Die Bundesregierung hat nicht nur Südeuropa in die Austerität gezwungen. Die Folgen von Sparpolitik für Frauen in Deutschland untersuchte für die Rosa-Luxemburg-Stiftung Alex Wischnewski.
der Freitag: Frau Wischnewski, gab es in Deutschland überhaupt Austeritätspolitik?
Alex Wischnewski: Nicht als Schocktherapie wie in Südeuropa oder Irland, nein.
Sondern?
Die neoliberale Umstrukturierung von Infrastruktur und Arbeitsmarkt fand hier als längerfristige Entwicklung statt. Durch Hartz IV und die Ausweitung des Niedriglohnsektors hatte Deutschland schon vor 2009 eine zurückhaltende Lohnentwicklung. Das hat die Binnennachfrage und die Importe klein gehalten. Aber die Wettbewerbsfähigkeit im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten mit höheren Löhnen stieg.
Und Deutschland wurde Krisengewinner.
Deutschland steigerte seinen Export – und konnte ihn auch über die Krise halten. Der Gewinn ging aber auf Kosten anderer: Die unteren Klassen verloren massiv durch diese Politik. In Deutschland, und in Europa: Durch den deutschen Leistungsbilanzüberschuss waren die südeuropäischen Staaten ja überhaupt erst in dieser Haushaltskrise. Im Umkehrschluss kann die ihnen aufgezwängte Kürzungspolitik aber nur wirken, wenn Deutschland jetzt die Nachfragerolle übernommen hätte. Das ist aber nicht der Fall. Verliererinnen der deutschen Krisenpolitik waren überall in Europa: Frauen.
Auch in Deutschland? Betrifft neoliberale Arbeitsmarktpolitik nicht beide Geschlechter gleichermaßen?
Doch, auch Männer sind insbesondere von der Liberalisierung der Leiharbeit stark betroffen. Aber die Ausweitung der atypischen Beschäftigung – befristete Arbeit, Minijobs – betrifft hauptsächlich Frauen. 27 Prozent der Frauen arbeiten für niedrige Löhne, aber nur 16 Prozent der Männer. Das liegt auch daran, dass nur ein Drittel der Vollzeitstellen weiblich besetzt sind, und 80 Prozent der Teilzeitstellen.
Zur Person
Alex Wischnewski ist seit 2014 im feministischen Netzwerk „Care Revolution“ aktiv, das sich mit Pflege, Gesundheit, Hausarbeit und Erziehung beschäftigt. Sie ist Mitbegründerin der Plattform #keinemehr gegen Femizide und arbeitet als Referentin für feministische Politik für die Linksfraktion im Bundestag
Wieso ist der Gender Pay Gap in Deutschland so viel höher als der EU-Durchschnitt von 16 Prozent?
Vorsicht: Der Gender Pay Gap ist für sich alleine kein guter Indikator für einen Vergleich der Geschlechterungleichheit. Er sagt beispielsweise nichts über ökonomische Selbstständigkeit aus, weder von Männern noch von Frauen. Ist er niedrig, kann das daran liegen, dass das allgemeine Lohnniveau niedriger ist. Die Lohnlücke vergrößert sich auch dadurch, dass insgesamt mehr Frauen – inzwischen sind es in Deutschland 75 Prozent – arbeiten. Er ist aber ein wichtiger Indikator für die innerdeutsche Ungerechtigkeit.
In Spanien, Kroatien und Irland hat die Wirtschaftskrise zunächst männlich dominierte Wirtschaftssektoren getroffen. Gilt das auch für Deutschland?
Tatsächlich wurde die Automobilindustrie durch die Wirtschaftskrise getroffen, doch die Bundesregierung hat 2008 sehr schnell mit Konjunkturprogrammen reagiert und sprang mit Abwrackprämie und Kurzarbeitergeld ein.
Ein super Krisenmanagement also?
Aus männlicher Perspektive vielleicht. Die Politologin Birgit Sauer macht darauf aufmerksam, dass die Konjunkturprogramme vor allem auf männlich dominierte Wirtschaftssektoren abzielten, die als systemrelevant erachtet wurden – anders als etwa der weiblich geprägte Dienstleistungssektor oder die öffentliche Infrastruktur.
Die mit der Schuldenbremse kaputtgespart wird?
Auch diese Kürzungen folgen in Deutschland einer bereits lange anhaltenden Entwicklung, aber die Haushaltsdisziplin wurde über die Schuldenbremse auf die Spitze getrieben. Sie setzt Länder und Kommunen unter einen zusätzlichen Spardruck. Die schwarze Null wurde 2014 erreicht. Die Folgen sind leere öffentliche Kassen und Investitionsstau. Das Diktat der schwarzen Null führt dazu, dass Schwimmbäder und Bibliotheken geschlossen werden.
Inwiefern tragen Frauen die Lasten von Kürzungen in der öffentlichen Infrastruktur besonders?
Öffentliche Krankenhäuser werden privatisiert, mit den bekannten Folgen für Arbeitsbedingungen und Versorgungsqualität. Und hiervon sind Frauen doppelt betroffen. Als Beschäftigte – 85 Prozent der Pflegebeschäftigten sind Frauen – leiden sie unter prekären Arbeitsverhältnissen und dem Rationalisierungsdruck. Und als Familienmanagerinnen müssen sie die fehlenden Dienstleistungen privat auffangen.
Die „Care-Krise“ wird in allen Länderberichten thematisiert.
Natürlich, weil die in Deutschland entwickelten Rezepte zur wirtschaftlichen Rationalisierung von Pflege, Gesundheit und Bildung in der Krise als Erfolgsmodell exportiert wurden. Und überall müssen Frauen die Krise in der Sorgearbeit auffangen, ob als Überstunden und Arbeitsverdichtung in der Lohnarbeit oder unbezahlt nach der Lohnarbeit.
Kitas sollen aber doch ausgebaut werden.
Ja, es gibt diesen Ausbau mit dem erklärten Ziel, die Frauenerwerbstätigkeit zu erhöhen, aber die Kosten dafür können nicht alle tragen. Zudem fehlt es an neuen Arbeitszeitmodellen, die eine tatsächliche Vereinbarkeit von privater Sorgearbeit und Lohnarbeit ermöglichen würden. Jede zweite Frau erklärt ihre Teilzeitarbeit mit familiären Verpflichtungen.
Erstarkt deshalb der rechte Antifeminismus in Europa – als Antwort auf diese Doppelbelastung?
Das haben wir uns in den Studien auch gefragt, aber ein eindeutiges Ergebnis ist schwierig. Zeitlich gibt es eine Überlagerung. Und es waren vor allem konservativ-rechte Parteien, die durch die Krise stark wurden. Durch den Rückgriff auf traditionelle Familienbilder können sie eine einfache Antwort auf die neoliberale Individualisierung und soziale Verunsicherung geben.
Eine linke Antwort auf die Krise in der Sorgearbeit wäre die Investition in Pflege, in Kitas und in Freizeitangebote – in die öffentliche Daseinsvorsorge.
Das ist richtig. Aber hinter dem Wunsch nach traditioneller Familie steckt mehr. Wir sehen doch, dass die Eingliederung der Frauen in den Arbeitsmarkt nicht die Versprechen eingelöst hat, die die Frauenbewegung und Gewerkschaften in den 1970er und ’80er Jahren damit verbunden haben. Das müssen wir ernst nehmen.
Sie meinen das Versprechen der Befreiung durch Lohnarbeit?
Ich meine, dass es einen Grund gibt, warum sich viele Menschen nach alten Formen der Familie zurücksehnen. Sie verbinden damit einen Ort der Solidarität, im Gegensatz zur Arbeitswelt, die von Konkurrenz und Existenzangst geprägt ist. Selbst wenn es diesen Ort so nie gegeben hat. Es gibt eine Sehnsucht nach Kümmern.
In der Rechten gibt es einen Impuls des Kümmerns?
Ja, aber hinter den von rechts propagierten Geschlechterbildern steckt ja mehr als die Organisation von Familie und Sorgearbeit. „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken“, forderte Björn Höcke 2015. Die Forderung nach der Souveränität über die Frau wird dann mit dem Wunsch über die Souveränität über das Land verbunden. Für viele ist Antifeminismus der Einstieg in rechtes Denken. Das hat mit der Familie erst einmal nichts zu tun.
Gibt es hier einen Zusammenhang zur erstarkenden Kritik an Abtreibungen? Geht das nicht zusammen mit einer Sehnsucht, Kinder und Familie gegen die Individualisierung durch weibliche Lohnarbeit auszuspielen?
Man kann das vermuten – auch wenn der Zusammenhang sicher nicht so kausal ist. Vertreter einer traditionellen Rollenverteilung der Geschlechter und Abtreibungsgegner gab es ja schon immer, vor der AfD tummelten sie sich in der CDU. Jetzt bekommen sie im allgemeinen gesellschaftlichen Klima Aufwind. Warum genau, konnten wir in den Studien nicht klären.
Hätte man für diese Klärung womöglich mit Rechten reden müssen?
Das glaube ich nicht. Es ist nicht zu erwarten, dass Rechte da offen argumentieren, sonst müssten sie selbst an den Arbeitsverhältnissen ansetzen und nicht an den Abtreibungsgesetzen. Aber es stimmt, dass noch mehr Wissen über die Aktivitäten der „Lebensschutzbewegung“ benötigt wird. Und eine eigene linke Debatte drum, wie das Leben mit Kindern leichter wird.
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