Weltweit verbringen Frauen und Mädchen derzeit 125 Millionen Arbeitsstunden allein mit der Wassersuche
Foto: Melanie Stetson Freeman/The Christian Science Monitor/Getty Images
Dass der Reichtum dieser Erde sich in den Händen weniger weißer Männer befindet. Dass am unteren Ende der Armutsskala vor allem schwarze Frauen stehen. Eigentlich wissen wir längst, was in der neuesten Studie der Hilfsorganisation Oxfam zur globalen sozialen Ungleichheit steht. Wozu wiederholen die Forscherinnen dasselbe immer wieder? Um weißen Männern ein schlechtes Gewissen zu bereiten? Wohl kaum. Der Bericht „Public Good or Private Health“ versucht vor allem herauszufinden, welche Mechanismen zu dieser Geschlechterungleichheit führen – und durch welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen man sie systematisch verkleinern könnte. Mit interessanten Ergebnissen. Denn gerade die Untersuchung weiblicher Armut zeigt: Mit einfachen soz
sozialstaatlichen Regulierungen wäre hier eine Menge zu holen. Für Frauen. Aber auch für den Kapitalismus.Dreh- und Angelpunkt für die soziale Situation von Frauen weltweit ist der öffentliche Sektor. Ob in Europa oder in Subsahara-Afrika: Wo Gesundheitsversorgung, Bildung und öffentliche Infrastruktur vom Sozialstaat gestellt werden, da nimmt nicht nur die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ab, sondern auch die soziale Ungleichheit insgesamt. Je weniger unbezahlte Sorgearbeit Frauen leisten – vom Waschen und Kochen über Wasserholen und Sammeln von Feuerholz bis zur Kinderbetreuung und Pflege von Kranken und Alten –, desto besser sind sie sozial gestellt.Diesen direkten Zusammenhang konnten Soziologinnen insbesondere in wirtschaftlichen Krisen beobachten. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigte bereits 2018 in einer umfassenden Länderstudie auf, dass die Geschlechterungleichheit nach der Finanzkrise 2008 in Europa zugenommen hatte – weil die Austeritätspolitik der europäischen Regierungen vor allem Einsparungen im öffentlichen Dienst beinhaltete.Dass Frauen von dieser Form von Austeritätspolitik doppelt getroffen werden, hält auch Oxfam fest. Zum einen, weil im öffentlichen Dienst vor allem Frauen arbeiten. Pflegerinnen und Lehrerinnen verloren nach der Krise ihren Job oder mussten für schlechtere Arbeitsbedingungen arbeiten als zuvor. Zum anderen, weil es vor allem Frauen sind, die auf Kinder aufpassen, wenn Kitas schließen, die ihre Eltern pflegen, wenn die Pflege unbezahlbar wird. „Wenn eine Krise zuschlägt, sind Frauen die Absorbiererinnen des ökonomischen Schocks – sie füllen die Lücke, wenn Dienstleistungen gekürzt werden, unter hohen persönlichen Kosten“, stellen die Studien-Autorinnen fest.Andersherum, argumentiert Oxfam, können öffentliche Investitionen die Geschlechterungleichheit verkleinern: Wo die Pflege von Angehörigen oder die Kinderbetreuung staatlich organisiert wird, müssen Frauen weniger unbezahlte Sorgearbeit leisten und haben mehr Zeit, bezahlt zu arbeiten. Ein Beispiel ist Rio de Janeiro: Dort hat die Förderung von Kitas zu einem Beschäftigungszuwachs von 27 Prozent der Mütter geführt.Wo der Strom fehltJenseits der Industrie- und Schwellenländer spielt die Bereitstellung öffentlicher Güter für die unbezahlte Arbeit eine zentrale Rolle: Wo Strom fehlt, muss per Hand gewaschen werden. In Subsahara-Afrika etwa, wo 65 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu Elektrizität und 37 Prozent keinen Zugang zu erschlossenen Wasserquellen haben, arbeiten Frauen durchschnittlich 14 Stunden am Tag – unbezahlt. Wenn in Simbabwe die Infrastruktur von Wasser staatlich organisiert würde, rechnet Oxfam vor, könnten Frauen vier Stunden am Tag weniger unbezahlt arbeiten: Das würde sie für den Arbeitsmarkt frei machen. Weltweit verbringen Frauen und Mädchen derzeit 125 Millionen Arbeitsstunden allein mit der Wassersuche.Die Autorinnen arbeiteten nun heraus, wie groß der wirtschaftliche Sektor der unbezahlten Arbeit weltweit eigentlich ist, „eine riesige versteckte Subvention“: In Ländern mit niedrigem Einkommen mache allein die unbezahlte Frauenarbeit im Gesundheitssektor drei Prozent des BIP aus. „Wenn sämtliche unbezahlte Sorgearbeit, die weltweit von Frauen verübt wird, von einem einzelnen Unternehmen organisiert würde, hätte es einen Jahresumsatz von zehn Billionen Dollar, das ist 43-mal so viel wie der von Apple.“Die Hilfsorganisation argumentiert nicht für eine freie Vermarktung von Sorgearbeit, sondern fordert die sozialstaatliche Bereitstellung – also staatliche Investitionen. Die würden sich jedoch rechnen. Eine Investition von zwei Prozent des BIP in die Gesundheits- und Pflegedienste generierten in Ländern mittleren Einkommens ein bis drei Prozent Beschäftigungszuwachs, zeigten Studien, in China etwa seien so 24 Millionen neue Jobs entstanden. Das seien 13 Prozent mehr Jobs als bei einer Investition der gleichen Summe in das Baugewerbe. In der Folge nehme der Staat über die vielen entstehenden Einkommen zudem mehr Steuern ein als bei ähnlichen Investitionen in andere Sektoren.Mit anderen Worten: Wenn entweder der Staat, wie Oxfam es fordert, oder private Dienstleistungsunternehmen die Sorgearbeit organisieren, entstehen Arbeitsplätze, die Frauen einnehmen können. Frauen verdienen dann eigenes Geld, der Staat hat potenziell mehr Einnahmen, und: Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern nimmt ab, denn auf dem Arbeitsmarkt sind Frauen ebenso frei wie Männer. Und – naturgemäß – genauso unfrei.Denn wenn Sorgearbeit nicht mehr privat-familiär, sondern staatlich organisiert wird, dann heißt das im Neoliberalismus natürlich auch: der Kosten- und Konkurrenzlogik unterworfen. In der Pflege ist derzeit zu beobachten, wie Arbeiterinnen unter widrigsten Arbeitsbedingungen schier keine Zeit dafür haben, sich angemessen um Pflegebedürftige zu kümmern. Andererseits sind ihre Arbeitsbedingungen aber nicht zwingend schlechter als die einer Frau, die sich zwischen Teilzeitarbeit, Kinderbetreuung und Haushalt auch noch um die kranke Mutter kümmern muss. Immerhin nimmt der Organisierungsgrad der Sorgearbeit mit ihrer Vergesellschaftung zu: Bessere Arbeitsbedingungen können kollektiv erkämpft werden.Es gälte also, den Staat so auszustatten, dass er in öffentliche Güter und Dienstleistungen überhaupt erst investieren kann. Oxfam fordert dafür einen Schuldenerlass sowie die Besteuerung von hohen Einkommen, Vermögen und von Unternehmen. Umverteilung halt. Wenn Frauen von unbezahlter Arbeit befreit werden, haben sie übrigens auch mehr Zeit, sich dafür politisch einzusetzen.
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