„Die FDP-Familien-Revolution: Maximal flexibel und nur für die, die Geld haben“
Interview Wahlfamilie, vier Elternteile, queere Eltern – die Ampel modernisiert das Familienrecht. Eine Juristin warnt: Wird die soziale Situation der Familie nicht berücksichtigt, entsteht Ungleichheit
Wer profitiert von einer FDP-angeführten Familienrevolution? Ist die Vielfalt der Familien für alle eine super Sache – oder nur für die obere Mittelschicht? Anna Lena Göttsche prüft die Pläne der Bundesregierung auf ihre sozialen Auswirkungen.
der Freitag: Frau Göttsche, wie steht es um die Familienrevolution? Können wir uns unsere Familie bald ganz frei wählen?
Anna Lena Göttsche: Ja, eine Art Wahlfamilie soll kommen – die Ampel will die Verantwortungsgemeinschaft tatsächlich zu einem Regelungsinstitut machen. Das kennen wir bislang nur von der Ehe und Familie. Aber es ist wenig Konkretes bekannt, einen Gesetzesentwurf gibt es noch nicht.
ur von der Ehe und Familie. Aber es ist wenig Konkretes bekannt, einen Gesetzesentwurf gibt es noch nicht.In der letzten Legislatur gab es dazu einen FDP-Antrag.Genau, daran können wir ablesen, in welche Richtung es gehen soll. In dem Antrag schlug die FDP vor, für Senioren-WGs, Freund*innen und andere Wahlverwandte ein Institut einzuführen, das rechtliche Verantwortung füreinander festhält – die stufenweise ausgeweitet werden kann: angefangen vom Auskunftsrecht im Krankenhaus bis hin zum gegenseitigen Unterhalt. Das klingt erst mal gut, ich sehe einen Problempunkt allerdings im Steuerrecht.Wieso Problem?Mit der Verantwortungsgemeinschaft sollen, wie in der Ehe, Vorteile einhergehen bei der Einkommens-, Erbschafts- und Schenkungssteuer. Welche Senior*innen, die in einer WG leben, haben denn viel zu vererben oder zu verschenken? Die große Masse der Bevölkerung profitiert davon sicher nicht. Wenn ein kleiner wohlhabender Kreis mit der Verantwortungsgemeinschaft schlicht Steuern sparen will, ist das wenig revolutionär.Okay, aber diese Steuer-Privilegien gelten ja bisher auch für die „klassische“ Familie – warum sollten sie nicht auch für andere Nähebeziehungen gelten?Das stimmt. Ich finde die Verantwortungsgemeinschaft als Modell grundsätzlich auch nicht verkehrt. Das Problem liegt darin, das Prinzip der Verantwortung zusammenzubringen mit dem Anspruch, maximal flexibel zu bleiben: Sie soll jederzeit aufkündbar sein, ohne dass gesagt wird, ob und wie finanzieller Ausgleich geregelt sein soll.Es braucht also eine Art Scheidungsrecht?Es muss ein faires Abwicklungsregime geben, sonst entstehen soziale Schieflagen: Was passiert, wenn in der Verantwortungsgemeinschaft die Sorgearbeit ungleich verteilt wird? Nach dem FDP-Entwurf gibt es keine Absicherung für die Person, die während der Gemeinschaft weniger verdient hat. Die Folgen müssen womöglich vom sozialen Sicherungssystem aufgefangen werden.Die FDP will die Privilegien aus der Ehe, aber nicht die Pflichten?So scheint es. Wir sollten uns jedoch sehr genau überlegen, ob steuerliche Vorteile nicht auch finanzieller Verantwortungsübernahme gegenüberstehen müssen.Wenn Freundinnen Auskunftsrechte im Krankenhaus bekommen, ist das doch ein Fortschritt?Na ja, Vollmachts- und Auskunftsrechte kann man auch jetzt schon niedrigschwellig in Patient*innen-Verfügungen und Vorsorgevollmachten regeln. Übrigens auch mit mehreren Personen.Kommen wir zur Frage der Elternschaft, auch die möchte die Ampel verändern: Bis zu vier Erwachsene sollen rechtliche Eltern werden können.Ob es echt von Vorteil ist, mehr als zwei Personen am Sorgerecht zu beteiligen, wage ich zu bezweifeln. Wenn es zum Streit kommt, ist es schon mit zwei Sorgeberechtigten schwierig, und für das Kind belastender, je mehr Personen hinzukommen. Konkrete Fortschritte gibt es aber bei der rechtlichen Elternschaft von Zwei-Mütter-Familien: Hier soll bald ein Gesetzesentwurf zur Gleichstellung von lesbischen Eltern vorliegen.Können Sie noch mal erklären, wieso zwei Mütter, die ein Kind bekommen, derzeit benachteiligt sind gegenüber einem Vater und einer Mutter?Derzeit ist es so, dass nur die Mutter, die das Kind zur Welt bringt, rechtlich automatisch Mutter wird. Die andere Mutter muss ihr Kind in teils langwierigen Verfahren adoptieren, um rechtlich Mutter zu werden – anders als Väter, die als Ehemann automatisch Vater werden oder die die Vaterschaft anerkennen können. Diese Möglichkeiten sollen jetzt auch Müttern in queeren Partnerschaften zur Verfügung stehen.Placeholder infobox-1Wobei der Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) jüngst ankündigte, dass in einem ersten Schritt queere Eltern nur dann anerkannt werden sollen, wenn sie ihr Kind über eine offizielle Samenspende und Kinderwunschklinik bekommen haben – und nicht, wie viele das machen, über eine private Spende.Genau, und diese Regelung benachteiligt jene queeren Eltern, die nicht mehrere Tausend Euro für diese Methode aufbringen können. Es gibt absolut keinen Grund, private Samenspenden auszuklammern. Schon gar nicht mit Blick auf die betroffenen Kinder, die dann wieder nur einen rechtlichen Elternteil haben und damit schutzloser sind.Buschmann erklärt diese Unterscheidung so: Bei der privaten Samenspende könnte der Samenspender seine Vaterrechte geltend machen. Wenn beide Mütter als rechtliche Eltern eingetragen sind, braucht man die Möglichkeit einer Mehrelternschaft, um den Vater und beide Mütter als Eltern anerkennen zu können.Schon komisch, dass diese Notwendigkeit bei Hetero-Eltern anders bewertet wird: Wenn ein Vater-Mutter-Paar ein Kind mit privater Samenspende bekommt, sind beide Eltern rechtlich anerkannt.Und wenn der Samenspender rechtlich Vater werden will?Dann muss er die bestehende rechtliche Vaterschaft anfechten. Erfolgreich ist die Anfechtung aber nur dann, wenn keine soziale Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind besteht. Sonst hat er keine Chance.Verstehe. Die Elternschaft soll noch an anderer Stelle umgestaltet werden: Bei der Kinderbetreuung nach einer Trennung will die Regierung das Wechselmodell zum Leitmodell machen – das Kind lebt zu etwa gleich großen Anteilen bei den Eltern, immer abwechselnd. Ist das nicht eine super Sache, weil die Sorgearbeit endlich gleich aufgeteilt wird?Wieso erst nach der Trennung? Es wäre eine super Sache, wenn die Aufteilung der Erziehungsarbeit von Anfang an gefördert würde. Aber die Zahlen belegen ja, dass die Sorgearbeit sehr ungleich verteilt ist: Frauen mit kleinen Kindern gehen zu 42 Prozent in Elternzeit – und Männer gerade mal zu 2,6 Prozent. Danach geht es weiter: Während 66 Prozent der berufstätigen Frauen mit Kindern in Teilzeit arbeiten, sind nur sechs Prozent der Väter in Teilzeit.Aber wenn die Bundesregierung die gleiche Verteilung nach der Trennung zum Leitbild machen möchte, kann das doch einiges an dieser Schieflage ändern?Ich bin da skeptisch. Mich stört der Fokus auf die beendete, nicht die bestehende Beziehung. Davon abgesehen: Die Kinder haben mit der Trennung der Eltern sowieso schon eine Menge zu verarbeiten. Wenn dann noch ein Wechsel in den Betreuungsgewohnheiten dazukommt, kann das sehr schwierig werden. Und die Fälle, die vor Gericht landen – nur für sie gelten ja diese Regelungen –, kommen aus Familien, die es nicht schaffen, sich zu einigen. Einigungsbereitschaft ist aber Grundvoraussetzung für das Wechselmodell. Was ist außerdem in Fällen von Partnergewalt, ist es dann sinnvoll, das Kind beim gewalttätigen Elternteil leben zu lassen?Wird einem gewalttätigen Vater denn ein 50:50-Umgangsrecht eingeräumt?Hier sprechen wir ein aktuelles Problem an: Häuslich Gewalt wird in Deutschland nicht flächendeckend als familienrechtliches Problem erfasst. Überlebende sollen bitte schön darüber hinwegkommen und das Verfahren über das Umgangs- oder Sorgerecht für das Kind nicht mit ihren traumatischen Erfahrungen belasten. Es gibt Fälle, in denen Mütter das Sorgerecht vollständig verloren haben, weil ihnen unterstellt wurde, die im Gerichtsverfahren vorgetragene Gewalt des Vaters sei ein Scheinargument.Mit welcher Begründung?Mit dem Argument, sie würden versuchen, das Kind zu entfremden. Fehlende Bindungstoleranz heißt das dann. Anwält:innen überlegen inzwischen ziemlich genau, ob ihre Mandantinnen die Gewalterfahrungen im Sorgerechtsverfahren überhaupt vortragen sollen. Damit werden die Opfer von Gewalt systematisch zum Schweigen gebracht.Im Koalitionsvertrag steht, dass häusliche Gewalt stärker berücksichtigt werden soll bei der Frage, bei welchem Elternteil sich das Kind nach einer Trennung aufhält – also im Umgangsrecht.Das finde ich gut – ich frage mich nur, warum Sorgerechtsverfahren nicht erwähnt werden. Das zwangsweise Wechselmodell hat aber nicht nur in Gewaltkonstellationen Nachteile, sondern auch hinsichtlich der sozialen Ungleichheit. Hier geht es wieder um ökonomische Interessen. Denn im Koalitionsvertrag wird das Wechselmodell unmittelbar mit dem Unterhaltsrecht verknüpft.Was bedeutet das? Dass der Vater keinen Unterhalt zahlen muss, wenn das Kind auch bei ihm lebt?So ungefähr. Das Wechselmodell kann die Unterhaltspflicht für jenen Elternteil, der mehr verdient als der andere, reduzieren oder ganz wegfallen lassen. Wenn nun aber die Mutter wegen der Kinderbetreuung deutlich weniger Einkommen hat als der Mann, steht sie nach der Trennung beim Wechselmodell plötzlich mit keinem oder einem Teilzeitjob da und muss ohne den Unterhalt des Vaters auskommen. Das Wechselmodell ist ohnehin das teuerste Umgangsmodell von allen.Wieso ist es teurer als das Residenzmodell, bei dem das Kind hauptsächlich bei der Mutter lebt und jedes zweite Wochenende den Vater „besucht“?Beim Wechselmodell brauchen die Eltern alles doppelt: zwei Kinderzimmer in zwei Haushalten, dazu die ganze Ausstattung. Wer kann sich das leisten?Wieder vergisst die FDP also Leute, die nicht so viel verdienen?Die Bundesregierung muss die soziale Situation der Familien berücksichtigen. Andersherum wollen wir natürlich auch nicht, dass ein*e Richter*in sagt: Wenn sich Eltern die 50:50-Betreuung des Kindes nicht leisten können, muss das Kind halt trotzdem bei der Mutter bleiben. Darüber muss man aber sozialpolitisch nachdenken und nicht einfach das Wechselmodell zum Leitmodell erklären, obwohl das nicht der gesellschaftlichen Realität entspricht.Der Staat müsste also ärmere getrennte Eltern finanziell unterstützen – wenn er das Wechselmodell fördern will?Es wäre jedenfalls ungerecht, wenn sich nur Besserverdienende die gleich verteilte Betreuung nach der Trennung leisten könnten. Noch wichtiger ist mir aber, bei der gerechten Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit bereits während der Partnerschaft voranzukommen. Dann entstehen nach einer Trennung solche Schieflagen gar nicht erst.Könnte man diese Bereitschaft nicht fördern, indem Gerichte Tatsachen schaffen?Das darf aber nicht auf dem Rücken der Kinder passieren. Die Bedürfnisse der Eltern sind nachrangig: Familienrichter:innen müssen sich am Kindeswohl orientieren.