„Das ist für viele eine Horrorvision“

Interview Wahlkampf heißt bislang: den Lebenslauf von Annalena Baerbock zerlegen. Ist das noch Kritik? Oder schon Frauenhass? Jagoda Marinić und Elsa Koester machen sich ehrlich
Ausgabe 28/2021
Frauen in der Politik (von links): Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Sawsan Chebli (SPD), Aminata Touré (Bündnis 90/Die Grünen)
Frauen in der Politik (von links): Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Sawsan Chebli (SPD), Aminata Touré (Bündnis 90/Die Grünen)

Collage: der Freitag; Material: Getty Images, Imago Images, iStock, Adobe Stock

Auf 28 Prozent kletterten die Umfragewerte der Grünen, nachdem Annalena Baerbock ihre Kandidatur für die Kanzlerinnenschaft verkündet hatte. Das war im April. Dann kamen Ungenauigkeiten in ihrem Lebenslauf ans Licht. Ein Plagiatsjäger fand in Baerbocks Buch Jetzt. Wie wir unser Land erneuern Stellen, die aus anderen Quellen übernommen, aber nicht mit Verweisen gekennzeichnet waren. Eine nicht beendete, aber von der Heinrich-Böll-Stiftung geförderte Promotion sorgte für Kritik. Jetzt liegen die Grünen bei unter 20 Prozent. Die Autorin Jagoda Marinić ärgert sich über die Angriffe – und spricht von Frauenhass.

der Freitag: Frau Marinić, Sie bejubelten Baerbocks Kandidatur nach ihrer Verkündung als emanzipatorisches Projekt. Sehen Sie das heute noch immer so?

Jagoda Marinić: Annalena Baerbock hat den Machtkampf gegen Robert Habeck gewonnen. Dann ist sie ans Mikro gegangen und hat gesagt: Ja, auch die Frage der Emanzipation spielt für ihre Kandidatur eine Rolle. Das war mutig und bahnbrechend!

Oder unklug, weil es ihr Können in den Schatten und ihr Geschlecht nach vorn stellte?

Wir Frauen sind oft bemüht, zu sagen: Aber nehmt mich bloß nicht deshalb, weil ich eine Frau bin! Damit haben die Grünen gebrochen. Ihre Aussage war: Das politische Ziel, Gleichstellung zu erlangen, spielt eine zentrale Rolle. Die ersten Umfragen haben gezeigt, dass große Teile der Bevölkerung dieses Signal richtig fanden.

Dann kam ans Licht, dass Baerbock bei ihrem Buch unsauber gearbeitet hat, ihre von der Heinrich-Böll-Stiftung geförderte Promotion nicht beendete ...

Es ist schon absurd, wie jede Kleinigkeit so hochgejazzt wird.

Baerbock räumte nun selbst Fehler ein. Ist Kritik an Verfehlungen von Politikern nicht legitim?

Ich nehme an, dass dieses Spiel ein Stück weit mit allen gespielt wird. Aber die Art und Weise, wie sich alle auf Baerbock stürzten, in welch kurzer Zeit, im Netz vorangetrieben von explizit frauenfeindlichen Stimmen – das macht insgesamt den Eindruck: Hier wird an jemandes Ansehen gebohrt für etwas, das weit über die konkrete Person hinausweist. Um herauszufinden, inwiefern die Angriffe auf Baerbock misogyn sind, müssen wir die Frage beantworten: Ist es für viele schon eine krasse Provokation, dass sich so eine junge Frau erstmals das mächtigste Amt zutraut?

Nach 16 Jahren unter einer Kanzlerin Angela Merkel mutet es schon komisch an, dass eine Frau als Kanzlerkandidatin so eine Provokation darstellen soll.

Wirklich? Merkel soll uns von der Frauenfeindlichkeit erlöst haben? Ohne Baerbock wären da nur drei Kandidaten gewesen, nach 16 Jahren Merkel. Die Grünen wollten etwas dagegensetzen. Die Empörung darüber mag an ihrer mangelnden Erfahrung im Regierungshandwerk liegen, oder an ihrer Jugend. Was mich stört, ist diese Erzählung: „Die Baerbock ist über ihren Ehrgeiz gestolpert.“ Als dürfe eine Frau nicht ehrgeizig sein!

Weil sie fürsorglich sein soll?

Genau. Baerbock müsste doch eigentlich gucken, ob es Robert Habeck gut geht auf dem Weg zum Kanzleramt – und ihm nicht noch Steine in den Weg legen! Wie kann sie ihn so unglücklich machen, wo er doch selbst sagt, wie gerne er dem Land gedient hätte? Da gibt es diesen schönen Begriff „himpathy“. Es fällt uns sehr viel leichter, Empathie für Männer zu empfinden, als für Frauen.

Hätte Habeck sein Hadern also lieber für sich behalten sollen?

Nein, es ist legitim, dass er sagte: Ich habe hier einen Verlust. Wenn wir die Rollenbilder öffnen, muss auch der Mann trauern dürfen, denn er wird Verluste haben. Aber mit der „himpathy“ kommt der Gedanke: Baerbock hätte doch noch so viel Zeit gehabt, warum ist die so ungeduldig? Sie hätte ja nach ihm dürfen, wenn die sich etabliert hätten … Es wäre ja so schön, wenn Habeck seinen Traum hätte erfüllen dürfen! Und die Frau, die kann doch eigentlich ohne die Kanzlerinnenschaft leben, für die ist das doch gar nicht vorgesehen. Für einen Mann hingegen stellt die fehlende Kandidatur ein Scheitern dar. Ganz ehrlich, als sie es verkündete, am Mikrofon, dachte auch ich: Boah, krass, die macht das echt?

Sie dachten, sie würde es nicht wagen.

Ja.

Ich auch. Wieso haben wir das bei Angela Merkel nicht gedacht?

Wir dürfen nicht vergessen, dass Merkel zunächst auch das kleine Mädchen von Helmut Kohl war. Völlig unterschätzt. Und als sie Kohl dann abgesägt hat, wurde sie als Eiskalte dargestellt. Wie Sawsan Chebli, die „es wagte“, mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller um den Berliner Wahlkreis zu konkurrieren. Das ist Vatermord!

Aus dem Mädchen wurde dann „Mutti“. Das kam 2008 von Michael Glos, ihrem CSU-Wirtschaftsminister. Interessant auch, dass Männer mächtige Frauen scheinbar in Bezug zu sich setzen müssen: Ihre Tochter, ihre Mutter. Ist „Mutti“ besser als „Kohls Mädchen“? Weil Mutti immerhin regieren darf?

Man verharmlost eine Kanzlerin mit diesem Wort, spricht ihr ein Stück der Macht ab, indem man sie zurück in die weibliche Fürsorgerolle presst. Es war ein Versuch, den Gesichtsverlust der Männer umzudrehen. „Die darf jetzt führen, weil die so fürsorglich ist.“

Ist die Mutti-Rolle denn so anders als die des sich ja auch sorgenden Landesvaters?

Ja, weil die Attribute, die man dem Vater zuschreibt, nicht machtaussschließend sind. Im Gegenteil: die väterliche Rolle ist, in die Welt rauszugehen. Deswegen fragt auch den Landesvater niemand: “Wer kümmert sich um deine Kinder?” Wer loszieht, darf in der Familie abwesend sein. Der Vater darf auch mal ein Machtwort sprechen.

Zur Person

Foto: Eventpress/IMAGO

Jagoda Marinić ist Autorin und Kulturmanagerin. In ihrem Podcast Freiheit Deluxe diskutierte sie jüngst mit der US-Autorin Siri Hustvedt über Macht. Ihr Buch Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land erschien 2019

Über Merkel sagt man, sie habe „verwaltet“. Bis 2015, da hieß es dann: „Mutti muss weg!“ Fühlten sich diese rechten Männer, die das skandierten, von ihrer „Mutti“ nicht gut umsorgt, weil sie „andere“ Söhne bevorzugte?

Für mich ging es da eher um Nationalismus: Das ist doch mein Staat, meine Steuern, ich habe den Pass, ich habe das Recht auf Fürsorge, und "die" nicht. Die Wut richtete sich nicht nur gegen Merkel, sondern etwa auch gegen den damaligen Innenminister Thomas de Maizière. Aber wo Sie Recht haben: Da schwingt so eine Art deutscher Infantilität mit. Der Staat muss für mich sorgen. Wie so eine kindliche Kränkung, schon wenn die Bahn zu spät kommt: Wie wird das jetzt für mich organisiert?

Diese Sorge funktioniert aber nicht ohne Macht, oder?

Das Spannende ist ja: Die hat sie! Wer Angela Merkel einmal live erlebt hat, sieht die Macht in ihrer Körpersprache. Von wegen: "Die weiß nicht, wohin mit ihren Händen, und hält sich an ihrer Raute fest." Ich habe sie bei einer Veranstaltung am Deutschen Theater erlebt: Wie perfekt sie die Körpersprache von Präsenz, Kontrolle und Machtgesten beherrschte! Sie ging den Bordstein hinunter, die Männer blieben auf dem Gehweg zurück. Sie stieg in ihre Limousine, sie saß schon drin, hielt den Kopf nochmal raus, und selbst von dort unten hatte sie diese Geste, nur mit dem Winkel, in dem sie den Kopf hielt: Ich sag hier, wo es lang geht. Es ist interessant: Man will einer Frau keine Macht zugestehen. Deshalb tut man erst so, als hätte sie gar keine Macht, sondern würde sich nur sorgen um die Bevölkerung. Und dann, nachdem sie offensichtlich Macht hat, tut man eben so, als wäre sie gar keine Frau...

Außer bei den Festspielen in Bayreuth, erinnern Sie sich? Dieses schöne Kleid mit dem tiefen Ausschnitt? Dieses Dekolleté?

Irre, was dieses Foto für Wellen geschlagen hat.

Die hatte plötzlich Brüste! Die Kanzlerin! Was für ein Skandal.

Und da sind wir bei Annalena Baerbock und ihrem „Wagnis“, weil sie vom Kleidungsstil, vom Auftreten her klar weibliche Attribute zeigt. Sie wagt es, Frau zu bleiben, obwohl sie Macht beansprucht.

Tun das andere nicht? Franziska Giffey, immerhin Spitzenkandidatin der SPD in Berlin?

Immer Hosenanzüge! Und Annegret Kramp-Karrenbauer wurde für den kurzen Rock bei der Amtseinführung als Verteidigungsministerin heftig kritisiert.

Und Manuela Schwesig, die "Barbie-Puppe" genannt wurde...

...weil sie harmonische Gesichtszüge hat und blondes Haar, das war schon zu weiblich für das Amt der Ministerpräsidentin.

Ich bin noch nicht überzeugt, dass es hier nur um Weiblichkeit geht. Fragen wir mal so herum: Wenn Merkel die Mutti war, was ist Baerbock? Das Mädchen?

Baerbock verkörpert für mich nicht das Mädchen, sondern die Figur der „aggressiven Powerfrau“. Dieser Begriff ist auch für viele Frauen und Feministinnen ein Affront: Er teilt „normale“ Frauen von Frauen, die etwas schaffen. Doch auch die Männer nehmen diese Unterteilung vor, wenn sie „Alphatiere“ sagen.

„Normale“ Frauen können keine Kanzlerin sein, "Alpha-Frauen" schon?

Viele Frauen sagen sich: Ich hätte mir, wenn ich ehrlich bin, so eine Führungsrolle nicht zugetraut. Manche sagen auch: „nicht gewollt“. Also gibt es wohl irgendwas Alphatier-Mäßiges in Baerbock, das sie dazu bringt, sich das in dieser Situation mit diesem Mangel an Erfahrung zuzutrauen.

„Alpha“ kennt man, wie Sie sagten, eigentlich in Verbindung mit „Mann“. Ist es feministisch, sich diese Eigenschaft anzueignen?

Manche sehen es so, dass der Fortschritt darin besteht, dass Frauen ohne Ächtung öffentlich alle menschlichen Eigenschaften ausleben dürfen, auch die harten. Andere Feministinnen sagen: Habeck ist doch der eigentliche Fortschritt, er bringt das Weichere in die Politik! Dabei wollen wir Frauen die alten Werte der Männerwelt doch loswerden, wir wollen anders, besser, weicher sein.

Und das hieße: Wir wollen keinen Lebenslauf aufhübschen, wir wollen keine Bücher schnell-schnell schreiben, nur um Erfolg zu haben. Ich muss zugeben: Mich haben diese Geschichten um Baerbock daher auch etwas enttäuscht.

Weil man perfekt sein muss, um Fortschritt zu ermöglichen? Baerbock war als Person doch schon immer konservativer und konventioneller als Habeck. Auch deshalb hatte sie nach der Bekanntabe gleich so eine breite Zustimmung.

Konservativ für wen? Bei Rechten gelten doch alle Grünen als weltfremde Akademiker, die Konflikte mit Stuhlkreisen lösen wollen.

Aber Baerbock wählt explizit einen Sprachduktus, der nicht akademisch daherkommt. Sie versucht, sehr kurz zu sprechen, einfache Botschaften zu senden. Sie sucht immer eine Bürgernähe ...

Ja, sie sucht sie, das sagt doch schon alles. Baerbock ist Akademikerin, das wird sie nicht los.

Ich glaube, der Affront liegt woanders: Dass Annalena Baerbock dort steht, ist das Ergebnis einer Geschichte einer Partei, die mit Frauen auf eine Art umgeht, wie es Konservativen zuwider ist. Für die CDU ist es immer noch okay, wenn sie 80 Prozent Männer in Spitzengremien haben. Die Grünen sagen: Nein, es muss halb-halb sein, ihr habt da jetzt keine Wahl. Diese Vorschriften bedeutet, dass dieses Ziel erlangt wird, automatisch. Der Hass, den Baerbock abbekommt, hat auch damit zu tun: Hinter ihr steht eine Armee von Frauen, die Gleichstellung über Jahrzehnte in Deutschland durchgesetzt haben, parteiintern, aber auch etwa in Verwaltungen.

Wieso hat Merkel diesen Hass so viel weniger abbekommen?

Sie wurde Kanzlerin mit Unterstützung einer männerdominierten Partei, das war kein gesamtgesellschaftlich-feministisches Projekt, das war: Eine Frau hebt die Hand, und Männer sagen, okay, die darf das machen. Aber bei den Grünen heißt es: Nein, wenn eine Frau will, dann macht sie es zuerst! Auch dann, wenn eigentlich ein Mann will. Und so eine Partei bekommt fast 30 Prozent? Wird das jetzt Zukunftsmodell? Dass alle Männer so frustriert dasitzen wie Habeck? Oder Baerbocks Mann, der sich jetzt um die Kinder kümmert? Eine Horrorvision für viele. Die wollen das um jeden Preis verhindern, und das geht gerade am besten über Angriffe auf Baerbock.

Das ist wohl der größte Unterschied zu Merkel: Sie wollte das Bestehende verwalten, Baerbock will Veränderung – in eine Zukunft, die viele Männer ängstigt.

Nicht nur Männer! Es gibt viele Frauen, die ein Lebensmodell mit Ehegattensplitting gewählt haben. Die berufliche Identität ist kein großer Teil ihres Lebens. Wenn nun Baerbock sagt, dieser Beruf ist ihr so viel wert, dass sie ihre Kinder zu Hause lässt, stellt das deren Lebensentscheidung infrage und macht sie zu einer Kategorie von Frau, die sie rückständig wirken lässt. Baerbock hat nicht nur Männer als Feinde, sondern auch jene Frauen, die meinen: Du löschst die Mutterschaft als Zentrum des Lebens aus, über die ich mich definiere! Die Feministin Bascha Mika nennt das „Komplizenschaft mit dem männlichen System“.

Diese konservativen Frauen und Männer haben doch recht: Ihr Lebensmodell wird von den Grünen infrage gestellt. Die Angriffe auf Baerbock sind also nicht nur frauenfeindlich motiviert, sondern Teil eines ganz ernsthaften politischen Kampfes: Welche Geschlechterrollen wollen wir? Ein Habeck würde womöglich ganz ähnlich fertiggemacht werden.

Nur hätte Habeck das Glück gehabt, dass er damals, als er auf die politische Bühne kam, schon mit vielen Angriffen umgehen musste.

Die Angriffe hätten sich intensiviert. Habeck bricht die Geschlechterrollen auf, weil er weich ist. Sein PR-Bild mit den Pferden auf Instagram: Da sprach er von Magie! Das machen doch nur Mädchen.

Nein, es gibt da trotzdem einen Unterschied zu Annalena Baerbock. Da ist dieses seltsame Urvertrauen, das wir alle entwickelt haben: Der Mann macht das schon. Wenn man nach der Wahl von Trump die Frauen in den USA fragte: „Warum habt ihr euch für Trump entschieden?“ Dann sagten viele: „Weißt du, ich bin doch selbst eine Frau und weiß, wie emotional ich bin. Und ich denke nicht, dass es gut ist, wenn eine Frau ... Lass doch mal ihr Kind krank werden, ich weiß, dann bin ich total aufgelöst, und sie soll dann morgen einen großen Gipfel leiten? Ich will das dieser Frau nicht zumuten.“ Auch bei den Grünen-Unterstützerinnen gibt es diese tiefe Verunsicherung, ob jahrhundertealte Geschlechterbilder echt verändert werden können. Ob wir uns da nicht etwas einreden, was einfach nicht funktioniert.

Dabei sind „unsere“ Geschlechterrollen nicht jahrhundertealt – sie waren immer umkämpft.

Uns fehlen aktuell aber die Bilder im kollektiven Gedächtnis: Wie etwa Frauen in den 1920er Jahren um die Welt flogen, Intellektuelle und Künstlerinnen machten Pilotenscheine. Da gab es eine krasse Eroberungsdynamik der „männlichen Sphären“, vor 100 Jahren. Die haben wir im Westen nach dem Krieg komplett ausgelöscht. Danach blieb nur die sorgende Mama, auf diese Rolle wurden alle Systeme ausgerichtet: Steuern, Schulen, Arbeitsmodelle.

Und wir denken: So progressiv wie jetzt waren wir Frauen noch nie. Und uns wird mulmig dabei.

Und das erklärt auch, warum selbst bei solch banalen Angriffen wie jetzt auf Baerbocks Sachbuch die Empörung so hochschnellt. Warum hält man sich angesichts der Fehlhandlungen anderer Politiker so daran fest? Weil man fast dankbar ist, sich wegen diesem Vorfall keine Gedanken mehr machen zu müssen, ob dieser radikale Geschlechterwandel geht. Man kann es abhaken: Gut, wir haben es probiert, sie hat es sich selbst vermasselt, dann können wir wieder zum Laschet, der kann zwar auch nix, aber da wissen wir, wie das Nichts-Können funktioniert. Läuft ja seit Jahrzehnten so, wird schon.

Och, kann das nicht doch einfach der Habeck in die Hand nehmen: Diesen Reflex kenne ich. Aber es geht ja auch um ein gigantisches Zukunftsprojekt. Es geht nicht darum, das Ruder für ein paar Stunden zu halten. Was Baerbock schaffen muss, ist, das Ruder herumzureißen! Sie wäre für einen umfassenden Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft verantwortlich. Dass man da ein bisschen eingeschüchtert ist, ist doch nachvollziehbar?

Womöglich war das ein Fehler der Grünen: die Ansprüche zu groß zu machen. Die grüne Utopie ist eine Utopie, die grüne Politik aber wird auf konservative, beharrende Kräfte treffen. Und heraus kommt dann eine konservativ-grüne Politik wie in Baden-Württemberg. Ich glaube, dass die Chance wegen der rechten Kräfte global nicht so groß ist, dass sie die Gesellschaft so tiefgreifend umbauen könnten.

Jetzt reden Sie den Wandel klein, vorhin hieß es noch: Allein Baerbocks Kanzlerinnenschaft ist so revolutionär, dass sie selbst uns Angst einjagt.

Ja, den Wandel zu beanspruchen, ist revolutionär – und dafür solche Umfragewerte zu erhalten! Aber schaffen es die Grünen, den Wandel mit Hoffnung zu verbinden? Oder wird die Angst zu groß, der Wandel gestoppt, und an die Stelle der Zukunftsfreude tritt der Frust: Okay, es wird nie einen Wandel geben. Dann rutschen wir ins Reaktionäre. Dann wird die Welt von gestern wiederhergestellt.

Die von Armin Laschet, Friedrich Merz und Hans-Georg Maaßen?

Die Zeit mit Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin ist für uns eine krasse Schule: Wie ernst meinen Deutsche es wirklich mit Feminismus? Mit dem Wandel? Wenn wir es nicht ernst genug meinen, werden Jüngere als wir kommen, mit einer schonungsloseren Energie, das sieht man schon bei Klimafragen: Das Gestern reicht nicht.

Wie ernst meinen Sie es also noch mit Baerbocks Kandidatur als emanzipatorischem Projekt?

Vielleicht haben ihre Verfehlungen gezeigt, dass sie nicht so anders ist, wie viele gehofft haben. Aber sie ist nicht allein, sie steht für eine Partei, die es mit der Gleichstellung ernst meint – anders als damals Merkel. Ich sage also: Sie ist immer noch anders genug.

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