Der Berliner Haushalt hat eine strategische Deckungslücke von mindestens fünf Milliarden DM pro Jahr, deren Abbau auf große gesellschaftliche Widerstände treffen dürfte. Nach den Erfahrungen mit dem Sparpaket auf der Bundesebene halten sich die Berliner Parteien auffallend zurück. PDS und Grüne sind mucksmäuschenstill, niemand will bei der Regierungsbildung mitspielen, und die SPD sträubt sich, noch einmal den Deppen in der großen Koalition zu geben.
Die Sozialdemokraten, mit dem schlechtesten Ergebnis der Nachkriegszeit vom Wähler abgestraft, haben sich zwar eine Schamfrist gegeben, aber vieles deutet darauf hin, dass es wieder auf eine Koalition mit der CDU hinauslaufen wird. Walter Momper hat an den Vorsitzenden der SPD in Berlin ges
Berlin geschrieben, dass er in seiner Partei nicht denen die "Meinungsführerschaft überlassen wolle, die mit der großen Koalition fortfahren wollen, als sei nichts geschehen", aber er spielt auf der politischen Bühne keine Rolle mehr. Und fortfahren wie bisher, ist sowieso nicht mehr drin. CDU-Generalsekretär Liepelt ließ schon längst verlauten, dass die SPD vom großen zum kleinen Partner in der Koalition mutiert sei.Diese veränderte Konstellation birgt Schwierigkeiten, aber auch Chancen für die SPD. Zum einen weiß sie, dass kleine Partner in aller Regel die Verlierer einer Koalition sind. Zum anderen bräuchte die SPD als kleiner Partner aber keine Gesamtverantwortung mehr zu tragen, sondern könnte sich als Verfechterin bestimmter politischer Essentials in der Stadt profilieren: zum Beispiel ihr Profil in sozialer Gerechtigkeit schärfen und damit gegen die PDS Boden gut machen. Allerdings müsste sich die SPD dann aus einem Politikfeld zurückziehen, in dem das Flaggschiff der SenatorInnengarde bislang tätig war. Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing bläst auch in der eigenen Partei der Wind ins Gesicht. Die SPD habe mit dem Sparkurs die Drecksarbeit gemacht und der CDU den Boden für deren Wohltätigkeiten bereitet. Auf Bildung, Wirtschaft und Soziales solle man sich konzentrieren, mit dem Finanzressort seien keine Punkte zu machen. Die Gefahr, dass in einigen Jahren Berlin faktisch zahlungsunfähig wird und dann die gesamte Politik unter dem Finanzierungsvorbehalt des Bundes steht, ist nach wie vor hoch. Insofern beinhaltet das Festhalten am Finanzressort ein großes Risiko. Wenn es zum Schlimmsten kommt, dann hat die SPD doppelt verloren: Erst wurde sie für die Konsolidierungspolitik bestraft, dann für ihr Scheitern.Auch wenn Böger und Fugmann-Heesing dagegen sind, sich in Politiknischen zurückzuziehen, für die SPD ist die Möglichkeit der Stützung eines CDU-Minderheiten-Senats keine abwegige Option. Die CDU müss te in dem Fall entweder einen strik ten und unpopulären Sparkurs gegen alle gesellschaftlichen Widerstände in der Stadt durchziehen oder sie macht erst gar keinen ernsthaften Versuch der Konsolidierung und würde dann - mit klammheimlicher rot-grüner Freude auf Bundesebene - in die Schuldenfalle tappen. Und die SPD könnte sich als einzige finanzpolitisch solide Kraft in der Stadt präsentieren.Je länger die Regierungsbildung auf sich warten lässt, desto eher tauchen Alternativen auf. An erster Stelle steht dabei wohl immer noch eine rot-rot-grüne Koalition, die aber bislang in keiner der betroffenen Parteien offen propagiert wurde. (Obgleich sie seit Jahren möglich ist.) In der PDS und bei den Bündnisgrünen heißt es dazu, dass die SPD den ersten Schritt machen müsse. Schließlich müsse die SPD ihre klare Absage an eine PDS-Beteiligung zurückziehen. Aber die Chancen für ein rot-rot-grünes Projekt dürften ohne Momper noch schlechter sein als mit ihm. Selbst wenn die Parteien auf eine solche Option setzten, halten es viele für klüger, zunächst das Scheitern einer CDU-geführten Regierung abzuwarten. Haushaltspolitisch stimmen SPD und Grüne zwar weitgehend überein. Sie befürworten beide einen strikten Konsolidierungskurs, den die PDS mittragen müss te. Aber ob die unter solchen Bedingungen einsteigt weit weniger Prestige wäre damit verbunden als etwa in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern ist auch zweifelhaft.Bündnis 90/Die Grünen heben ihre erfolgreiche Oppositionsarbeit hervor und feiern sich als die Partei mit dem "kompetentesten Personal im Abgeordnetenhaus", aber daraus leitet niemand einen Regierungsbildungsauftrag ab. Allerdings den Anspruch auf "Meinungsführerschaft in der Opposition". Diese Meinungsführerschaft droht den Bündnisgrünen abhanden zu kommen, wenn nach dem Weggang der Haushaltsexpertin Michaele Schreyer in das EU-Kommissariat auch noch Renate Künast an die Spitze der Bundespartei wechseln sollte.Derweil werden auf Bundesebene die Stimmen lauter, die eine schwarz-grüne Koalition ins Spiel bringen wollen. Insgesamt kommt Bewegung in diese Frage. Auf der einen Seite gehen nach dem schleichenden FDP-Verfall der CDU die Koalitionspartner aus. Auf der anderen Seite sind insbesondere die grünen Realos einer Koalitionsoffenheit zur CDU hin nicht abgeneigt. Doch für konkrete Schritte scheint es zu früh zu sein. Der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen CDU, Rüttgers, machte einen entsprechenden Vorstoß, schloss aber für Nordrhein-Westfalen zugleich eine solche Option aus. Die bündnisgrünen Landesverbände in NRW und Berlin gelten als links-dominiert, schwarz-rote Koalitionen in diesen Ländern wären also nicht durchsetzbar. Andererseits sind es gerade die bündnisgrünen Linken gewesen, die sich für Koalitionen mit Links und Rechts stark machen. Christian Ströbele argumentiert, dass, wenn es kein rotgrünes Reformprojekt in der Bundesrepublik mehr gäbe, die Koalition mit der SPD so nützlich sei, wie die mit jeder anderen Partei, mit der in einzelnen Sachfragen Übereinstimmung zu erzielen ist. Die Linken erhoffen sich mit diesem Schwenk, die FDP-isierung der Grünen lediglich auf ihre Funktion als Mehrheitsbeschafferin begrenzen zu können, ohne konservative Inhalte übernehmen zu müssen.Dass der Wählerauftrag lauten könnte: "Sieger im Osten und Sieger im Westen bilden die Berliner Regierung" glaubt offenbar niemand.