Hauptsache, eine linke Regierung verhindern. Zur Not auch mit dem Mob. Es wurde leise befürchtet, dass sich CDU und FDP im Thüringer Landtag so verhalten könnten, im Vorfeld, immer wieder: In Berichten über den Thüringer CDU-Fraktionsvize Michael Heym etwa, der klar machte, dass er eine wie auch immer geartete Kooperation mit der AfD einer indirekten Unterstützung der Linkspartei vorziehen würde. Schon vor der Landtagswahl äußerte der Jenaer Soziologe Klaus Dörre die Befürchtung, dass am Ende der worst case eintreten könnte: Dass in Thüringen ein Ministerpräsident mit den Stimmen von FDP und AfD gewählt wird. Er dachte damals noch an Mike Mohring, es war im September. Nun ist es Thomas Kemmerich von der FDP. Aber die Befürchtung hat sich bewahrheitet: Wenn CDU und FDP auch nur die kleinste Möglichkeit bekommen, eine linke Regierung zu verhindern, dann tun sie das.
Sie haben es nun getan, gegen alle demokratische Vernunft, mit einer Höcke-AfD, die in den vergangenen Tagen ein bürgerliches Bündnis beschwor. Bürgerlich nannte sie ihren Kandidaten, den Bürgermeister von Sundhausen, Christoph Kindervater. Bürgerlich würde die AfD zum ersten Mal im Öffentlich-rechtlichen Fernsehen nach der Sachsenwahl genannt, von der Moderatorin Wiebke Binder. Es gab einen Aufschrei, man befürchtete einen sich anbahnenden Dammbruch. Man hatte Recht.
Von Kindervater ist ein Brief bekannt, in dem er vom „Merkel-Regime“ spricht, von den „Regime-Medien“, und in dem er Honecker mit Hitler gleichsetzt. Ein No-Go für die CDU, das wusste auch die AfD. Er hat bei der Abstimmung Null Stimmen bekommen. Null. Das war ein geschickter Schachzug der AfD: Sie wusste, CDU und die FDP weigern sich, einen Kandidaten zu ernennen, um ihn mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten zu machen. Sie zerrten also selbst einen Kandidaten hervor – in der Hoffnung, dass sich die FDP, vor die Wahl zwischen Bodo Ramelow und einen extrem rechten Kandidaten gestellt, ermuntert sieht, doch einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Denn Neben Kindervater ist die Aufstellung von Kemmerich öffentlich gut begründbar, schließlich muss eine Alternative zur AfD her, eine „bürgerliche“.
Dieser Plan ist aufgegangen. Kemmerich ist zum Ministerpräsidenten gewählt geworden, mit 45 Stimmen. Das heißt, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Stimmen von CDU, FDP und AfD, die zusammen auf 48 Stimmen kommen. Die „bürgerlichen“ Parteien standen vor der Wahl: Entweder einem Ministerpräsidenten an die Regierung zu verhelfen, hinter dem ganze 31 Prozent der Bevölkerung stehen, wegen dem die Linke doch überhaupt stärkste Partei geworden ist, mit dessen Arbeit über 70 Prozent der Bevölkerung zufrieden sind, sogar 74 Prozent der CDU-Wählerinnen – und übrigens auch 70 Prozent der FDP-Klientel. Ein Mann mit großem Rückhalt in großen Teilen der Bevölkerung also, einer, der nicht als polarisierend gilt, sondern als vernünftiger Pragmatiker, dem vertraut wird, dass er eine sinnvolle Politik im Land betreibt. Der aber: bei der Linken ist. Oder einem Kemmerich, dem bei seiner Wahl schon alles aus dem Gesicht fällt, der auf eine Basis von ganzen fünf Abgeordneten im Landtag zurückgreifen kann, auf 5 Prozent der Wählerschaft, und der in Umfragen ... nun ja, man weiß nicht, was die Leute so von ihm halten, weil bisher niemand auf die Idee kam, sie danach zu fragen.
Die CDU hatte also die Wahl, ob sie eine vernünftige linke Regierung zulässt, mit einem lange und ruhig ausgearbeiteten Koalitionsvertrag, die noch dazu demokratisch auf die Stimmen der Union angewiesen wäre, also durch und durch transparent und kontrollierbar regieren würde – oder den Dammbruch wagt, und zusammen mit Holocaust-Relativierer Björn Höcke einen demokratisch mehr als schwach legitimierten FDP-Politiker an die Macht bringt. Mit einem Regierungsprogramm, das noch nicht vorliegt, das nicht in demokratischen Prozessen diskutiert und ausgearbeitet wurde, sondern – holterdiepolter – fix aufgeschrieben und zusammengezurrt werden muss. Das ist dann also demokratischer, vernünftiger, ja, was? „Bürgerlicher“ als eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung?
Mike Mohring behauptet nun, er sei nicht für die Stimmen der anderen Parteien verantwortlich, entscheidend sei nun, dass Kemmerich klar mache, dass es „keine Koalition mit der AfD gibt“. Er nutzt damit das kleine Fenster Sprachpolitik, das die AfD durch ihren Kindervater-Schachzug für die CDU vorbereitete: Die Logik, die CDU habe ja nur für einen bürgerlichen Kandidaten gestimmt. Diese Logik ist Bullshit. Jeder wusste, dass die AfD für Kemmerich stimmen würde. Nur um die Stimmen der anderen ging es doch bei dieser Abstimmung: Es ging um die Frage, wie die CDU sich verhält, gerade in dem Wissen, was die AfD tut. Dass sie aber tatsächlich mit der AfD stimmt, nur um eine linke Regierung zu verhindern, um jeden Preis – daran wollte bis heute niemand glauben. Nun sind alle eines Besseren belehrt.
Wenn CDU und FDP eine linke Regierung verhindern können, tun sie es also. Nicht aus inhaltlichen Gründen, nicht, weil sie das Regierungsprogramm ablehnen, denn, zur Erinnerung: 74 Prozent der CDU-Wählerinnen finden Ramelows Arbeit gut! Sie verhindern eine linke Regierung nur um der Macht willen. Aus reinem Lagerdenken heraus. Das ist undemokratisch. Es wurde viel und oft vorschnell beschworen, das Bündnis aus Mob und Elite. Nun droht es Realität zu werden. Der Dammbruch jedenfalls ist da.
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