Es war logisch, dass auf dem Parcours der europäischen Integration Ende der neunziger Jahre dem Gemeinsamen Markt die Europäische Währungsunion folgte. Ein europäischer Markt ohne europäisches Geld wäre nur eine halbe Sache. Da das europäische Geld aber nicht wie das Gold aus dem Erdboden gebuddelt werden konnte, musste eine Zentralbank errichtet werden – wie das vor genau 15 Jahren, am 1. Juni 1998, geschehen ist.
Damit war auch die kontrovers diskutierte Frage entschieden, ob das europäische Geld krönender Abschluss der vorherigen Integration sein oder mit seiner „disziplinierenden Gewalt“ diese par force voranbringen sollte, wie neoliberale und monetaristische Hasardeure nicht müde wurden zu propagieren. Eine Rolle spielten die negativen Erfahrungen mit dem Europäischen Währungssystem von 1979 bis 1991, das unter der Spekulationsattacke des „Quantum-Fonds“ von George Soros zusammengebrochen war. Eine Entscheidung musste her: Entweder Stopp der Integration oder Sprung nach vorn.
Der Salto ins Unbekannte fand 1992 in Maastricht statt. Die Währungen der späteren Eurozone sollten durch ein unwiderrufliches Festkurssystem vereinheitlicht und nach einer Übergangszeit durch eine Gemeinschaftswährung ersetzt werden. Es schlug die Stunde der Europäischen Zentralbank (EZB), die offiziell in den Frankfurter Eurotower einziehen konnte, der bis dahin der Bank für Gemeinschaft als Zentrale diente.
Eine Erfolgsgeschichte – oder?
Seit dem 1. Januar 2001 zirkuliert nun der Euro als gesetzliches Zahlungsmittel, zunächst die Gemeinschaftswährung für elf, inzwischen für 17 EU-Staaten. Er hat wie alle anderen Währungen einen international standardisierten ISO-Code, eine unverwechselbare Hausnummer für alle Transaktionen, ob von „ehrbaren Kaufleuten“ oder von windigen Spekulanten. Sie lautet: EUR 978.
Die gewachsene Zahl der Mitglieder des Euroraums zeigt schon, dass die Einheitswährung und die EZB als emittierendes Institut eine Erfolgsgeschichte schreiben. Oder? In den ersten Jahren der Euro-Existenz stieg der Kurs von EUR 978 gegenüber anderen großen Währungen nach einer ersten Schwäche rapide. Der US-Dollar kostete 1999 noch 1,12 Euro. 2007 – im Jahr vor Ausbruch der Finanzkrise – ist er schon für 0,68 Euro zu haben, 2013 für durchschnittlich 0,79 Euro. Das Euro-Baby wächst auch als Reservewährung schnell. Sein Anteil an den Weltwährungsreserven steigt von unter 20 auf gut 28 Prozent. Inzwischen jedoch fällt diese Quote, die Eurokrise macht sich zum 15. EZB-Geburtstag bemerkbar. Nicht wenige EU-Bürger wollen den Euro und die ihn erhaltende Zentralbank wieder loswerden. Das Geburtstagskind macht sich als Mitglied der Krisen-Troika nicht eben Freunde. Deren Austeritätspolitik sorgt am Mittelmeer für Arbeitslosigkeit und Armut, Not und Hunger.
In Deutschland ist aus eher wohlstandschauvinistischen Motiven die Partei Alternative für Deutschland (AfD) mit dem erklärten Ziel gegründet worden, schwache Mitglieder des Euroraums aus dem feinen Club hinauszukomplimentieren. Pustekuchen, schreibt George Soros, der Spekulant. Das geht anders, Deutschland bekommt Hausverbot im Euroraum, weil das Land mit seiner rücksichtslosen Wettbewerbs- und Lohnpolitik und mit den dadurch angehäuften Leistungsbilanzüberschüssen andere Länder ins Defizit treibt und den Hausfrieden stört.
Folglich hat die Suche nach genetischen Defekten begonnen, die den Euro schon als Teenager an den Rand des Kollapses bringen. Der Befund: Es gab schwere Versäumnisse bei der EZB-Gründung. Ihr Instrumentarium ist auf die Sicherung von Preisstabilität geeicht, auf nichts sonst. Das entspricht der neoliberalen Wirtschaftslehre, die von der grundlegenden Stabilität des privaten Sektors ausgeht. Die Zentralbank sollte die „eigentlich“ stabile Wirtschaft lediglich mit Geld in ausreichender Menge versorgen. Die ergab sich aus dem Produktivitätswachstum der Wirtschaft und der Inflationsrate, wobei Letztere von der EZB für die Eurozone bei einem Wert von etwa zwei Prozent kalkuliert wurde. Die Geldversorgung war auf dieses Ziel ausgerichtet.
Auf das Produktivitätswachstum aber konnte die Bank nicht einmal indirekt Einfluss nehmen, auch die Gestaltung des Wechselkurses zu konkurrierenden Währungen wie dem Dollar oder Renminbi blieb außerhalb ihrer Reichweite. Zudem waren ihr fiskalpolitische Interventionen – geschweige denn die mit einem europäischen Finanz- und Wirtschaftsministerium koordinierte Einkommens- und Industriepolitik – untersagt. In der Konsequenz haben sich so erhebliche wirtschaftliche Spannungen aufgebaut.
Mehr als 1.000 Milliarden
In den Jahren vor der Eurokrise blieb der Einfluss der EZB begrenzt. Defizite des Maastricht-Vertrags fielen nicht übermäßig ins Gewicht und der Niederländer Willem Duisenberg als erster EZB-Präsident nicht weiter auf. Seit aber der Euro an Stabilität verliert und einige Länder sich zur Rettung der privaten Banken hoch verschulden müssen, werden die Mittel zur Euro-Rettung extrem ausgeweitet und bleiben dennoch unzureichend. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) hingegen, formell im September 2012 beschlossen, verfügt über 750 Milliarden Euro. Da wollte sich Mario Draghi – seit 2011 EZB-Präsident – nicht lumpen lassen und machte mehr als 1.000 Milliarden Euro Zentralbankgeld locker, um gegebenenfalls Staatsanleihen krisengeschüttelter Eurostaaten zu kaufen.
In der Sprache der Finanzmärkte läuft das unter Outright Monetary Transactions (OMT) – sie erlauben es, gegen „Geist“ und Vertrag von Maastricht Staatsdefizite zu finanzieren. Nur so ist gewährleistet, dass die Forderungen der privaten Banken und Fonds bedient werden. Ähnlich großzügig werden die Forderungen von Bürgern des Euroraumes nicht behandelt. Zusammen mit dem IWF und der EU-Kommission schwingt die EZB in der Troika die Peitsche der Austerity gegen jene Euroländer, die gezwungen sind, vom Euro-Rettungsschirm Geld in Empfang zu nehmen. Die EZB geht dabei auf höchst selektive Weise vor. Finanzielle Mittel für den Schuldendienst an Finanzinstitute werden freigemacht – die Staatsausgaben für Sozialtransfers, öffentliche Dienstleistungen und Investitionen gekürzt.
Die „neutrale“ EZB ist damit zu einem parteilichen Austerity-Vehikel geworden, das mit dem Projekt der europäischen Integration Schlitten fährt. Länder wie Griechenland, Zypern, Portugal oder Spanien werden in autoritäre finanzdominierte Systeme auf den Trümmern einer durch diese Politik zerstörten Gesellschaft umgebaut. Zugleich hat die EZB das Geld für all jene Geldhäuser, die Zugang zu Zentralbankgeld haben, verbilligt und diejenigen belohnt, die mit billigem Geld ihre Spekulationsgeschäfte finanzieren – bis zum nächsten Crash. Das Wetterleuchten der gegenwärtig explodierenden Aktienkurse lässt das nächste „Weltmarktungewitter“ (Marx) bereits erahnen.
Die Politik der EZB hat insofern das paradoxe Ergebnis, dass sie sich selbst entmachtet, vergleichbar der vom frühromantischen Dichter Novalis erwähnten Mühle, die sich selbst zermahlt. Sie schafft mit dem Zinssatz von nur noch 0,5 Prozent ihr wichtigstes geldpolitisches Instrument ab. Ein Projekt der positiven Integration zu einem sozialen, ökologischen und wirtschaftlich ausgeglichenen Europa fehlt der EZB ebenso wie den maßgeblichen Eliten des Kontinents. Auch Menschen, die sich noch im Windschatten der Krise wähnen, dürften daher ein kräftiges Austerity-Gewitter abbekommen. An Rettungsschirme für Finanzinstitute haben die Eurokraten gedacht, an Schutzschirme für die Menschen gegen die Austerity nicht. Das ist wohl Aufgabe sozialer Bewegungen wie Blockupy oder Attac. Auch diese NGO wird in diesem Jahr 15. Kein Grund zum Feiern, doch viel Anlass zum Protest gegen die Austerity und das Diktat der Troika!
Elmar Altvater kommentierte zuletzt den Umgang der EZB mit dem Fall Zypern
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