Dieser verdammte Corona-Abfuck

Omikron Das Coronavirus mutiert und umgeht die Impfung, wieder fällt Weihnachten ins Wasser. Und wir? Wir bleiben ohnmächtig zurück. Und wütend. Nun gilt es, diese Wut nicht aneinander auszulassen. Aber wohin damit?
Wieder einmal kämpft jede und jeder für sich allein mit der Hilflosigkeit
Wieder einmal kämpft jede und jeder für sich allein mit der Hilflosigkeit

Foto: Juan Mabromata/AFP via Getty Images

Platsch. Das ist das Geräusch eines positiven Corona-Tests: So hört es sich an, wenn wieder ein Weihnachten ins Wasser fällt. Platsch. Viele Menschen waten da gerade herum, in diesem Wasser. Wieder die Eltern nicht sehen. Oder die Großeltern. Wer weiß, wie viele Weihnachten uns überhaupt noch bleiben. Dann reißen wir uns zusammen, wir Nassen, trockenen die Füße und sagen uns: Gesundheit ist die Hauptsache. Hauptsache, die Infizierte übersteht die Krankheit. Hauptsache, er wird wieder gesund.

Was aber bleibt, ist diese Wut. Bei aller Vernunft. Diese Wut, die sich aufgestaut hat in diesem Becken da unten in unserem Bauch: Die Wut, dass in den letzten fast zwei Jahren zig Pläne umgeworfen werden mussten. Dass man die Liebsten in den letzten fast zwei Jahren so oft doch nicht sehen konnte. Dass man sich doch nicht umarmt hat. Dass man sich impfen lassen hat, erst einmal, dann zweimal, und dass man die Geimpften nun trotzdem wie die Fliegen umfallen sieht: Platsch, platsch, platsch. Sogar Geboosterte. Platsch.

Es ist schwer, auf ein Virus wütend zu sein. Scheiß Corona! Wie oft habe ich das schon geflucht? Verdammtes scheiß Corona! Das ist ungerichtete Wut. Hilflose Wut. Ohnmächtige Wut. Die beschissenste Wut von allen.

Gerne suchen wir nach Sündenböcken

Es fühlt sich so viel besser an, sie gegen jemanden zu richten. Diese verdammten Ungeimpften! Wären sie nicht so bescheuert, könnte ich an diesem Weihnachten meine Familie sehen. Diese verdammten Wissenschaftler! Erst sagen sie: Bei 70 Prozent Durchimpfung ist die Pandemie vorbei, und dann was? Platsch. Diese verdammte Regierung! Erst sagt sie: Auch Stoffmasken schützen, erst sagt sie: kein Lockdown mehr, erst sagt sie: Impfung schützt, erst sagt sie: zwei Impfungen geben volle Freiheit, und dann was? Platsch!

Diese Gesellschaft ist gut darin, Sündenböcke zu finden. Erst waren es „die Asiaten“ (chinesisches Virus), dann waren es „die Türken“ oder „die migrantische Community“ (Familienfeste) oder feiernde Jugendliche, dann waren es Christian Drosten oder Sucharit Bhakdi (wahlweise), dann war es Jens Spahn, dann war es Karl Lauterbach, dann waren es die Ungeimpften... Wo eine Krise ist, müssen Schuldige her. Alles besser als ohnmächtige Wut gegen eine Pandemie.

Dabei ist sie schuld! Die Pandemie. Gäbe es keine Pandemie, wir könnten alle tanzen und feiern und falsch liegen, so oft und wann immer wir wollten.

Wir müssen diesen Abfuck aushalten

Ambiguitätstoleranz, so nennt man das Vermögen, Widersprüchliches und Komplexes auszuhalten. Nicht zu verstehen, denn verstehen kann die echt jeder, sondern: auszuhalten. Ambiguität ist scheiße. Eine Pandemie, in der das Virus immer wieder mutiert und Impfungen umgeht, in der Wissenschaftlerinnen sich immer wieder korrigieren, die Forschung immer neu forschen, die Regierungen ihre Schutzmaßnahmen immer neu anpassen müssen, ist einfach scheiße. Dass einige meiner Bekannten und Freunde jetzt Corona haben, obwohl sie doppelt geimpft sind, ist scheiße. Dafür können die Ungeimpften nichts. Oder: nicht so viel, wie gerne getan wird. Es ist kompliziert. Das Virus ist verdammt hartnäckig. Wir können nichts anderes tun, als diesen Abfuck auszuhalten.

Die Alternative ist, sich Schuldige zu suchen, das macht die Wut dann einfacher, aber das macht Gesellschaft schwieriger, und das Einzige, was wir im Kampf gegen die Pandemie haben, ist Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die sich an Schuldigen abarbeitet, steckt zu wenig Energie in die Organisierung des Schutzes. Es wurde seit Jahren zu wenig Energie in die Organisierung des Schutzes dieser Gesellschaft gesteckt. Es ist Zeit, zusammenzukommen, und das zu ändern. Es passiert ja bereits: Endlich wird geboostert, endlich wird die kritische Infrastruktur gesehen und geschützt. Es muss viel mehr passieren. Die Gesundheit dieser Gesellschaft muss kollektiv organisiert werden.

Vielleicht hilft es ja gegen diese ohnmächtige Wut, mit anzupacken. Vielleicht erkundigen wir uns nach Gesundheitszentren in unseren Nachbarschaften. In meinem Kiez ist eines im Aufbau. Vielleicht gehe ich da mal hin und organisiere mit. Nach der Quarantäne. Nach dem Platsch. 2022 trocken wir uns die Füße und gehen los.

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

Elsa Koester

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