Intersexualität, Transsexualität, drittes Geschlecht: Alles, was irgendwie mit Geschlecht zu tun hat, wird gerne als Identitätspolitik abgetan. Denn die hat ja bekanntlich nichts mit materieller Ungerechtigkeit zu tun. Die ist nur kulturell. Quasi harmlos.
Nun legt das Bundesjustizministerium einen Gesetzesentwurf vor, der geschlechtsverändernde Operationen an Kindern unter 14 Jahren verbieten soll. Nach der Einführung eines rechtlichen dritten Geschlechts sollen intersexuelle Kinder auch körperlich ihre Geschlechtsmerkmale behalten. Es geht um Identitätsfragen, einerseits: Kann Gesellschaft damit umgehen, dass Kinder weder männlich noch weiblich aussehen? Und andererseits geht es um mehr als Diskurs. Es geht um die materielle Veränderung von Körpern. Intersexuelle Menschen berichten von zahlreichen schmerzhaften Operationen in ihrer Kindheit, die sie damals weder selbst gewählt noch verstanden haben; von Schamlippen, die angenäht wurden, aber wieder abfielen; von lebenslangen Schmerzen beim Sex. Es waren kulturelle Fragen, die Ärztinnen und Eltern zu der Entscheidung brachten, diese Operationen an den Kindern durchzuführen. Die Vorstellung, dass ein Kind jenseits eines männlichen oder weiblichen Geschlechts nicht sein darf.
An wenigen anderen Orten materialisiert sich ein Diskurs so deutlich wie bei intersexuellen Menschen. Sie passen nicht in die Norm, also werden sie in die Norm hineingeschnitten. Und das soll jahrelang, jahrzehntelang erlaubt gewesen sein, in Deutschland?
Nein, war es nicht; Operationen an den Genitalien von Kindern, die nicht selbst gewählt und medizinisch nicht notwendig waren, waren schon immer, was überflüssige Operationen ganz offensichtlich sind: Körperverletzung. Und damit verboten. Nur: Alle machten weiter. Selbst nachdem 2005 die medizinischen Leitlinien zur „Behandlung“ intersexueller Kinder überarbeitet wurden, wurden jährlich rund 1.800 „feminisierende“ oder „maskulinisierende“ Operationen an intersexuellen Kindern unter zehn Jahren durchgeführt. Man fand es einfach trotzdem richtig. Die Macht des Diskurses: Eine Norm kann in den Körper eindringen, ihn formen, ganz materiell. Stell dir vor, jemand schneidet dir die Hand ab, und alle finden es richtig.
Nun gibt es also eine rechtliche Klarstellung. Spät. Die bereits veränderten Körperteile bekommen Betroffene davon nicht wieder. Verbände fordern daher eine Entschädigung – die der Gesetzesentwurf jedoch nicht vorsieht. Warum? Die Macht des Diskurses ist auch diese: dass er sich so langsam, so unglaublich langsam nur verschiebt.
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