Hase und Igel

GRÜNER LANDESPARTEITAG IM MAINSTREAM-SYNDROM Eifrig dorthin streben, wo die anderen schon sind

In einem Antrag aus dem Stadtbezirk Kreuzberg, der gegen Ende der Landesdelegiertenkonferenz der Berliner Bündnisgrünen am Wochenende behandelt wurde, hieß es, man dürfe gerade jetzt der Öffentlichkeit nicht signalisieren, "dass wir dorthin wollen, wo die anderen schon sind". Mit anderen Worten, die Trennung von (Partei-)Amt und (politischem) Mandat sollte angesichts des Parteispendenskandals nicht in Frage gestellt werden.

Wie oft schon haben Realpolitiker Versuche unternommen, eine konsequente Trennung zu torpedieren. Die Etablierung eines "Parteirates" vor einem Jahr - verbunden mit der Offerte an Minister und Fraktionsmitglieder, dabei sein zu dürfen - hatte Ausnahmen für dieses erlauchte Gremium erlaubt. Weitergehende Vorstöße allerdings von Joschka Fischer und Matthias Berninger, der - mit einem Bundestagsmandat ausgestattet - Parteivorsitzender in Hessen werden wollte, waren gescheitert. Bis vor einigen Wochen nun schien allerdings die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit zur Änderung des Parteistatuts noch recht wahrscheinlich. Aber dann kam der CDU-Spendenskandal und half all jenen, denen an einer begrenzbaren Machtfülle Einzelner gelegen ist, was sie sich nur bei fortgesetzter Trennung von Amt und Mandat vorstellen können. Insofern sieht sich das Machtzentrum um Joschka Fischer derzeit auf dem falschen Fuß erwischt. Mit dem CDU-Skandal sind die Erfolgsaussichten gewachsen, die "Heilige Kuh" auch künftig grasen zu lassen.

Eigentlich eine gute Ausgangsbasis für den Kreuzberger Kreisverband als linksalternative Bastion in der Partei, in die Offensive zu gehen. Er hatte zu bedenken gegeben, dass "uns gerade jetzt die Empirie recht gibt" und deshalb gefordert, über Alternativen zur Stärkung der Parteiämter nachzudenken, ohne die Trennung von Amt und Mandat für diese Positionen aufzuheben. Der Antrag verurteilte nicht und forderte keinen Verzicht, trotzdem schien er dem Berliner Parteivorsitzenden Andreas Schulze zu brisant, um über ihn "an der Stelle" zu befinden. Bis Ende Februar sei der Meinungsbildungsprozess in der Partei abgeschlossen. Mag sein, dass Schulze auch auf etwas Ruhe an der Spendenfront hofft. Außerdem, so Schulze, könne mit Renate Künast eine Berlinerin von der Aufhebung profitieren, weil sie dann Fraktionsvorsitzende in Berlin und Bundesvorstandssprecherin in einer Person sein könne. Man dürfe sie jetzt nicht beschädigen. Daraufhin zogen die Kreuzberger ihren Antrag zurück. Renate Künast dagegen wurde am Freitag mit warmen Applaus bedacht, als sie meinte, man dürfe den CDU-Skandal nicht instrumentalisieren.

Ein politisches Reaktions- und Entwicklungsmuster der Grünen, das seit der Spaltung in Realos und Fundis existiert, scheint sich damit erneut zu bestätigen. In jeder schwierigen Situation bewegt sich die Partei in Richtung Mainstream. Ob Abschaffung der NATO, Kriegseinsätze und fünf Mark für den Liter Benzin - immer sorgte der realpolitisch orientierte Flügel in der Partei für einen Schwenk in den ruhigen Strom. Politstrategisch lohnt ein solches Reaktionsmuster nur, solange sich mit jeder dieser Bewegungen mehr neue Wähler gewinnen lassen, als auf der anderen Seite durch die Einbuße an Originalität verloren gehen. Die Grünen haben jahrelang der Öffentlichkeit gezeigt, dass sie auf immer mehr Politikfeldern dahin wollen, wo die anderen schon sind. Seit zwei Jahren sichert das Wahlniederlagen. Tragisch nur, wenn man Trends hinterher läuft, die längst keine mehr sind. So haben sich die Berliner Bündnisgrünen vorgenommen, Metropolenpartei zu werden. Damit stehen sie auch begrifflich im Glied mit den anderen "Hauptstadtparteien". Toleranz, Integration und Mitbestimmung wollen sie fördern. Als sich die anderen Parteien diese Ziele von den Grünen vor Jahren schon abgeguckt hatten, waren es noch mehr als Gemeinplätze.

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