Die Produktionshalle der Solon AG ist auf Wasserlinie gebaut. Wer durch die großen Panoramafenster blickt, meint in der Spree zu stehen. Das klingt nach einem beschaulichen Ort. Vor zwei Jahren war er das auch noch. Die Kreuzberger Solarzellen-Bauer waren im alternativen Milieu fest verankert, Franz Schulz, der grüne Bezirksbürgermeister, hatte sich persönlich für den begehrten Standort an der Oberbaumbrücke eingesetzt. Umgekehrt unterstützte Solon Christian Ströbele im Kampf um das erste grüne Direktmandat für den Bundestag und baute dem Kreuzberger Anwalt ein Sonnensegel an das elektrobetriebene Wahlkampfauto. Wer die Firma besuchte, wurde leise aufgefordert, doch etwas für die alternative Energie in Deutschland zu tun und Aktion
zu tun und Aktionär zu werden. Heute werden photovoltaische Solaranlagen vom Staat üppig gefördert, sind Börsenkurs und Umsätze nach oben geschossen - Solon brummt.Auf dem gegenüberliegenden Ufer in Friedrichshain, durch die großen Panorama-Fenster gut zu besichtigen, geht es weit ruhiger zu. Dort stehen die Spreespeicher schon seit Jahren ungenutzt herum. In beiden Gebäuden sind die Fenster eingeschlagen, von größeren Renovierungsarbeiten an den denkmalgeschützten Bauten keine Spur. Büro-Lofts - welch spannende Idee - sollten hier entstehen. Jetzt hofft man wenigstens auf den Einzug eines Kindermuseums. Man fragt sich, warum sogar die CDU einmal die PDS-Stadträtin für ihre Tatkraft gelobt hat, was die Bebauung des Spree-Ufers angeht. Emsig gebaut wird dort zur Zeit nur ein paar Meter weiter in Richtung Zentrum. Zehn Jahre nach der Wende wird die East-Side-Gallery, das weltbekannte und buntbemalte Stück Mauer, wieder renoviert, geweißelt und bekommt neue Graffitos.Beide Spreeseiten werden bald zu einem Bezirk gehören: Kreuzberg-Friedrichshain. Vielleicht wird er auch Oberbaum heißen, nach der einzigen Verbindung über die trennende Spree, der Oberbaumbrücke. Auf den ersten Blick ist die Fusion ein albernes Unterfangen. Beide Bezirke berühren sich nicht nur geografisch kaum, sie haben auch reichlich unterschiedliche Kulturen. Auf der einen Seite Kreuzberg, dessen alternative Milieus langsam veralten und verknöchern. Familien mit Kindern sind wie sonst nirgends ins Umland ausgewandert, und die Studenten bevorzugen inzwischen die zentralen östlichen Bezirke wie Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Kreuzberg ist ziemlich out. Um 7.000 Menschen schrumpft die Bevölkerung jährlich, nur der Kinderreichtum türkischstämmiger Familien verhindert die Überalterung. Der weiter anwachsende Ausländeranteil stellt den Bezirk vor große Integrationsschwierigkeiten, die Bezirksfusion erscheint da vielen als zusätzliche Belastung. Einen Treppenwitz nannte Schulz sie noch 1998. Er stemmte sich ebenso wie diverse PDS-Vertreter bis zuletzt gegen sie.Friedrichshain ist trotz aller Studentenzuzüge und Hausbesetzer immer noch ein bürgerlicher Bezirk, mit einem Ausländeranteil von gerade mal 8,5% alles andere als multikulturell. Die PDS bekam bei den letzten Kommunalwahlen über 40 Prozent und vertritt eine zwischen Ostsentimentalität und einfallslosen Entwicklungsmustern hin und her schwankende Perspektive des Stadtteils.Das Wenige, das Friedrichshain und Kreuzberg gemein haben, sind die niedrigsten Nettoeinkommen pro Kopf aller 23 Berliner Bezirke. 25 Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit in Kreuzberg, ähnlich hoch wie in Friedrichshain. Mit der Fusion entsteht ein innerstädtische Armenhaus.Warum der Senat ausgerechnet diese Bezirke zusammenlegt? Vielleicht, um lautlos Geld sparen zu können. Einen relativ reichen mit einem eher armen Bezirk zu vereinen, erzeugt politischen Ärger, weil die armen Bezirksteile ein Anrecht auf gleiche Wohlstandsverhältnisse haben. Reiche Stadtteile dürften dagegen erheblichen Widerstand mobilisieren, weil sie die notwendigen Transferzahlungen nicht alleine tragen wollen, und der Senat hätte einspringen müssen. Bei Fusionen zwischen Gleichen kann der Senat mit Hinweis auf die Sparpolitik dafür bei allen kürzen. Auch Kreuzberg und Friedrichshain werden künftig mit 13,6 Mil. DM weniger pro Jahr an so genannter freiwilliger Unterstützung aus dem Roten Rathaus auskommen müssen.Es spricht Einiges für den Verdacht - PDS und Grüne haben ihn auch schon geäußert -, dass die Fusion vor allem parteipolitischen Interessen dient. Einen West- mit einem Ostbezirk zusammenzulegen heißt eben auch, die im Westen starken Bündnisgrünen und die im Osten starke PDS zu schwächen. Sollte auf dem neuen Stadtteil auch noch ein neuer Bundestagswahlkreis abgesteckt werden - die Pläne dafür liegen bereits in den Schubladen -, haben weder die Grünen noch die PDS Chance auf ein Direktmandat. Ströbele, schon 1994 und 1998 knapp gescheitert, könnte seine Hoffnungen endgültig begraben.Auch auf Bezirksebene schadet die Fusion tendenziell der PDS und den Bündnisgrünen. Nach den derzeitigen Kräfteverhältnissen in der Bezirksverordnetenversammlung müssten sie sich verbünden. Noch will dabei jeder seinen eigenen Bürgermeister durchbringenImmerhin: Eine Erfolgsstory wird an der Spree schon geschrieben. Solon hat sich gemausert. Innerhalb weniger Monate vervierfachte sich der Kurs ihrer Aktie. Wer vor zwei Jahren in die Außenseiter investierte, hat heute ein gutes Geschäft gemacht.