Am Nikolausabend zauberte die Verhandlungsdelegation vor dem Landesparteitag der SPD weitere fünf Jahre Koalition mit der CDU aus dem Sack. Keine Überraschung - und Streit gab es auch nicht. Außer dem Veranstaltungsort erinnerte wenig an die glorreiche Vergangenheit der SPD in der Mauerstadt. Mit gerade mal 22,4 Prozent der Stimmen hatte sie im Oktober ihr schlechtestes Landtagswahlergebnis seit dem Krieg erzielt. Fraktionsvorsitzender Klaus Böger wollte trotz dieser desaströsen Niederlage nicht den Gang in die Opposition antreten. Der Anspruch lautet, wir füllen mehr als eine politische Nische. Immerhin musste die Parteiführung fast vier Wochen ins Land gehen lassen, bis die Basis mit knapper Mehrheit einen Auftrag zur Eröffnung von Koalitionsverhandlungen erteilte.
Zeitgleich stimmten CDU und SPD nun ab. SPD-Chef Strieder war zufrieden, die SPD sei mehr als der Juniorpartner, lobte er. Eine andere Position wäre der Partei wohl auch nicht zu vermitteln gewesen. Sie will nicht der kleine Partner sein. Mehr Mitglieder als der Par teispitze lieb war, wären wohl eher in die Opposition gegangen. Die meisten sehen ihre Partei noch immer als eigentlich dominierende politische Kraft in der Stadt. Walter Momper zum Beispiel kritisierte die Berliner CDU, die sich anders als in Bremen nicht kooperativ verhalte. Dass angesichts der Kräfteverhältnisse in Berlin umgekehrt die CDU von der SPD Bremer Verhalten erwarten kann, kam ihm nicht in den Sinn. Diese Partei ist vom Bewusstsein ihrer 20 Prozent weit entfernt. Der Widerspruch zwischen dem Selbstverständnis und der politischen Realität einer fast doppelt so starken CDU kann auf Dauer nur verheerende inhaltliche und personelle Folgen für die SPD haben, das deutete sich in den Koalitionsverhandlungen jedenfalls an.
Die CDU hielt sich in ihnen auffallend zurück. In der Finanzpolitik zeigte sie sich so passiv, dass die SPD-Verhandlungskommission mit dem Ende der Gespräche drohen musste, um endlich einen Konsolidierungsvorschlag der Christdemokraten aufgetischt zu bekommen. Der folgte weitgehend den Vorstellungen der SPD, da war sie zufrieden. Ja überrascht vom hohen Gehalt "an sozialdemokratischer Programmatik im Vertragswerk". Bei den inhaltlichen Verhandlungen spielte die Kräfteverteilung offenbar keine Rolle, was dazu führte, dass sich bis auf die Jusos keine relevante Gruppe beschwert hat. Im Gegenteil, die SPD habe keine einzige Kröte zu schlucken gehabt, hieß es voller Genugtuung auf dem beschließenden Parteitag, in einigen Punkten habe die SPD die CDU sogar energisch in die Schranken gewiesen. Der Religionsunterricht werde auch in Zukunft kein Pflichtfach und die Videoüberwachung gefährdeter Orte fände nur an einigen wenigen Punkten statt.
Was dieser Vertrag wert ist, wird der Politalltag zeigen. Im ICC hinterfragte kein Redner, auch kein Kritiker der Koalition seine Bedeutung für die Durchsetzung sozialdemokratischer Politik. Dabei stellen CDU und SPD ganz unterschiedliche Erwartungen an ihn. Für die SPD macht er aus der Zusammenarbeit eine große Koalition. Sie hatte nicht das Ziel, in den Vertrag womöglich einige wenige Essentials zu schreiben, an denen sie öffentlich gemessen werden könnte, wie das eine kleine Partei sonst versuchen würde. Vielmehr hat sie versucht, in der Breite sozialdemokratische Positionen unterzubringen. Mit diesem Vertrag, so glaubt man in der SPD, ist die Umsetzung eigener politischer Ziele in der nächsten Legislaturperiode gesichert.
Die CDU weiß demgegenüber, dass in jeder konkreten politischen Frage der Hinweis auf die realen Kräfteverhältnisse entscheidend wirkt. Wie wenig zur Zeit Koalitionsverträge gelten, führt die SPD auf Bundesebene gerade vor. Die CDU kann es sich also leisten, einen solchen Vertrag zu unterschreiben. Er garantiert ihr den Koalitionspartner. Die Politik der nächsten fünf Jahre kann er nur schwerlich festschreiben. Mehr noch: Gerade weil er seinem Wesen nach ein Vertrag über eine große Koalition ist -, nutzt er ihr. Es spricht für die Verdrängungsprozesse innerhalb der SPD, dass dieser Sachverhalt auch von den Kritikern der Koalition nicht deutlicher gemacht wurde.
Dabei hat die SPD schon bei der Frage der Ressortbesetzung einen Vorgeschmack darauf bekommen, wie die Konfliktlösungsmuster zwischen den Koalitionspartnern in der Zukunft aussehen werden und welche Folgen sich daraus für die SPD intern ergeben. Zunächst forderte Strieder in der Öffentlichkeit vier Senatorenposten für seine Partei. Bei acht insgesamt zu vergebenden Senatschefsesseln wäre das einem großen Koalitionspartner entsprechend gewesen. Natürlich wussten alle, dass das nicht durchgehen würde. Einige äußerten das auch öffentlich. Am Ende konnte man froh sein, mit drei Kanzleien insgesamt nur einen Posten weniger als die CDU besetzt zu haben, auch wenn das dem Regierenden Bürgermeister eine 5:3 Mehrheit für die CDU gewährleistet.
Schlimmer waren die internen Folgen für die Sozialdemokraten: Unter Berücksichtigung der verschiedenen Flügel können drei Senatskanzleien nicht ausreichen, konsensuale Lösungen zu erreichen. Nachdem Gabriele Schöttler als Ostfrau gleich zwei Quoten erfüllte, standen für die Bewerber Annette Fugmann-Heesing, Peter Strieder und Klaus Böger nur noch zwei Positionen zur Verfügung. Der Landesausschuss wählte dann alternativ zwischen Fugmann-Heesing (Finanzen) und Strieder (Bauen/Umwelt/Verkehr), wohlwissend, dass entweder das renommierteste Mitglied des Senats oder der Parteichef beschädigt würden. Nach der Entscheidung für Strieder hat aber nicht nur Annette Fugmann-Heesing teils ver bittert reagiert, auch der Parteichef selbst ist in die breite innerparteiliche Kritik geraten. In Teilen der Partei heißt es, "Strieder müsse als Senator verhindert" werden. Trotz aller Dementis wird ihm leise intrigantes Verhalten vorgeworfen. Strieder selbst beklagt dagegen die "elende Sorglosigkeit, mit der die SPD ihr Führungspersonal" behandelt. Die Halbwertzeit Berliner SPD-Vorsitzender hat in den letzten Jahren deutlich abgenommen. In den Neunzigern "verbrauchte" sie vier Vorsitzende.
Der Mut, in die Opposition zu gehen, fehlt der SPD aber immer noch.
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