Still und heimlich wollte die SPD ihren Konflikt über den Abtreibungsparagrafen 219a mit der Union ausdiskutieren. Das muss man sich mal vorstellen: mit Jens Spahn! Wollten sich Sozialdemokraten über Abtreibungsrechte von Frauen einigen! Die Jusos halten dieses Verfahren auch für keine so gute Idee. Und haben beim Sonderparteitag am Sonntag tatsächlich geschafft, was sie angekündigt hatten: die regierende SPD-Bundestagsfraktion unter Druck zu setzen. Bis Herbst wird Justizministerin Katarina Barley Zeit gegeben, sich mit dem Gesundheitsminister zu einigen. Sonst gibt es einen Gruppenantrag im Bundestag – also: Demokratie! Wer hätte das gedacht. Der Druck wirkt auch sofort: Barley fordert öffentlich die Änderung des Paragrafen, Spahn hält dagegen, die Debatte ist eröffnet.
Nicht vergessen werden darf natürlich, dass 219a längst auf dem Müllhaufen patriarchaler Geschichte liegen würde, hätte die SPD nicht den Schwanz eingezogen. Seit einem halben Jahr gibt es im Bundestag eine Mehrheit für Änderung der gesetzlichen Bestimmung, die die Information über Schwangerschaftsabbrüche durch Ärztinnen als „Werbung“ verunglimpft und unter Strafe stellt. Seit sechs Monaten! Die FDP will Rechtssicherheit für Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, die LINKE und die Grünen und die SPD wollen sie auch. Der SPD-Antrag zur Abschaffung von 219a war sogar schon geschrieben. Dann aber fiel der sozialdemokratischen Fraktion ein, dass sie ja bald GroKo ist. Sie zog zurück – um mit Jens Spahn, erste Reihe der konservativen Revolution, über körperliche Selbstbestimmung von Schwangeren zu sprechen.
Die SPD erliegt einem Irrtum: Sie ist noch immer der Meinung, eine Koalition mit der CDU sei eine Regierung der Mitte. Und die Stabilisierung dieser Regierung sei das Gebot der Stunde. Das ist sie aber nicht. Das Gebot der Stunde ist die Verteidigung linker und liberaler Errungenschaften gegen den konservativen Angriff. Die Union greift an, wenn sie ein Heimatministerium etabliert. Sie greift an, wenn sie den Familiennachzug minimieren will. Sie greift an, wenn sie Law and Order fordert. Ein rechter Angriff ist es auch, der 219a überhaupt wieder relevant werden lässt: Antifeministen suchen aktiv nach Ärzten, die darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, und zeigen sie an.
Das alles ist Teil einer konservativen Offensive. Die Linke kann darauf nicht mit der Suche nach Kompromissen antworten. Sie muss dagegen halten, indem sie soziale und feministische Errungenschaften nicht nur verteidigt – sondern ausbaut! Auch die SPD muss angreifen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Antrag zur Abschaffung von Paragraf 218 – dem Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen? Selbst wenn die SPD mit dieser Legalisierung der körperlichen Selbstbestimmung von Frauen nicht durch käme – könnte man sich immer noch auf die Abschaffung von 219a einigen. Zur Güte.
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