Die Fridays for Future finden ihren Gegner

Grüne Wirtschaft Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft will den Klimarettern Tipps geben. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr
Ausgabe 30/2019
Der Planet heizt sich auf, aber die Metall-Lobby sorgt sich um andere Schmelzpunkte
Der Planet heizt sich auf, aber die Metall-Lobby sorgt sich um andere Schmelzpunkte

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Der Kampf geht in die nächste Runde: Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) hat ihre Kampagne zur Klimapolitik gestartet. Kennt man schon aus Zeiten von Agenda 2010 und Riester-Rente: Die Lobbyorganisation der Arbeitgeberverbände der Metallindustrie präsentiert ihre „Fakten“ zu einem wirtschaftlich relevanten, sozial umkämpften Thema – und fortan sind ihre Argumente in den Medien präsent. Über Monate. Denn wenn die INSM loslegt, dann mit der Ausdauer eines Millionen-Jahresetats, besten Verbindungen und dem Rückenwind von vielen, vielen Arbeitsplätzen.

Unter dem Titel "Fortschritt, Wachstum und Klimaschutz gehören zusammen" erfährt man nun, in 12 "Fakten" gegliedert, wie sich die INSM Klimaschutz vorstellt (beziehungsweise nicht vorstellt) – gegen welche Argumente die Fridays for Future also in Zukunft kämpfen müssen. Der Tenor: Der Emissionshandel ist die Lösung (funktioniert schon total gut), Klimaabgaben sind schon hoch genug (heißt: bloß keine CO₂-Steuer!), die Industrie ist voller Innovationen und senkt den CO₂-Ausstoß bereits, und dann kommt natürlich die Standort-Keule. Das Hauptproblem ist inzwischen ja eh nicht mehr Deutschland, sondern die Industrie in China und den USA. Heißt: Wenn die deutsche Klimaschutzpolitik zu rigide wird, aber andere Länder nicht die gleichen Maßnahmen treffen, wandert die Produktion halt ins Ausland ab – für den Planeten ändert sich nix, der deutschen Wirtschaft aber gehen viele, viele Arbeitsplätze verloren ("Industrieplätze sind in Deutschland unverzichtbar"). Tenor: Ja, Klimaschutz ist voll wichtig, aber Hände weg von der Industrie! Der Markt macht's.

Es ist nur eine kleine Veröffentlichung, aber die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. Wissenschaftler kritisieren einige der als „Fakt“ gesetzten Daten, das von der INSM vorausgesetzte 2-Grad-Ziel etwa wurde längst vom 1,5-Grad-Ziel abgelöst. Andere regen sich darüber auf, dass die Metall-Lobby nun implizit die Klimabewegung angreift, indem sie ihre eigene Perspektive auf wirksame Klimapolitik durchzusetzen versucht. Aber hey: Selbstverständlich tut sie das! Das muss sie. Denn der Klimadiskurs ist hegemonial geworden. Und die Industrie ist nach der Energiewirtschaft mit 22,7 Prozent die zweitgrößte CO₂-Emittentin. Dicht gefolgt vom Verkehr mit 20,8 Prozent. Und wenn dieser nicht fossil getrieben weiterbrummen darf, auch dann weint die Autoindustrie.

Die Player organisieren sich neu: War über hundert Jahre der Antagonismus von Kapital und Arbeit die Kernachse, um die sich Gewerkschaften und Unternehmer aufstellten, verschieben sich die Grabenkämpfe nun auf das Feld der Klimapolitik. Denn der Industriekapitalismus stützt sich seit jeher auf zwei Säulen: auf die Ausbeutung der Arbeiterinnen – und die Ausbeutung der Natur. Arbeit und Kohle. Wenn sich die sozialen Kämpfe stärker auf diese zweite Ausbeutungsform konzentrieren, wie formieren sich also die Antagonisten neu?

Das Metallindustrie-Kapital kommt mit alten Argumenten: Wirtschaft, Arbeitsplätze, Standortkonkurrenz. Der Markt wird alles regeln, auch das mit dem CO2-Ausstoß. Aber wen hat dieses Kapital zur politischen Gegnerin? Die Fridays for Future wollen keine konkrete Politik formulieren; die Grünen schlüpfen in die Rolle der regulierenden Sozialdemokraten. Die Linkspartei? Immerhin hat die im Sommer ebenfalls ein neues Kampagnenpapier veröffentlicht: „Das Klima, nicht den Kapitalismus retten“. Ihr Fakt: „100 Konzerne sind für 71 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich.“ Als Lösung präsentiert sie Enteignung und Vergesellschaftung. Nur, selbst wenn diese 100 Konzerne in öffentliche Hand kommen, sind sie immer noch für 71 Prozent der Emissionen verantwortlich. Denn die CO₂-neutrale Wirtschaftsweise, in die sie – demokratisch kontrolliert! – umorganisiert werden müssten, die gibt es noch gar nicht. Was dann? So richtig hat darauf auch die Linke keine Antwort.

Das hat die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft erst recht nicht. Aber sie hat sehr gute Campaigner, um das Finden einer Antwort hinauszuzögern. Sich Zeit zu erkaufen. Und Zeit ist derzeit die wohl größte Gegnerin der Klimabewegung.

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