Es wird spannend sein zu lesen, wie Kristopher Schau die Dinge sieht. „Onkel blau“, wie sie ihn nennen. Einer, der sich beschneiden ließ und anschließend seine Vorhaut aß. Der untersuchte, ob ein hungriger Hund zwischen einem Würstchen und einem Penis einen Unterschied macht. Jemand, der eine Woche hinter einem Schaufenster wohnte und wenn überhaupt sich nur mit H-Milch wusch. Ein Querulant und Provokateur, der sich oft weit jenseits der Grenze des guten Geschmacks bewegte. Wie kommt jemand dazu, einen wie Schau zum Gerichtsreporter zu machen? Noch dazu für einen Prozess, der delikater nicht sein könnte, weil er Unvorstellbares zum Inhalt hat und einen Angeklagten auf der Bank, der seinen Massenmord für einen Dienst an der Gesellschaft hält.
Wenn am 16. April der Prozess gegen Anders Behring Breivik beginnt, wird all das, was am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya geschah, wieder hochschwappen ins kollektive Bewusstsein. Das Gericht wird bemüht sein, Breivik nicht jene Bühne zu geben, nach der er sich sehnt, die Staatsanwaltschaft wird 98 Zeugen vorladen, und die Medien werden mindestens genauso viele Journalisten nach Norwegen schicken, damit sie darüber berichten. Lustig wird das nicht für die Medienvertreter, die versuchen müssen, die passenden Worte zu finden und dabei vor allem den richtigen Ton zu treffen, die einem Prozess angemessen sind, der sich mit unfassbaren Geschehnissen beschäftigt. Und einer von ihnen wird dieser Kristopher Schau sein, Komiker und Sänger der Heavy Metal Band „The Cumshots“. Kann das gut gehen?
Schau, 41, wird schon optisch nicht in den Pressepulk vor und im Osloer Amtsgericht passen. Seine Hemden trägt er am liebsten kurzärmelig und hauteng, die Haare nach hinten gegelt, dazu breite Koteletten. Als bei einem Konzert seiner Metal Band „The Cumshots“ 2004 in Kristiansand ein Pärchen auf die Bühne kam und Geschlechtsverkehr hatte, ließ Schau dies bereitwillig geschehen. Auch die 1.300 Euro Strafe, die ihm ein Gericht dafür aufbrummte, zahlte er gerne. Manchmal hat man das Gefühl, dass ihm solche Dinge im Nachhinein ein wenig peinlich sind. Doch weiß man bei Schau nie, ob er das auch wirklich so meint. Jedenfalls lassen Auftritte wie diese viele Norweger daran zweifeln, ob Schau für den Job des Gerichtsreporters der Richtige ist.
Bei Morgenbladet sieht man das anders.Dass es ausgerechnet dieses Blatt ist, dass Schau zum Gerichtsreporter gemacht hat, macht die Sache noch ungewöhnlicher. Denn es handelt sich dabei nicht um einen Paradiesvogel der norwegischen Medienlandschaft, sondern um eine kulturpolitisch tonangebende Wochenzeitung mit einer überdurchschnittlich gebildeten Leserschaft. Bedenken, Schau würde es für den Prozess gegen Breivik an Einfühlungsvermögen und Tiefgang fehlen, werden dort nicht geteilt. „Kristopher Schau ist nicht nur Komiker, und erst recht ist er kein oberflächlicher Mensch“, sagt Redakteurin Lena Lindgren. „Er hat sich in der Vergangenheit sehr ernsthaft mit Fragen nach Trauer, Verlust und Tod auseinandergesetzt.“
Unkonventionell und doch angemessen
Tatsächlich stecken hinter Schaus Auftritten als Musiker, Komiker und Performancekünstler auch ernste Themen, die er mit – zugegeben oft verquerem – Humor aufzugreifen versucht. Aufsehen erregte etwa seine Fernsehserie Die sieben Todsünden, in der er für jede dieser Sünden ein Land bereiste, um sie dann dort zu begehen. Aus Eitelkeit ließ er sich in den USA ein Kinn-Implantat einsetzen, bei den Schweden – seiner Meinung nach dem neidischsten Volk der Welt – versuchte er sich in der Kunst der Missgunst, und in Norwegen frönte er der Völlerei, indem er einen Tag verbrachte, wie es Elvis Presley an seinem Lebensende getan hatte. Schau erhielt viel Lob für seine rohe und plakative Darstellung menschlicher Unzulänglichkeiten, wurde aber vor allem von gläubigen Christen kritisiert. Sie hielten seinen Versuch, mit dem Begehen aller sieben Todsünden die (Nicht-)Existenz Gottes zu beweisen, für Blasphemie.
Anerkennung erhielt Schau für sein 2009 erschienenes Buch Im Dienste der Freundschaft, für das er vier Monate lang Beerdigungen in Oslo besuchte, bei denen sonst niemand auftauchte, weil es weder Familie noch Freunde gab, die kommen konnten oder wollten. „Ich wollte für diese Menschen einfach nur da sein“, sagt Schau. Er selbst will übrigens keine eigenen Kinder haben mit der Begründung: „Die würden dann nur merken, was für ein netter Mensch ich eigentlich bin.“
Seine sensible Seite lässt die berechtigte Hoffnung aufkommen, dass Schau eine Stimme sein kann, die unkonventionell und doch angemessen über den Prozess gegen den Massenmörder Breivik berichtet. „Vielleicht kann er dem Publikum Geschichten erzählen, die dem Auge des geschulten Gerichtsreporters nicht zugänglich sind“, sagt auch der Generalsekretär des norwegischen Presseverbandes, Per Edgar Kokkvold. Doch nicht nur Kokkvold, ganz Norwegen wird genau schauen auf das, was Schau zu Papier bringen wird. Breiviks Tat hat das Land in seinem Selbstverständnis tief erschüttert. Es wird daher nicht allzu viel Spielraum geben für den Provokateur Schau, der zu seiner kommenden Aufgabe als Gerichtsreporter nichts sagen will.
Es heißt, dass Morgenbladets Chefredakteur Alf von der Hagen Schaus Artikel höchstpersönlich redigieren wird. Doch jetzt, da sich die Zeitung für seine Berufung als Berichterstatter entschieden hat, wäre es eine Enttäuschung, wenn er von seinem Rotstift allzu sehr Gebrauch machen würde.
Elmar Jung ist freier Korrespondent und lebtin Kopenhagen
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