Andere Parteien gestalten Gesellschaft. Die Linke gestaltet interne Machtkämpfe

Meinung Sexismus, Mobbing und Druck auf Journalist*innen: Die Linkspartei ist politisch gescheitert – aber statt sich neu aufzustellen, verlieren sich die Genoss*innen noch mehr in traurigen Machtspielchen
Ausgabe 18/2022
Wahlplakatreste der Linken
Wahlplakatreste der Linken

Foto: Imago/BildFunkMV

Ein Linke-Mitglied ruft mich an. Er ist nicht der erste. Seit meinem Interview mit der Linke-Politikerin Julia Schramm, die scharfe Kritik an der Aufarbeitung von Sexismus in der Partei übte, schrieben mir so einige „Genossen“: Meine feministische Kritik an „Janine“ sei „extrem lost“; „sauberer Journalismus“ sehe anders aus. Doch dieser Mitarbeiter will ausnahmsweise mal nicht über die Bundesvorsitzende Janine Wissler reden, nicht über Sexismus in der Partei, nicht über meine Kritik an Wisslers Umgang mit den Sexismus-Vorwürfen. Mit diesen Debatten beschäftige er sich kaum. Er ist Mitarbeiter von Katja Kipping, Sozialsenatorin von Berlin: „Wir machen jetzt Regierungspolitik!“ Darüber will er sich austauschen.

Katja Kipping ist beschäftigt. Damit, die 58.000 „Neuberliner“, die in den vergangenen Wochen aus der Ukraine gekommen sind, gut unterzubringen. Damit, ein kommunales Wahlrecht für alle Berliner:innen durchzusetzen, die hier leben, unabhängig vom Aufenthaltstitel. Damit, das Recht auf einen Feiertag durchzusetzen, wenn dieser zufällig auf einen Sonntag fällt – und so Umverteilung von Lohnarbeitszeit zu Familienzeit zu organisieren. Sie ist einfach damit beschäftigt, die Berliner Gesellschaft von links zu gestalten.

Im Bund aber dümpelt die Linke mit einem Wahlergebnis von 4,9 Prozent in der Opposition herum. Die zurückgetretene Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow musste sich und ihren Wähler:innen ihr Scheitern eingestehen: Sie hat es nicht geschafft, die Linke in eine gestaltende Position zu bringen. Zu gestalten gäbe es indes einiges: Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang fordert eine Steuer für Unternehmen, die vom Ukraine-Krieg profitieren – ein sinnvoller Vorschlag, den die Linke unterstützen könnte. Die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) fordert für den Fall von Ausfällen der Infrastruktur durch russische Angriffe, genug Vorräte anzulegen: Wasser, Brot, Fleisch. Die ehemalige Jobcenter-Arbeiterin Inge Hannemann macht darauf aufmerksam, dass sehr viele Menschen sich solch eine Vorsorge nicht leisten können. Die Lebensmittel- und Energiepreise sind auf einem Höchststand und steigen weiter. Die Linke: verfasst Pressemitteilungen.

Druck auf Journalisten

Doch in der Bundeslinken wird nicht darum gekämpft, eine Position zu erlangen, um ihre Politik durchzusetzen – durch Druck auf Grüne oder SPD etwa, oder durch den Aufbau sozialen Protests. Sicher, auch in der Berliner Linken, auch bei den Grünen oder in der SPD gibt es interne Machtkämpfe. Doch in der Linksfraktion gibt es offenbar nichts anderes mehr: Sie gestaltet nicht Gesellschaft, sondern ihre internen Positionen. Das Umfeld des Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch regt sich darüber auf, dass Hennig-Wellsow mit ihm kein Bündnis eingegangen sei. Im Umfeld von Sahra Wagenknecht redet man erst gar nicht mit Abgeordneten, die keinem Machtbündnis angehören. Und in einer Messenger-Gruppe treffen sich Linke, die sich über all das aufregen. Es ginge um bloße Macht, hört man hier: Um die Macht einzelner Abgeordneter und ihrer Bündnisse.

Es herrscht Krieg in der Ukraine. Es herrscht durch die Inflation eine ernste Bedrohung für die Ärmsten auch in Deutschland, deren Tragweite noch nicht auszumachen ist. Und die Linke? Ruft bei Journalistinnen an, um die Online-Löschung einzelner Sätze aus einem Wissler-kritischen Interview einer linken Wochenzeitung zu verlangen. Bei 4,9 Prozent Gestaltungsmacht. Was ist das? Traurig? Tragisch? Ekelhaft? Lächerlich? Ich nenne es Scheitern.

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