Sie kennen das Rätsel: Ein Fährmann soll einen Wolf, ein Lamm und einen Kohlkopf über den Main bringen, kann aber jeweils nur eins mitnehmen. Nimmt er zunächst den Kohlkopf ins Boot, bleiben Wolf und Lamm unbeaufsichtigt zurück. Natürlich frisst der Wolf das Lamm. Setzt der Fährmann erst das Lamm über, hat er das Problem bei der zweiten Fahrt. Nimmt er den Wolf mit, wird der, wenn der Fährmann zurückrudert, um den Kohlkopf zu holen, das Lamm fressen. Das Rätsel hat keine konventionelle Lösung.
Die gibt es auch für das Koalitionsrätsel nicht, das die Parteien in Hessen zu knacken haben. Nach Kochs schmutzigem Wahlkampf scheint es keine Kombination für eine einigermaßen stabile Koalition zu geben. Der Fährmann beendet sein Dilemma mit einer unkonventionellen Lösung: Er fährt einige seiner Klienten mehrfach hin und her und löst das in der Mathematik so genannte Transitivitätsproblem. Wolf frisst Lamm frisst Kohlkopf; aber da der Kohlkopf den Wolf nicht fressen kann, lässt sich eine Sequenz von Überfahrten finden, alle überstehen lebend die Mainfurt. Gibt es auch in Wiesbaden die unkonventionelle Lösung?
Die Zeiten der drei oder vier Parteien, mit denen nach den Wahlen klare Koalitionen wegen klarer Mehrheiten zu bilden waren, sind vorbei. Nun muss das politische Kräfteparallelogramm neu kalibriert werden. Dabei haben die Parteien unterschiedlich gute Voraussetzungen. Die CDU kann immer noch Wahlen gewinnen; darüber täuscht der lächerliche Anspruch Kochs und Merkels nicht hinweg, wegen eines 0,1-Prozent-Vorsprungs die zweistelligen Verluste vergessen zu machen. Die Union hat aber mit der FDP nicht mehr den Wunschpartner, mit dem sich regieren lässt. Denn es stimmt ja, dass eine Mehrheit des Wahlvolks mehr oder weniger links gestimmt ist, jedenfalls den traditionellen bürgerlichen Parteien nicht zur satten Mehrheit verhilft. Daher hat die SPD nach der Hessen-Wahl mehr Optionen als die CDU. Sie kann im Prinzip sowohl mit der FDP als auch mit den Grünen regieren - nun auch mit der Linken. Dass dies Angela Merkel so gar nicht gefällt, und sie entsprechend vergrätzt reagiert, ist verständlich.
In der Westerwelle-FDP haben (noch) die Nein-Sager die Oberhand, also holt sich die SPD bei ihrem Werben um eine Ampelkoalition einen Korb nach dem anderen und lässt sich auf ein würdeloses Spiel ein. Sie signalisiert, die Akzente zurücknehmen zu wollen, die Hermann Scheer, der designierte "Superminister" für Umwelt und Wirtschaft, setzen will, nämlich erneuerbaren Energien zum Durchbruch zu verhelfen und aus der Sackgasse der Atomenergie auszubrechen. Eine derart innovative Politik wäre mit der wirtschaftsliberalen FDP nicht zu machen.
Das Programm der Hessen-SPD ließe sich nur mit Grünen und Linken umsetzen, mit niemandem sonst. Doch diese Möglichkeit soll gar nicht erst am Horizont der BRD aufscheinen. Man hofft im Berliner Willy-Brandt-Haus, der Linken durch Missachtung den Strom der Stimmen abgraben zu können. Dies wäre nur dann keine dumme Ranküne, wenn die wahlsoziologische Analyse stimmt, dass im Gegensatz zu den Grünen, die in einem materiell saturierten, ökologisch alarmierten, vergleichsweise stabilen Milieu verankert sind, das Milieu der Linken großteils aus Prekären und Benachteiligten besteht. Kaum stabil, da alle heraus wollen. Also muss man, siehe Hamburger SPD-Parteitag, hoffnungsfrohe Angebote unterbreiten (Hartz IV soft) und viel von sozialer Gerechtigkeit reden, die einst von der Schröder-Clement-SPD am liebsten zum Unwort des Jahres gekürt worden wäre. Diese Verlogenheit ist den jetzigen SPD-Oberen noch immer ins Gesicht geschrieben, was zur Folge hat, dass die Linke auch weiter Wahlerfolge haben wird. Erst recht, wenn es ihr gelingt, sich mit einem realistischen und umsetzbaren Programm zu präsentieren. Schröder scheiterte an der Gerechtigkeitslücke, die er mit der Agenda 2010 aufriss. Beck hat eine Glaubwürdigkeitslücke.
Die Hessen-SPD hat nun unüberlegt die einzige stabile, wenn auch unkonventionelle Koalitionslösung ausgeschlossen. Die FDP galt von Mende bis Lambsdorff als "Umfallerpartei", vielleicht wird sie ihrem Ruf nochmals gerecht. Wenn nicht, hat die SPD das Problem. Große Koalition? Rot-grünes Minderheitskabinett, geduldet durch die FDP? Der Anfang vom Ende. Der Fährmann hätte eine Lösung zu bieten: nicht intransigent auf alten Modellen beharren, sondern transitiv die einzige Koalition anstreben, die in Hessen einigermaßen stabil sein könnte: zwischen SPD, Grünen, Linken. Die Linke kann hier listig aktiv werden und im Landtag sinnvolle Forderungen aus dem SPD-Wahlprogramm als Antrag einbringen. Mal sehen, ob die SPD gegen eigene Versprechen stimmt. Nach der Wahl kommt zwar das Gerangel um die Koalition, doch das politische Kerngeschäft, Frau Ypsilanti, ist das Regieren.
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