da wenden sich Heiner Geißler und Laurenz Meyer entsetzt ab, vielleicht ahnend, dass sie eine Schlangenbrut genährt haben. Über 75-Jährigen das Leben durch aufwändige medizinische Versorgung zu verlängern, wenn sie doch nichts Produktives zur Gesellschaft beitragen können, sei überflüssig - meinen sogar Professoren wie Friedrich Beyer und Joachim Wiemeyer. Doch da melden sich postwendend andere Medizinethiker mit harscher Kritik zu Wort. Die Erinnerung an Euthanasie-Praktiken, die auch einmal harmlos begannen, ist nicht verlöscht.
Das Leben verlängernde Maßnahmen kommen teuer und erhöhen die Lohnnebenkosten. So sagt es die Sozialministerin nicht explizit, obwohl doch ihre Politik und die Expertise der Rürup-Kommission in diese Richtung weisen und würdiges Altern zu einer luxuriösen Nebensache degradieren. So finden sich Sozialpolitiker und Mediziner zusammen und fantasieren Selektions-Programme, nach denen Anspruch auf Gesundheitsdienstleistungen nur die haben sollen, von denen nach der Rehabilitation noch produktive Leistungen zu erwarten sind, es sei denn, sie können dafür zahlen.
Was bringt sie zu dieser Infamie, die sie noch nicht einmal als solche wahrnehmen? Der Mensch ist ein Arbeitstier, ein Produktionsfaktor, und das Altenteil kommt viel zu teuer. Das kalkuliert der homo oeconomicus, der sich vieles, nur keine Seele im Leib leisten darf. Die Mißfelders aller Parteien - nicht nur in der FDP, auch bei den Grünen sitzen viele Angehörige dieser Spezies - würden jeden Verdacht, Selektionslösungen zu propagieren, empört zurückweisen. Doch den vermeintlichen Sachzwängen des globalen Wettbewerbs würden sie vorbehaltlos zustimmen. Deshalb pustet die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Göring-Eckhart, ihre Schnapsidee einer Abschaffung der Pflegeversicherung ins Sommerloch. Deshalb kürzt die rot-grüne Koalition mit einer Radikalität, die Konservative kaum aufgebracht hätten, Sozialleistungen - ohne zu wissen, in welchem Ausmaß die untersten Einkommensbezieher am Ende geschröpft sein werden. Denn die Kürzungen laufen unkoordiniert auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene und reichen vom gekappten Arbeitslosengeld über die Verschlechterung der Bildungsversorgung bis hin zu den Tariferhöhungen der kommunalen Verkehrsträger und der Einführung von Gebühren für bisher von der Post kostenlos bereitgestellte Dienste. Das alles zusammengenommen dürfte für viele eine Realeinkommensminderung von 20 bis 25 Prozent bedeuten.
Mißfelders Missgriff, biologische Kriterien, das Alter nämlich, für die Auswahl der Opferlämmer vorzuschlagen, wird wohl kaum wiederholt. Dass aber aus ökonomischen Gründen "Opfer" für "Reformen" zu bringen seien, haben fast alle verinnerlicht. Nur so ist zu erklären, warum der Widerstand gegen die Agenda 2010 nach kurzen rhetorischen Gefechten in sich zusammengefallen ist und erst wiederbelebt werden muss. Selten wird die Frage gestellt, warum Opfer eigentlich notwendig sind, wenn doch, wie in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt, das reale Wachstum mit 0,8 Prozent jährlich im Durchschnitt zwar gering, aber doch positiv gewesen ist.
Wenn dennoch der Gürtel enger geschnallt werden soll, dann offensichtlich weil einige mehr vom Zuwachs gehabt haben als andere. Aber war das die ältere Generation, die wie die Hexe im Märchen als Bleigewicht auf den Schultern des gutmütigen Jungen lastet, der sie wegen ihrer Gebrechlichkeit zu tragen versprach? Wohl kaum, denn mit den Renten und Pensionen kann eine normale Seniorenfamilie keine extravaganten Sprünge machen. Die Generation Mallorca oder Teneriffa, sofern sie nicht nur von vernebelten Zeitgeistlern erfunden wird, ist nicht reich wegen der Renten, sondern weil sie zur Klasse der Geldvermögensbesitzer gehört oder sich in der kriminellen Kunst der Steuerhinterziehung auskennt. Mit jung und alt, mit der Generationenfrage hat dies gar nichts zu tun. Man darf eben Rentner und Rentiers nicht verwechseln. Wer von der Rendite der Kapitalanlage leben kann, ist fein heraus, ob 23 Jahre jung oder 87 Jahre alt. Und reiche Steuerhinterzieher mit einer Hochseeyacht gehören in aller Regel nicht zu der schmarotzenden Gruppe der Alten, sondern zur Klasse der Yuppies.
Die realen Zinsen und die daran gekoppelten Renditen sind wesentlich höher als die 0,8 Prozent des realen Wachstums. Jeder Zinstermin bringt den Geldvermögensbesitzern einen Einkommensschub, der über die Zuwächse der Löhne und Gehälter (und der daran gebundenen Renten) rasant hinaus geht. Gleichzeitig gelten die Vermögenseinkünfte als tabu. An eine Vermögensteuer wagt sich die Regierung nicht heran, die Opposition ist sowieso dagegen. Und die einmal hinterzogenen Steuern bleiben bei denen, die sie dem Gemeinwesen vorenthalten. Wie soll aber die Staatsverschuldung in Grenzen gehalten werden, wenn man nicht zugleich die andere Seite der Bilanz, die privaten Vermögen nämlich, begrenzt? Auf diese Frage folgt stereotyp die falsche Antwort: Indem man die unproduktiven Sozialausgaben senkt. Und schon melden sich wieder die Mißfelders aller Parteien zu Wort. Dem Vorsitzenden der Jungen Union ist Dank geschuldet, weil er brutal in grellem Licht hat erscheinen lassen, was normalerweise mit rosa Tünche bedeckt wird. Er hat die Idiotie der Diskussion um die Reform des Gesundheits- und Rentensystems so auf die Spitze getrieben, dass selbst die Protagonisten der Debatte Einhalt gebieten. Sie haben ihr Bild in Mißfelders Spieglein an der Wand gesehen und sind erschrocken.
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