Die Königsmacherin

Dänemark Margrethe Vestager ist die eigentliche Siegerin der Parlamentswahlen in Dänemark. Nur das grandiose Abschneiden ihrer Sozialliberalen macht den ersehnten Wechsel möglich

Nachdem die ganze Anspannung von ihr abgefallen war, atmete Margrethe Vestager tief durch. Dabei merkte sie wohl gleich, wie dünn die Luft als Königsmacherin doch plötzlich ist. „Das Gefühl ist einzigartig“, brachte sie gerade noch heraus. Dann brach die Stimme, schlug über ins Falsett und war weg. Sonst passiert ihr sowas nie. Aber an diesem Abend war so einiges anders. Von Reportern und Kameras umringt, spazierte Vestager von ihrer Wohnung im Kopenhagener Stadtteil Amager zum dänischen Parlament, direkt ins Zentrum der Macht.

Vestager, 43, ist die heimliche Gewinnerin der Parlamentswahl vom 15. September. Nicht die Sozialdemokratin Helle Thorning-Schmidt. Die stand zwar am Wahlabend als strahlende Siegerin vor ihren Anhängern und ist Dänemarks neue und erste Regierungschefin. Doch hätte sie den Karren auf den letzten Metern beinahe noch in den Sand gesetzt. Denn mit 24,9 Prozent fuhr sie für ihre Partei das schlechteste Ergebnis seit 1906 ein – eigentlich ein Kunststück, denn das Land und seine Bevölkerung waren zehn Jahre liberal-konservativer Regierung unter Duldung der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei (DVP) überdrüssig. Weil Thorning-Schmidt trotzdem so schwach abschnitt, hing alles an Vestager und den Sozialliberalen. Mit einer Verdopplung ihres Wahlergebnisses von 2007 auf knapp zehn Prozent der Stimmen machten sie den von vielen ersehnten Wechsel möglich.

Gespaltenes Land

Die Mitte-Rechts-Ära hat die Bevölkerung polarisiert und das Land in zwei unversöhnliche Lager gespalten. Ein teilweise erbittert geführter Kulturkampf nährte einen grundlegenden Wertewandel in der dänischen Gesellschaft. Einst ein Hort der Toleranz, wo früher als in anderen Ländern Homosexuelle heiraten konnten und es für Einwanderer immer Platz gab, hat sich in Dänemark mittlerweile Argwohn breit gemacht – Argwohn gegen Ausländer, die das vom Staat gespannte engmaschige und damit auch teure Netz sozialer Wohltaten beanspruchen, aber auch gegen Eliten, Intellektuelle und Gruppierungen, die sich für alternative Lebensformen entschieden haben.

Für die im Kopenhagener Vorort Glostrup geborene und als Älteste von vier Geschwistern in bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsene Vestager war das ein Unding, hatte sie doch von ihrem Elternhaus mit auf den Weg bekommen, dass nichts mehr zählt als die persönliche Freiheit jedes Einzelnen, ganz gleich welcher Provenienz. Für die kulturelle und gesellschaftliche Enge in ihrem Land sowie die in dieser Zeit völlig brachliegende politische Mitte machte die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin vor allem Pia Kjærsgaard und ihre DVP verantwortlich. Deren populistisches Marktgeschrei verabscheut sie, weil es alle guten Manieren missen lässt, die in ihren Augen zu einem kultivierten politischen Diskurs gehören.

Am 15. Juni 2007 übernahm Vestager den Vorsitz der Partei Radikale Venstre, wobei der Name in die Irre führt, da die Partei weder radikal noch links ist. In der Wirtschaftspolitik steht sie eher dem bürgerlichen Lager nahe. Doch verbindet sie in der Sozial- und Einwandererpolitik mehr mit den Sozialdemokraten. Kurz, Vestagers Radikale Venstre ist genau das, was zu besseren Zeiten auch einmal die FDP in Deutschland war: eine sozialliberale Bürgerrechtspartei in der Mitte der Gesellschaft. Vestager stieß damit in eine echte Marktlücke, denn damals hatten sich die anderen Parteien im Parlament, angeheizt von Pia Kjærsgaard und den anderen Lautsprechern in der DVP, in ihre blockpolitschen und ideologisch verbrämten Lager zurückgezogen. Geschossen wurde seitdem nur noch aus der Deckung. Ohne Zwischentöne, scharf und unversöhnlich.

"Das muss ein Ende haben"

Der Machtwechsel wurde für Vestager zur Lebensaufgabe. Dahinter steckt nicht nur ihre persönliche Feindschaft zu Kjærsgaard. Die bürgerlichen Parteien hatten sich für sie als Kooperationspartner erledigt, da sie die in Vestagers Augen menschenunwürdige Migrationspolitik der Rechten mittrugen. „Der Einfluss Pia Kjærsgaards muss ein Ende haben.“ Dies betonte sie immer und immer wieder.

Tatsächlich haben die Rechtspopulisten mit der Niederlage vergangene Woche erst einmal viel von ihrer Macht verloren. Allerdings wird die DVP sich nicht schmollend auf die Oppositionsbank zurückziehen, sondern versuchen, auch in Zukunft die Politik Dänemarks mitzubestimmen. Zehn Jahre als Duldungspartei einer Regierung haben aus der Dänischen Volkspartei eine im eigenen Verständnis staatstragende Partei gemacht. Aus Ideologen sind Pragmatiker geworden, was die Rechtspopulisten in Dänemark auch in Zukunft gefährlich macht. Dass sie bereit sind, eigene Überzeugungen über Bord zu werfen, haben sie bereits gezeigt, etwa als sie im Mai dieses Jahres – im Widerspruch zu ihrem Parteiprogramm – Kürzungen bei der Frührente mittrugen und sich dies dann mit schärferen Grenzkontrollen teuer bezahlen ließen.

Margrethe Vestager wird deshalb versuchen, die Rechten im Parlament zu isolieren, indem sie auf das bürgerliche Lager zugeht. Ihrer Partei als derzeit echte Kraft der politischen Mitte in Dänemark wird eine Schlüsselrolle zukommen. Für die Sozialdemokraten und Helle Thorning-Schmidt wird das Regieren dadurch nicht einfacher. Doch darauf kommt es Vestager nicht an. „Wir brauchen eine breite Zusammenarbeit über die Blockgrenzen hinweg“, sagt sie. Das sind ganz neue Töne, an die man sich in Dänemark nach zehn Jahren der Grabenkämpfe erst noch gewöhnen muss.

Elmar Jung schreibt als freier Korrespondent aus Kopenhagen über Skandinavien

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